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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

auch Haus und Bett. Wir machten's auf unsern Land-Expeditionen so: Ein Schlitten, von 4–6 Mann gezogen, schleppte Alles, was wir auf 40–50 Tage brauchten, hinter uns her, Zelt, Essen und Trinken, Küche und Alles, im Ganzen 200 Pfund Waare auf Jeden. Wenn wir 10–11 Stunden in einem Tage (oder vielmehr des Nachts, da die Sonne auf dem ewigen Schnee die Augen auf das Entsetzlichste quält) zurückgelegt hatten, schlugen wir unsere Herberge und unser Wirthshaus auf, das Zelt, machten Feuer, schmolzen Schnee über demselben und kochten damit Thee oder Grog, aßen, tranken, rauchten unsere Pfeifen und legten uns zum Schlafen zurecht. Zu diesem Zweck legten wir wasserdichtes Zeug auf den Schnee, darauf Buffalohäute, darauf uns, nachdem Jeder von uns sich in einen Sack gesteckt hatte. Der Wärme wegen schichteten wir uns dicht aneinander und zwar ganz so, wie Heringe in der Tonne: der Kopf des Einen drängte sich immer an die Füße des Andern. Dann wurden Pelzdecken über die ganze Gesellschaft gebreitet und dann geschlafen, aber gehörig, denn die Wege, die wir jedesmal zurückgelegt mit abwechselndem Ziehen des Lastschlittens, machten den Schlaf tiefer als auf Eiderdaunen hinter seidenen Vorhängen. Und niemals störte uns irgend der leiseste Laut Hunderte von Meilen ringsum in diesem großen, weißglänzenden, Tausende von Meilen sich ausbreitendem Tode der Natur.“




Die deutsche „Atlantis“ in Amerika. In Detroit, unweit des Niagarafalles im Staate Michigan, erscheint eine von Christian Esselen redigirte „Zeitschrift für Wissenschaft, Politik und Poesie: „Atlantis“, etwa die 140ste deutsche Zeitung in Amerika. Einige Nummern, die uns zu Gesicht kamen, lassen auf ein bedeutendes deutsches Leben und Geschäft dort schließen. Der deutsche Theaterverein in Detroit kündigte das neue Lustspiel von F. L. Schmidt: „Die Theilung der Erde“, an, welches im Moltz’schen Saale aufgeführt und mit einem Balle beendigt werden sollte. Ludwig Winkler (früher in Leipzig) erläßt eine Aufforderung zur Gründung eines Turnvereins. Friedrich Becker empfiehlt seinen „Darmstädter Hof“, H. Klußmann sein „Gasthaus zum Vater Rhein“, J. Miller die „Münchener Bierhalle“, B. Waldeck seinen „Wein- und Biersalon“, M. Brandt seine „Wirthschaft“, Held sein „Hotel“, Max Weber das „Hotel Constanz“, Reiske „Weinhandlung und Wirthschaft“, ein anderer Deutscher sein „River-Hotel“ am Niagarafall und seine Wagen, welche die Reisenden von Eisenbahnhöfen abholen; andere Deutsche Kleiderläden, Handlungen aller Art, Handwerke, Näheschulen für junge Damen, Apotheken, Tischler-Associationen, Bierbrauereien, ein Herr Böhnlein seine deutsche Buchhandlung mit der Versicherung, daß er jedes in Deutschland erschienene Buch schnell und billig besorge, dabei auch seine Niederlage von Uhren, Herr Bach seine Tanzschule u. s. w. Besondere Erwähnung verdient das über Europa und Amerika ausgebreitete Commissions-, Speditions- und Wechselgeschäft von Rischmüller und Löscher, das sich besondere Verdienste um die Personen-Beförderung von Europa nach Amerika erworben hat und in allen bedeutenden Seestädten beider Welten durch zuverlässige Agenten vertreten ist. So sieht man selbst aus der hintern Partie einer amerikanischen Zeitung, den Anzeigen, daß Deutschland drüben blüht:

„Und aus den Furchen, die Columb gezogen,
Geht Deutschlands Zukunft auf.“

Und das deutsche Mutterland liefert vorläufig noch tüchtig Samenkorn, wofür die Amerikaner von drüben Millionen von Scheffeln Korn und Weizen herüber schicken. Ohne unsere Brüder in Amerika wäre jetzt das deutsche Viergroschenbrot nicht viel größer als ein Viergroschenstück. Die amerikanischen Getreidebuden sind jetzt aber auch in Beziehung auf die Leichtigkeit der Beförderung den meisten deutschen Städten näher, als das Land der podolischen Ochsen.




Graf Alexander von Würtemberg, der jung verstorbene geniale Dichter, erzählte oft und gern die nachfolgende Scene aus seinem Reiseleben: In Gesellschaft eines Führers bestieg er den Montblanc, d. h. er stieg eben so hoch, als das mit Hülfe eines Führers möglich ist. Auf einem der höchsten Felsen klebt eine Kapelle. Ein schlichtes Muttergottesbild im kleinen Häuschen, ein Kupferstich, eine elende Votivtafel – das war Alles! „Das ist das wahre Gnadenreich,“ sagte der Führer. Der Teppich von Blumen, das frische Grün und der glänzende Schnee rings umher – fürwahr! das schlechte Kirchlein war schöner, als all’ die vielgepriesenen Dome in Mailand und Köln und Straßburg. Der Führer betet sehr lange; Graf Alexander, hinter der Kapelle auf die Kuppe des Felsens emporgeklettert, wartet und wartet. „Jetzt zähl’ ich noch Hundert, dann ruf ich ihn. Nein, er soll fortbeten.“ – Und so zählt er wieder Hundert und wartet wieder fünf Minuten.

Auf einmal athmet er schwer, vor den Augen wird’s ihm schwarz, er hört einen Knall, wie von Millionen Donnern und Kanonen, und darauf Lawinen wie ein Peletonfeuer. Vom nahen Berge ist eine senkrechte Felsenwand, vielleicht so hoch wie der Straßburger Münster, auf den angrenzenden hohlen Gletscher gestürzt, über welchen der Weg führte. Daher dieser furchtbare Knall. Noch ganz betäubt fühlte der Graf einen Schlag auf die Schultern. Sein Führer wars. Er deutete hinab auf die Kapelle und sagte: „Das ist das wahre Gnadenreich!“ – Hätte der Graf das Gebet seines Führers um fünf Minuten gekürzt, wären sie beide auf dem Gletscher zerschmettert.




Literarisches. In Berlin ist ein kleiner Boz aufgetreten. Unter dem Titel: „Berliner Pickwickier, Leben und Fahrten Berliner Junggesellen bei ihren Kreuz- und Querzügen durch das moderne Babylon“, giebt ein bis jetzt außer Berlin noch unbekannter Schriftsteller, Namens Heßlein, ein Werk heraus, halb Roman, halb Schilderung, worin das Berliner Leben und Treiben erschöpfend zur Darstellung kommen soll. Ludwig Löffler wird Illustrationen dazu liefern. – Unter den vielen Gedichtsammlungen, welche neuerdings wieder erscheinen, zeichnet sich vortheilhaft ein in Berlin erschienenes dünnes Bändchen aus unter dem Titel: „Aus grünen Zweigen.“ Der Verfasser oder die Verfasserin hat sich nicht genannt. Die meisten der darin gebotenen Gedichte sind von einer Gedankenfülle und Zartheit, die wahrhaft überraschen. – Auch Adolf Böttger hat eine neue Sammlung Gedichte in Leipzig erscheinen lassen.

E. K. 




Briefkasten. E. Gwd. in Dr.: Freundlichen Dank für Uebersendetes. Wenn das Bewußte erscheint, bitten wir um sofortige Uebersendung eines Abdrucks. – Hbr. in Pln.: Haben Sie unsere Zuschrift nicht erhalten, daß sie nicht antworten? – Mr. A. in London: Sie finden unsere Gartenlaube in ihren Erzählungen nicht modern genug, wünschen weniger „deutsche Gemüthlichkeit und mehr wirkliches Leben.“ Wenn Sie die letzten 4 bis 6 Nummern empfangen haben, dürfte Ihr Urtheil anders lauten. Vergessen Sie aber nicht, daß der Deutsche in Allem was er thut und schreibt, sein Gemüth niemals verläugnen kann. Auch widersprechen Sie sich in Ihrem Briefe. Sie sagen selbst, daß Sie die Gartenlaube in ihrer ganzen Art und Weise so recht an Ihr liebes Vaterland erinnere, das sie nun schon seit neun Jahren nicht wieder gesehen und wie sich's im lieder- und gemüthreichen Deutschland doch besser wohne, als auf dem kalten Kreidefelsen England, wenn man auch da „mehr Geld machen“ könne. Und doch wollen Sie in der ächt deutschen Gartenlaube weniger „deutsche Gemüthlichkeit?“ – F. R. in B.: Wir bitten die Erklärung des Herrn Professor Bock in Nr. 26 zu lesen. Herr Professor Bock giebt nur Kranken ärztlichen Rath, die er persönlich untersucht hat.

D. Red. 



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 524. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_532.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2020)