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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

den Straßen hin – etwa 4 englische Meilen lang – zwei Eisenbahnhöfe verbinden soll, ist fertig, wenigstens das Geld dazu da, 300,000 Pfund Sterling das heißt in London so viel als fertig sein. Etwas länger dürfte es mit einer unterseeischen Eisenbahn dauern, die England und Frankreich verbinden soll. Ein Ingenieur hat unter dem Meere, etwa 100 Fuß tief, drei Felsen entdeckt, auf welchen die Eisenbahn ruhen soll. Es werden zwei ungeheure Röhren gegossen und zwischen Frankreich und England in zwei dicht verschlossenen Reifen, auf den drei Felsen ruhend, hingestreckt, vom Lande und von den Felsen aus aber durch Drähte gehalten, welche den dicksten Mannesschenkel an Dicke übertreffen. Die großen Eisenbahnröhren werden noch in Glasröhren eingeschlossen von solcher Stärke, daß kein Anker und kein Stein sie zerbrechen kann. Die Kosten sind geringer, als die einer längst fertigen Eisenbahn, die als die theuerste in der Welt zugleich die gewinnbringendste ist, nämlich die Black-well-Bahn. Unter den vielen Eisenbahnprojekten zur Verbindung von Frankreich und England zeichnet sich noch eine Brücke aus, die durch Luft-Ballons gehalten werden soll. Etwas sehr halsbrecherisch und luftschlösserlich, aber das Projekt liegt ganz vollständig ausgearbeitet vor.




Musikalische Stenographie. Ein Dominikanermönch in Genua, Ludovico Roletti, hat ein Mittel gefunden, jedes Stück, während es gespielt wird, eben so stenographisch niederzuschreiben, wie die Rede eines Kammer-Mitgliedes frisch vom Munde weg. Es war bereits einmal von einem Clavier die Rede, welches jede beliebige Phantasie, die Jemand darauf spielt, sofort auch in Noten auf's Papier bringt. Vielleicht kommt man noch auf Mittel, Gedanken gleich beim Entstehen in entsprechendes Druckpapier zu verwandeln.




Neue Colonie von Robinson’s. Die bekannte amerikanische Expedition nach Japan entdeckte unweit der südlichen Spitze der japanesischen Hauptinsel Nipan eine neue kleine Insel, deren Bewohner sich als Europäer und zwar als Schotten, Engländer und Spanier erwiesen. Sie waren zu verschiedenen Zeiten als Ueberbleibsel untergegangener Wallfischschiffe hier angekommen. Der Herr der Insel, ein Schotte, der sich als einzigen Grundeigenthümer betrachtet, wohnt schon seit 20 Jahren da. Der Commandeur der amerikanischen Expedition, Perry, kaufte 10 Acker Landes für 50 Dollars für eine Kohlen-Niederlage, wie denn die ganze japanesische Expedition zunächst keinen andern Zweck hat, als den, für die amerikanische Dampfschifffahrt dort Kohlendepots zu erwerben. Auf der entdeckten Insel fand man ungeheuere Massen wilder Ziegen und eine Menge und Verschiedenheit von Vegetation und köstlichen Früchten, besonders auch viel Fische, daß man annehmen kann, die Insel werde bald eine kaufmännische Wichtigkeit erhalten. An Damen fehlte es bedeutend. Unter 250 Bewohnern waren blos 11 Frauen.




Der mißverstandene Kuß. Eine Dame vom „reinsten Wasser“ in England (die bekannte Herzogin von Fiesbury) hatte ziemlich eine Stunde lang in einem Musikladen zugebracht und alle möglichen Sorten in Musik gesetzter Liebe gekauft, vergangene, gegenwärtige, zukünftige, erste, letzte, zärtliche, feurige, unglückliche, erhörte und unerhörte. Der für alles Schöne schwärmende Ladendiener hatte eine ganze Ladung Liebe in ihren Wagen hinausgetragen, ohne daß sie genug zu haben schien. Die sanfte verschämte Art, mit welcher sie die Titel der verschiedenen Arten von Liebe aus den Lagen gefordert hatte, z. B. „Willst du mich ewig lieben so wie heut?“ veranlaßte den zartsinnigen Commis öfter, seinen im Keimen begriffenen Backenbart zu zupfen, die Vatermörder zu rücken und an der „Dalle“ zu tupfen, um alle Waffen Amor’s, die offenbar von ihm ausgingen, wie er nicht anders meinen konnte, gehörig zu schärfen. Das Zögern der jungen Herzogin in der Thür, ihr verlegenes Zurückblicken, das endlich in ein resolvirtes Zurückkommen ausartete, veranlaßte den Jüngling, seine Vatermörder noch einmal zu zupfen und den schönen Kopf in der Binde in eine möglichst malerische, verführerische Attitüde zu wiegen. „Ich hätte beinahe vergessen,“ sagt die junge Herzogin, „noch – noch – es ist zwar nicht nöthig, aber es soll so schön sein. Haben Sie die Güte (kleine Pause), mir noch zu geben einen Kuß, bevor wir scheiden!“

„Wa – as? Wär’ es –“

„Einen Kuß, bevor wir scheiden, bitte!“ wiederholte sie jetzt kühn und ihn ohne Verlegenheit mit den schönen blauen Augen ansehend.

Auf den Flügeln der höchsten Liebe sprang der musikalische Diener über den Ladentisch, umfaßte ihre zarte Taille und gab ihr den so zärtlich erbetenen Kuß. Zu seinem größten Erstaunen belohnte sie ihn für diesen Muthsprung der Liebe mit einer ernsthaft gemeinten Ohrfeige, der ein dichter Schlagregen mit dem Stiele des Sonnenschirms folgte, in Begleitung leidenschaftlichen Kreischens. Volk und Polizei liefen herbei und letztere brachte den Mordanfall des Musikalien-Dieners auf die Ehre einer hohen Herzogin pflichtschuldigst vor den Polizeigerichtshof. Beleidiger und Beleidigte mussten beide zugegen sein, obgleich sich die verschämte Herzogin erst lange sträubte. Die Verhandlung war kurz, da die Herzogin mit „Einem Kuß, bevor wir scheiden“ ein neu in Musik gesetztes Lied gemeint, der noch neue Diener aber, ganz unbekannt mit diesem Titel, nicht umhin gekonnt hatte, die Sache so zu nehmen, wie er sie verstanden hatte. Der alte Herzog von W., der seit diesem Ereigniß manche Jahre hindurch mit der Herzogin von Fiesbury gelegentlich in Gesellschaften zusammenkam, unterließ nie, wenn er sie beim Piano fand, um „einen Kuß, bevor wir scheiden“ zu bitten, aber ohne Sonnen- und Polizeischirm.




Zur Nachricht!

Der unerwartet große Aufschwung, den unser illustrirtes Familienblatt in den letzten Wochen genommen, erlaubt uns heute die erfreuliche Mittheilung, daß die Gartenlaube vom nächsten Quartale ab in vergrößertem Formate und mit vermehrten Illustrationen erscheinen wird. Die mit jeder Woche sich mehrenden guten Beiträge erfordern eine solche Ausdehnung, mit der wir zugleich dem Beifall unserer vielen Freunde zu danken hoffen.

 Redaktion und Verlagshandlung
 der Gartenlaube.





Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 476. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_484.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2020)