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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Agathe aber konnte es nicht über sich gewinnen, und mit dem Ausrufe: „Vater, was soll aus uns werden!“ hatte sie demselben sich in die Arme geworfen und unter heftigem Schluchzen ihr Haupt an seiner Brust geborgen. Tief erschüttert durch diese wenigen Worte, hatte er tief aufseufzend die Tochter nach ihrer Kammer geführt und sich voll bitterer Reue auf sein Lager geworfen. Aber von dieser Zeit an war er still daheim geblieben und hatte in Haus und Hof nachgesucht, was noch an Werth vorhanden, und war zum Kratzhammerbesitzer gegangen, so schwer ihm dahin der Weg auch geworden, um diesen zu bitten. als Pfand das Wenige seiner Habseligkeiten anzunehmen statt der längst fällig gewesenen rückständigen Zinsen, da ihm der Schösser zu Lauenstein angekündigt, daß wenn er diese nicht zahle, er ihm auf Antrieb seiner Gläubiger von Haus und Hof jagen müsse, da er die Mühle dem Urban Fleck verschrieben aus Wandelpön. Hohnlachend aber hatte sein Gläubiger ihn abgewiesen und dem Unglücklichen nachgerufen, daß wenn er zum bestimmten Termine die schuldigen Zinsen nicht baar und richtig bezahlt habe, er sorgen möge, wo er ein Obdach erhalte, denn nicht eine Stunde länger würde er ihn dann noch wohnen lassen in dem verpfändeten Besitzthum.

Dies war an demselben Tage geschehen, an welchem nun Abends der Vater am Tisch, die Tochter am Spinnrocken finster und wortlos ihren Kummer in sich trugen.

Endlich brach Agathe dies peinliche Schweigen, stellte den Rocken bei Seite, näherte sich dem Vater und legte liebkosend ihren Arm um dessen Nacken.

„Vater, lieber Vater!“ begann sie mit wehmüthig bittender Stimme, „laßt das finstere Grübeln und schenkt Eurer Agathe nur ein freundliches Wort, schenkt mir Vertrauen, obwohl ich schwach und hülflos gegen das Drängen Eures Gläubigers mich fügen muß in Alles, was uns als Prüfung auferlegt wird.“

„Das eben ist es, was mich noch wahnsinnig machen wird!“ grollte der Müller, ohne sein Auge zu seinem Kinde aufzuschlagen.

„Aber arbeiten kann ich für Euch!“ fuhr Agathe eifrig fort. „Ihr wißt, Vater, daß ich im Spitzenklöppeln und Strohflechten nicht ungeschickt bin, und selbst wenn uns die bösen, harten Menschen hier forttreiben von Haus und Hof, und“ – setzte sie seufzend hinzu – „und auch mein Gärtchen ihnen anheimfällt, so wollen wir darum nicht verzagen. Ich gehe dann nach Lauenstein und bitte für Euch und mich bei der edlen Gräfin von Bünau um Arbeit und Brot!“

„Nimmermehr!“ rief der Müller, und stand heftig auf, ging einige Augenblicke stumm in der kleinen Stube auf und nieder, dann trat er zu Agathen und rief mit gepreßter leiser Stimme:

„Ja, Agathe, es giebt noch einen Weg, die Mühle zu retten, aber ich – ich mag ihn Dir nicht nennen!“

„O, nenne ihn. Vater!“ drängte Agathe mit freudiger Hast; „nenne ihn, wenn er noch offen ist, um ihn betreten zu können.“

Der Müller schwieg, trat an das Fenster der Wohnstube und blickte mit sich selbst kämpfend in die von dem Dunkel des hereinbrechenden Abends überschattete Thalschlucht.

„Du kennst den schwarzen Mattheus, den Müller aus dem Ochsengrunde,“ begann er endlich, ohne sich nach der ihn ängstlich beobachtenden Tochter zu wenden.

„Ja, Vater, was ist’s mit dem?“ entgegnete Agathe, ohne zu ahnen, wohin diese Einleitung führen könne.

„Er ist alt und häßlich von Gestalt,“ fuhr der Vater fort, „und steht im bösen Rufe, allerhand Zauberkünste zu treiben; aber er ist reich!“

„Will uns dieser helfen?“ frug arglos die Tochter.

„Ja!“ seufzte der Müller tief auf „Der will uns helfen, wenn – – “

„Nun, Vater, was will er denn?“ rief neugierig Agathe.

„Er will Dich!“ stöhnte dieser.

„Mich? um Gott, was soll ich bei diesem Manne!“ entgegnete zitternd Agathe, von böser Ahnung ergriffen.

„Er will Dich heimführen als sein Weib,“ fuhr der Müller in bitter grollendem Tone fort; „und an dem Tage, an welchem Du mit ihm zum Altar trittst, will er Zinsen und Kapital abzahlen an den Kratzhammerbesitzer.“

„Wie! sein Weib! ich! o lieber sterben als diesem Manne angehören!“ schrie Agathe entsetzt und sank auf ihren Sessel zurück, von welchem sie während dieses Gesprächs sich erhoben.

„Dies wäre der einzige Weg, der uns noch offen,“ entgegnete der Müller kalt und ruhig, nachdem dies ihm schwer gewordene Geständniß vorüber. „Aber,“ fuhr er bitter fort, „lieber will ich mit Dir und der alten Martha gleich fahrendem Gesindel auswandern und mein Brot vor fremder Leute Thüren suchen, als Dich diesem Unhold opfern.“

Nach diesen Worten trat wieder eine unheimliche Stille ein. Der Müller blieb finster brütend am Fenster stehen. Agathe saß, ihr Antlitz mit beiden Händen bedeckend, hinter dem Spinnrocken und trocknete von Zeit zu Zeit mit ihrer Schürze die hervorbrechenden Thränen tiefen noch nie empfundenen Seelenleidens.

Unterdeß hatte das Dunkel des Abends sich in finstere Nacht verwandelt. Martha, welche von Außen die Fensterladen angedrückt, brachte jetzt den brennenden Kienspan herein, befestigte denselben zwischen der auf dem Kienstock befindlichen Scheere und kettelte die Laden fest, während sie einen sorgsamen Blick auf Agathen warf, und dann kopfschüttelnd das Gemach verließ.

In diesem Augenblicke schlug der Hund im Hofe an und bald darauf klopfte es an die verschlossene Hausthüre.

Erschrocken fuhr Agathe auf und rief: „Ha! wer mag wohl so spät noch bei uns einsprechen wollen?“

„Nun, Räuber sicher nicht,“ entgegnete mit bitterem Hohne der Müller; „denn zehn Meilen in der Runde ist es ja längst bekannt, daß hier nichts mehr zu finden ist.“

Unterdeß war die alte Magd hinausgegangen und hatte durch die verschlossene Thüre gefragt, wer so spät noch Einlaß verlange.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 527. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_535.jpg&oldid=- (Version vom 31.8.2018)