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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

und nach Australien ge- oder auch auf dem Wege untergegangen. Solche verlassene öde Häuser (wahre „bleak-houses“) findest Du fast in jeder Straße, und bei einiger Aufmerksamkeit wirst Du auch gewahr, daß sie sich stärker vermehren, als neue Miethen.

Ein junger Mann hat Hoffnung, eine interessante Bekanntschaft und Partie zu machen und spart und bürstet den Backenbart und kleidet sich nach der neuesten Mode, um das Herz seiner Auserkorenen zu erobern. Endlich ist er so weit und klopft und klingelt: „Eben abgereist, nach Australien.“ Da ist ein guter Freund, der uns auf vierzehn Tage einige Pfunde abborgt und sie blos dazu verwandte, um sein Reisegeld für Australien zu vervollständigen. Ja in der City wartet mancher große Kaufmann am Verfalltage auf Hunderte und Tausende von Pfunden, die vorher nach Australien ausgewandert sind. Einer, der einmal auf diese Weise mit 20,000 Pfund verschwunden war, wurde von einem Londoner Policeman glücklich aus den Antipoden Australiens herausgefunden und mit dem größten Theile des Geldes zurückgebracht.

Die Ausstellungs-Industrie für australische Auswanderung gehört jedenfalls zu den großartigsten und ausgebildetsten modernen Gewerbszweigen Englands. Treten wir in einen solchen Ausstellungs-Laden ein, in welchem Hunderte von Häusern liegen. Da ist erstens das „patentirte, tragbare Haus“, in je zwei Kisten eins, deren Bretter auseinander genommen und sofort als Wände des Hauses wieder zusammengesetzt werden können. Inwendig sind Schrauben, Säulen, Thüren, Fenster, Tische, Stühle, Küchengeräthe u. s. w. – Alles numerirt, so daß alle Theile nach einer gedruckten Anweisung binnen wenig Stunden zu einem vollständigen Hause mit vollständiger Wirthschaft zusammengefügt werden können. Das Geniale besteht hier besonders darin, daß die je kleinern Theile immer so geformt sind, daß sich einer immer genau an den andern anschließt, so daß nicht der geringste leere, unbenutzte Raum in den Kisten bleibt. Das ist sehr erklärlich, da der Auswanderer sein Gepäck nach der Menge der Quadratfuße, die es im Schiffe einnimmt, bezahlen muß.

Aus einem Geschäfte in Birmingham gehen folgende Häuser mit Zubehör hervor: Jedes Haus ist in eine hölzerne Kiste gepackt, deren Bretter hernach vollständig als Dielen passen. Die eine Kiste enthält das vollständige Haus, Dach, Balken, Wände, Tapeten - Alles, Alles, was zu einem anständigen Hause gehört, darunter einzelne patentirte Säulen- und Schraubenarten und ein patentirtes Dach, das aus Zinkplatten besteht, die so zusammengesetzt werden, daß ihnen vollständige Freiheit bleibt, sich in der Hitze auszudehnen und in der Kälte zusammenzuziehen. Für die metallenen Wände sind besondere Decken da, die die Temperatur leiten und das Haus im Winter warm, im Sommer kühl halten, außerdem vollständige, abgepaßte Tapeten für alle Wände innen. Wie groß ist ein solches Haus in der Kiste? Blos 13 Fuß lang, 3 Fuß 41/2 Zoll breit und 81/2 Zoll tief und wiegt nicht mehr als 3/4 einer Schiffstonne.

Einige beschränken sich auf Zelte. Man wird gehört haben, daß es bei Melbourne eine Stadt mit mehr als 40,000 Einwohnern giebt, die alle in Zelten wohnen. Die Zelten-Händler rufen dem Auswanderer wohlwollend in Zeitungen und Ankündigungen zu, daß sie sich im Interesse der leidenden Auswanderer entschlossen hätten, ihnen eine tragbare Heimath mit hinüber zu geben, die sie schütze vor den Schrecken des Häuser- und Wohnungsmangels in der neuen Welt, und die zusammengepackt nicht größer sei, als ein „gewöhnlicher Mantelsack.“ Ein Anderer bietet „Wagen und Zelt in einem Stück.“ An Ort und Stelle können die Wagentheile für Schlaf- und Küchenzwecke abgenommen werden. Die größern, auf Spekulation für Kapitalisten gemachten Häuser kommen von Birmingham, Bristol, Liverpool und werden zuweilen dutzendweise gekauft, in Melbourne aufgeschlagen und für den ruhig in London lebenden Eigenthümer dort vermiethet. Ein Haus, das er für 50 oder 60 Pfund kaufte, bringt ihm in Melbourne einen jährlichen Miethzins von 3-400 Pfund. –

Doch nicht alle haben die Schneckengesinnung, mit ihrem Hause auf dem Rücken in die bessere Welt abzufahren. Deshalb ist auch jedes Bedürfniß in unzähliger Mannichfaltigkeit einzeln und in beliebiger Gesellschaft zu haben. Die „Auswanderungs-Kochöfen“ sind ein wahrer Triumph in sich selbst, insofern wirklich mehr in ihnen ist, als scheinbar in der unerschöpflichen Branntweinflasche des Taschenspielers. Er sieht ganz einfach wie eine eiserne Kiste von zwei Quadratfuß aus. Nimmt man ihn auseinander, bekommt er Füße und Hände, drei Sorten von Pfannen, mehrere Arten von Kochtöpfen, Schürer, Plätteisen, Plätteisenhalter u. s. w., und zuletzt einen Schornstein, in welchem noch eine Menge Utensilien stecken, die nur der englische Kamin-Verständige zu nennen und zu handhaben weiß. Neben einem solchen Ofen hing ein Zettel, der uns verkündigte, daß in einem derselben einmal in Port Natal ein Mittagbrod für 20 Personen, darunter der Gouverneur, zu allgemeiner Zufriedenheit gekocht, gebraten, geröstet, geschmort, gesotten, gefryt (unübersetzbar, da die Sache in Deutschland gar nicht bekannt ist) und gebacken worden sei.

Von dem „Junggesellen-Kessel“ der 3 Schillinge kostet und für ein halbes Leben jeden Morgen das Wasser kocht (für 1/4 Penny Brennmaterial), bis zu den geheimnißvollen Kochapparat-Labyrinthen jede Kasse, jeden Geschmack findet, was er wünscht und bezahlen kann und bei Lichte besehen allemal mehr, als er glaubte, da inwendig immer ganz unerwartete Dinge entdeckt werden. Eins der größten culinarischen Wunder ist die „tragbare Küche“, die uns aus den Läden um Tower-Hill wie geheimnisvolle Zauberapparate anstarren, zunächst freilich nicht viel anders, als große Blechbüchsen je 14 Zoll lang, 10 weit und 10 tief. Und was ist darin? Man höre! Ein Ofen für Holzfeuerung, Fischkessel, Brat- und Schmorpfanne, Bratrost, Thee- und Kaffeebüchse, Schmortopf und „Dampfer“, zwei Bratpfannen, Theekessel, Kaffeekanne, Zuckerschale, Milchtopf, 3 Paar Tassen, 2 Schüsseln, 6 Teller, 3 Paar Messer und Gabeln, 2 Eßlöffel, 3 Theelöffel – fast Alles silber- und goldglänzend - Alles von Metall – die Tassen auch, nur daß sie glasirt sind –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 507. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_515.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)