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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

dieser drei vereinten Ideen bezog, existirte für ihn gar nicht. Die Richtungen und Anschauungen der Neuzeit waren ihm unaussprechlich zuwider; aus ihrer Pflege prophezeite er das größte Unglück für Familie und Staat. Für seinen Gott, seinen König und seine Geliebte war er aber jeden Augenblick bereit, in den Tod zu gehen.

„So abweichend meine ruhigen und besonnenen Ansichten von seinen exaltirten waren, so unterließ ich es doch mit ihm darüber zu streiten und liebte ihn wegen seiner trefflichen Eigenschaften eben so innig, wie ich von ihm geliebt wurde.

„Nach Ablauf unserer Dienstzeit vermochte mich Rommel, mich in seine Vaterstadt behufs der Ausübung meiner Kunst zu begeben, und ich lernte nun seine Familie, seine Geliebte, seine Freunde kennen und malte auf seine Empfehlung die meisten dieser Personen.

„Seine Familie bestand aus dem Vater, einem gutmüthigen aber charakterschwachen Manne, auf welchen das gewöhnliche gesellschaftliche Leben eines Kaffeehauses einen unwiderstehlichen Reiz ausübte. Seine Umgangs- und Spielfreunde, seine Partie Whist, das Billard und die Kegelbahn, sein Glas Lagerbier, seine Pfeife Kanaster, seine Zeitung, ein Ausflug mit den Freunden auf’s Land, wo sie dieselben Vergnügungen fanden, eine Kirmeß und dergleichen waren seine Welt, in welcher er sich sehr wohl und glücklich fühlte. Um vier Uhr Nachmittags hätte ihn keine Macht der Erde in seinem Hause zurück halten können. Die Mutter war schon geraume Zeit todt; der lebensfrohe Wittwer vermißte sie nicht. Das Geschäft, Landesproduktenhandlung mit Material-Detailverkauf überließ er seinen beiden Söhnen und einem Commis, Namens Veit. Die erwachsene Tochter führte das Hauswesen. Rudolf war der Jüngere der beiden Brüder; der andere um fast zwei Jahre ältere Bruder Friedrich, ein eben so schöner stattlicher Mann, ja noch um einige Zoll größer als Rudolf, und da er unter der Cavallerie gedient hatte, so trug er sich in jener stolzen, imponirenden Haltung, welche meist den graduirten Soldaten dieser Gattung eigen zu sein pflegt; hinsichtlich seines Gemüthslebens war er aber das Gegentheil des jüngern Bruders. Friedrich, durch und durch nüchterner Verstandesmensch und praktischer Geschäftsmann, konnte natürlicher Weise den Phantastereien Rudolf’s keinen Geschmack abgewinnen, und Dieser fühlte sich oft von Jenem verletzt, was bei ihrem täglichen und stündlichen Zusammenwirken in demselben Geschäfte, in dessen regelrechtem und förderlichem Betrieb der Aeltere den Jüngern weit übersah, gar nicht anders möglich war. Eben so wenig konnte sich Rudolf mit dem Commis Veit, dem Verlobten seiner Schwester Eulalie, vertragen. Veit, ein stiller, thätiger Mensch, von etwas finsterer Gemüthsart, mißtrauisch und mit Dingen, die über seinem sehr beschränkten Kaufmanns- oder vielmehr Krämerhorizonte lagen, sich auch nicht im Mindesten befassend, hatte nicht das geringste Verständniß von Rudolf's Wesen und hielt ihn für einen completen Narren. Die Schwester Eulalie war auch nichts weiter als ein ordinäres Schablonengeschöpf, ein Dutzend-Frauenzimmerchen mit einer leidlichen Taille und einem hübschen Gesichtchen, ein klein wenig Sentimentalität, was man von dieser verdächtigen Waare so in’s Haus braucht, übrigens eine gute Wirthschafterin und für Herrn Veit wie geschaffen. Der Vater verstand den jüngern Sohn eben so wenig; der immer heitere und zerstreute Mann hatte gar keine Ahnung davon, was in Rudolf’s Seele war. So stand der Arme mit seinem schönen Herzen, voll der tiefsten Gefühle, allein im elterlichen Hause, und wurde von Allen mit einer gewissen plumpen und bittern Ironie als die Bête–noire desselben behandelt. Und wie weit höher stand er über Allen, selbst hinsichtlich des Verstandes. Wenn nun Rudolf’s Geliebte ihn für diese Verluste entschädigt hätte oder überhaupt hätte entschädigen können, so wäre er immer noch glücklich zu preisen gewesen. Aber in Bezug auf diese junge Dame lebte er in einem großen und schier unbegreiflichen Irrthum. Was er für Gefühlsinnigkeit an ihr hielt, war – Gleichgültigkeit, was ihm als Charakterstärke erschien, war – der Trotz der Beschränktheit. Während ich das Mädchen malte (sie war die Tochter eines Kaufmanns und hieß Louise Bernigau), lernte ich sie vollkommen kennen. Hübsch war sie allerdings, man konnte sie in mancher Beziehung eine hohe Schönheit nennen; nie sah ich z. B. ein herrlicheres blondes Haar, aber dieser Form fehlte der entsprechende geistige Inhalt. Dann und wann dämmerte eine Ahnung von der wahren Beschaffenheit Louisens in Rudolf’s Seele, aber er räsonnirte sie sogleich hinweg und schraubte sich in seine romantische Exaltation hinauf. Ich sah ein, es war ihm durchaus nicht zu helfen. Die Augen dieser Romantiker müssen eben anders gebaut sein als die unsrigen; sie sehen Alles in einem weit schönern oder weit häßlichern Lichte, als wir. Ich verließ nicht ohne Besorgniß für Rudolf nach einem halben Jahre E., denn meine Kunst mußte nach Brot gehen. – Während eines ganzen Jahres erfuhr ich nichts von meinem Freunde. Wir schrieben uns nicht.

(Schluß folgt.)




Thomas Babington Macaulay.

Der Geschichtsschreiber, Dichter, Journalist, Jurist, Politiker und Staatsmann Macaulay hat nicht nur in seinem „engern“ Vaterlande, England, und dem weitern, Amerika, sondern auch in der ganzen gebildeten Welt einen bedeutenden Namen gewonnen, daß es unsere Leser interessiren wird, ihn näher kennen zu lernen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 503. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_511.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2020)