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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

wider die Natur, und mir würde zu Muth sein wie einer Katze, der man das Fell aufwärts streicht. In dem ganzen literarischen Bettel dieser Nachahmungen ist ja nicht für einen Pfennig Wahrheit. Mögen die Herren Romanschreiber ihr in Thränen geweichtes und am Sehnsuchtsfeuer wieder getrocknetes Makulatur noch so theuer verkaufen, mich gelüstet's nicht nach ihrem larmoyanten Verdienst. Ich werde wohl noch Mittel und Wege ausfindig zu machen wissen, wie ich Herrn Ettinger auf eine für mich ehrenvollere Weise entschädigen kann. Sagen Sie ihm, daß ich seinen Schaden durchaus nicht zugebe; eh’ ich ihm aber eine Wertheriade oder Siegwartiade schreibe, will ich mir die Entschädigung lieber von meiner knappen Besoldung absparen. Meinst Du nicht auch, liebe Frau, und sollten all’ Deine Hoffnungen auf Hüte und Enveloppen verduften? Geld verloren: nichts verloren; Ehre verloren: Alles verloren! Und der wirft seine Ehre von sich, der etwas gegen seine bessere Ueberzeugung thut. Sprechen wir von andern Dingen!“ Das sonst so heitere lachende Gesicht des Dichters war sehr ernst geworden und sah recht würdig und stolz aus.

Die Augen des Buchhändlers leuchteten von heller lichter Freude. „Ja wohl!“ rief er mit der heitersten Laune, welche mit dem besprochenen Gegenstande und Musäus’ Redetone im schneidendsten Contrast stand. „Von andern Dingen also! Kommen Sie doch Beide mit mir in dieses Zimmer da, welches die Frau Professorin vorhin auf kurze Zeit mir abzutreten die Güte gehabt hat; denn ich kann in der That die Unterhaltung, über die andern Dinge, die ich mit Ihnen besprechen möchte, nur im Putzzimmer der Frau Professorin führen.“

Das Ehepaar sah sich über diese räthselhafte Rede verwundert an; ihre Verwunderung stieg aber zum höchsten Erstaunen, als sie mit dem ungenannten Gaste in das Nebenzimmer traten. Da stand nämlich der große Gesellschaftstisch in der Mitte der Stube und war über und über mit großen französischen Laubthalern bedeckt, so daß auch kein Räumchen mehr übrig war, auf das man einen weimarischen Sechser hätte legen können, und diese Münze war doch bekanntlich sehr klein. Daneben aber auf dem Federkanapee lag ein prächtiger Stoff zu einem modernen Sommerdamenkleide und ein anderer zu einer Enveloppe und endlich ein neuer Damenhut nach der neuesten Mode. Kurzum, es sah aus, als ob Rübezahl bescheert hätte.

„Mein lieber Herr Professor und hochgeschätzte Frau Professorin,“ nahm der Fremde das Wort, „ich gebe mir die Ehre, mich Ihnen als den Buchhändler Ettinger von Gotha selbst vorzustellen und Sie zum Erfolg Ihrer Volksmärchen zu beglückwünschen. Lassen Sie sich umarmen, trefflichster Mann, der mich eher von seiner knappen Besoldung für meinen vermeintlichen Verlust entschädigen, als dem miserabeln Modegeschmack huldigen und ein Buch gegen seine Ueberzeugung schreiben wollte! Das ist wahre Ehrenhaftigkeit, und dies hat ein gütiges Geschick an Ihnen auf eine glänzende Weise belohnt, wie es nicht immer zu thun pflegt. Ja, wackerer Ehrenmann, die gesunde Kost, die Sie dem deutschen Volke vorgesetzt, sagt ihm auf das Werther- und Siegwartsfieber und die in Thränensauce aufgetischten Zuckerbäckereien, an welchen es sich zeither den Magen verdorben hat, ganz vortrefflich zu. Ich hatte selbst kein Vertrauen zu Ihren Volksmärchen und ließ nur eine kleine Auflage drucken. Kaum war aber diese versandt, als von allen Seiten neue Bestellungen einliefen, erst kleine, bald größere, immer größere, immer bedeutendere. Ich ließ eine zweite Auflage machen, aber vor Weihnacht war auch diese schon vergriffen und ich mußte schnell eine sehr große dritte drucken lassen. Ich kann die Bestellungen kaum befriedigen; der Absatz ist fabelhaft. Sie haben zur rechten Zeit den rechten Ton angeschlagen; die Welt ist die Selbstmördergeschichten und die thränenfeuchten Mondscheinsphantasien müde und labt sich an Ihren einfachen und natürlichen Märchen. Der Umschwung ist großartig und der Gewinn an Ihrem Buche ein bedeutender. Als ein redlicher Mann theile ich denselben mit Ihnen, wie es recht und billig ist und wie es mir mein Gewissen vorschreibt. Hier liegt die Hälfte des Gewinnes. Zählen Sie den Schatz und streichen Sie ihn ein.“

„Herr Ettinger!“ rief der Autor, dem zu Muthe war, als sei er gerades Wegs aus den Wolken auf die Erde herabgefallen, „Herr Ettinger, wie ist das möglich! So außerordentlich ist der Absatz meines bescheidenen Büchleins gewesen! Wer hätte so etwas denken sollen? Ich kann es noch gar nicht fassen!“

„Fassen Sie nur zu und zwar den klingenden Beweis!“

„Das ist ja ein ganzes Blumenbeet voll köstlicher Lilien!“

„Die nicht über Nacht verblühen und verwelken.“

„Aber wie kann ich denn diesen Lilienthaler annehmen? Sie haben mir ja das geforderte Honorar für die Märchen richtig bezahlt. Sie sind mir ja nichts schuldig.“

„Andere Verleger mögen wohl so denken, nicht ich, Herr Professor. Wie? ich wäre Ihnen vor Gott und meinem Gewissen nichts schuldig von dem Gewinne, den ich ganz allein Ihrem Geiste zu verdanken habe? Ich würde mich der größten Sünde fürchten, wenn ich dieses Geld behielte; es würde mir die Ruhe meines Lebens rauben. Nehmen Sie es in Gottes Namen, denn Sie dürfen es nehmen; es ist Ihr redlich erworbenes Eigenthum. Sie wollten mich ja für meinen vermeintlichen Verlust entschädigen, redlicher Mann; also gehört Ihnen auch die Hälfte des gemachten Gewinnes. Glauben Sie, ich werde mich von Ihnen beschämen und an Redlichkeit und Treue übertreffen lassen? Nein; glücklicher Weise lag das Geld schon hier aufgezählt, als sich Ihr redliches Herz mir in seiner ganzen Schönheit offenbarte!“

„Geben Sie mir Ihre Hand, Herr Ettinger. Sie sind ein ächter deutscher Ehrenmann!“

„Ich bin stolz auf diese Anerkennung eines ächten deutschen Ehrenmannes.“

Und Dichter und Verleger der Volksmärchen umarmten und küßten sich; die Frau Professorin, welche zeither ein Mal über das andere Mal die Hände vor Verwunderung zusammengeschlagen und Freudenthränen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 496. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_504.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)