Seite:Die Gartenlaube (1853) 498.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Nun saß der Mörder seines Bruders auf der einsamen Insel im Schleistrome und sann nach, wie er es anzufangen habe, dem Verlangen der Dänen zu entsprechen. Sein Geist war nicht arm an Hülfsmitteln, auch gab es der Gefälligen genug, die um Sündenlohn sich erkaufen ließen zu falschem Zeugniß und Schwur. Aber die Mahner, die Gott dem Mörder gesendet, verließen den Herzog nicht. Seit der Beisetzung Erich’s im Dome waren die Möwen hinübergezogen nach der Schleiinsel und bedeckten, wie früher bei Mösund die Wasserfläche, so jetzt die Giebel und Zinnen der Jurisburg. Am Tage umkreisten sie das Schloß, in dessen Gemächern Herzog Abel ruhelos umherirrte, in wildem Fluge. Neigte sich die Sonne zum Untergange, so stiegen sie empor in die Luft und schwebten gleich einer leuchtenden Wolke über der Burg, so laut und vernehmlich klagend, daß die Bürger in Schleswig und der fernwohnende Bauer am Danevirke ihr Geschrei vernahmen und sich bekreuzten, denn ihr Rufen klang immer wie „Erich! Erich!“

Breitete nun die Nacht ihre dunkeln Schleier über Land und Meer, dann ließ sich der Möwenschwarm nieder und besetzte alle Fenster der Jurisburg. Da breiteten sie ihre Fittige aus, schlugen damit gegen die Scheiben, pochten mit den Schnäbeln daran und riefen dem entsetzten Mörder ohn’ Unterlaß den Namen seines Bruders zu. Gleich beschwingten Geistern saßen die furchtbaren Vögel allüberall und beobachteten mit ihren klugen Augen jeden Schritt des Herzogs. Wollte Abel die Barg verlassen, so hüpften die geisterartigen Vögel vor ihm her oder schlugen ihn mit ihren Flügeln in die Augen, daß er nicht aufzusehen vermochte und er noch lieber ihr Geschrei im Innern der Burg hören als von ihnen umschwärmt sein wollte. Die Möwen wurden Abel's Erynnien.[WS 1]

Entsetzen ergriff den Brudermörder. Er verließ die Jurisburg, um fortan fern von dem Schauplatze zu bleiben, der ihn in den Besitz der Macht gebracht hatte. Anfangs fürchtete Abel, es könne das Schicksal des Bischofs Hanno von Mainz ihm bevorstehen, weshalb er angstvoll auf das Geschrei jedes vorüberschwebenden Vogels achtete. Aber die Möwen begleiteten ihn nicht auf seinem Zuge nach Norden. Sie blieben an dem Gemäuer sitzen, in dessen Innerm der Entschluß zur Blutthat gereift war. Dies beruhigte den Herzog. Er glaubte sich sicher für immer, sein Muth wuchs und ohne weiteres Bedenken genügte er dem Verlangen des Volkes, indem er sich durch einen feierlichen Meineid von der entsetzlichen Mordthat reinigte. Mit diesem neuen Verbrechen schwang sich Abel auf den Thron von Dänemark und nahm am ersten November 1250 auf dem Reichstage zu Roeskilde die Huldigung seines Volkes an.

Jetzt glaubte sich der neue König sicher und zu jeder That berechtigt. Schon Erich hatte fortwährende Kämpfe wegen seines Pfluggeldes zu bestehen. Um sich das Volk zu gewinnen, hätte Abel darauf denken sollen, die vielen Lasten, die es drückten, zu erleichtern. Allein das fiel ihm nicht ein. Seine erste wirkliche Regierungshandlung gab sich in der Ausschreibung einer allgemeinen Landsteuer kund, welche nicht nur von dem eigentlichen Dänemark, sondern auch von Süderjütland, dem heutigen Herzogthum Schleswig erhoben werden sollte. Die Dänen fügten sich, nicht so die Nordfriesen. Diese weigerten sich, die neue Steuer zu bezahlen, indem sie nachwiesen, daß der König kein Recht habe, ihnen außer der gewöhnlichen Steuer noch eine andere Schatzung aufzulegen.

Abel beschloß, die widerspenstigen Nordfriesen, die an der Westküste des Landes zwischen Hewer und Eider wohnten, zu züchtigen. Er sammelte zu diesem Behufe[WS 2] ein Heer und fiel im Herbst 1254 in Nordfriesland ein. Die Friesen aber hatten sich ebenfalls gerüstet und jeden streitbaren Mann aufgeboten, um dem Heere des Königs die Spitze bieten zu können. In der Landschaft Eiderstedt kam es zwischen beiden Heeren zur Schlacht, die mit der gänzlichen Niederlage der königlichen Truppen endigte. Abel mußte fliehen, nur um sein Leben zu retten. Diese schimpfliche Niederlage, die ihm ein von ihm verachtetes Volk von Bauern und Schiffern beigebracht hatte, ergrimmte den König dermaßen, daß er Tag und Nacht auf Mittel sann, sich zu rächen.

Abel ging jetzt mit nichts Geringerem um, als mit dem Gedanken, den ganzen nordfriesischen Stamm, dessen Unabhängigkeitssinn ihm unerträglich war, auszurotten und wo möglich von der Erde zu vertilgen. Er warb deshalb ganz in der Stille während des Winters ein Heer und überfiel mit diesem im nächsten Jahre Nordfriesland aufs Neue. Diesmal aber begnügte sich König Abel nicht, das reiche Land von einer Seite anzugreifen, er gedachte es zugleich von Ost und West zu beunruhigen, auf solche Weise die Bauern zu verwirren, ihre Streitkräfte zu zersplittern und dadurch sie leichter erdrücken zu können. Während ein Landheer über die Geest nach dem Eiderstedtischen zog, liefen Abel’s stark bemannte Kriegsschiffe von der Nordsee in die Mündung der Eider ein und nahmen auch von dieser Seite eine feste Stellung am Lande. In der Gegend von Oldesworth landete die Macht des Königs und verschanzte sich sogleich, während Abel selbst mit seinem Landheere sich an der Mildeburg aufstellte.

Die Friesen, welche einsahen, daß nur festes Zusammenhalten und einmüthiges Handeln sie retten könne, beschlossen, sich bis auf’s Aeußerste zu vertheidigen. Das Land der Westküste war damals noch nicht von den Fluthen der Nordsee in so viele Inseln zerrissen, wie heutigen Tages, und stark bevölkert. Es zerfiel in sieben einzelne Horden, die, weil sie aus Marschland und Inseln bestanden, sich die sieben Schiffshorden nannten. Diese vereinigten sich mit ihren sieben Bannern – denn jede Horde für sich führte ein eigenes Banner – auf der gemeinsamen Dingstelle,[WS 3] welche Burmanswai (Bauermannsweg) genannt wurde. Hier entwarfen die Friesen ihren Schlachtplan, der in einem nächtlichen Ueberfalle auf das Lager des Königs bestand.

Inzwischen hatten Abel’s Mannen, die bereits sechs Tage lang müßig lagen, das Land umher geplündert und eine Menge Gold und Silber zusammengeschleppt, das in ihren Zelten aufgehäuft lag. Als nun das Heer der vereinigten Friesen im Dunkel der Nacht sie

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Erinyen: drei Rachegöttinnen der griechischen Mythologie (die personifizierten Gewissensbisse)
  2. Behuf: Zweck
  3. Dingstelle: Ort germanischer Volks- und Gerichtsversammlungen, vgl. den Artikel Thing in der Wikipedia
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_498.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)