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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

brecht durch Euer wahnsinnig verbrecherisches Treiben, und die wahrlich eines bessern Looses werth wäre.“ –

„Das war ich, Herr! arm und ehrlich; aber die Verzweiflung trieb mich zu Mordgedanken!“ rief der Müller mit gedämpfter Stimme, dann aber bei dem Gedanken an seine Tochter in wilden Schmerz ausbrechend, schrie er heftig, sich vor die Stirn schlagend: „O, mein Kind! mein Kind! sie darf mich nimmer wieder sehen!“ und stürzte der Thüre zu.

„Bleibt, Vater, bleibt!“ schrie Agathe und stürzte aus ihrem Versteck hervor, sich diesem entgegen werfend, welcher bei dem unerwarteten Erscheinen seiner Tochter, entsetzt zurück taumelte. Aber auch Agathen verließen jetzt die letzten Kräfte, und erschöpft von einer fieberhaften an Wahnsinn grenzenden Aufregung sank sie bleich und bewußtlos zu Boden.“

„Sie stirbt! Mein Kind stirbt, und ich bin ihr Mörder!“ heulte der Müller, sein Haar sich in wilder Verzweiflung zerraufend, während der Fremde rasch herbeisprang, mit dem im Kruge befindlichen Wasser die Stirn der Ohnmächtigen benetzte und diese auf sein Lager brachte.

„Kommt zu Euch, Mann des Elends!“ rief er jetzt, den Müller heftig rüttelnd, welcher mit weit aus ihren Höhlen hervortretenden Augen starr auf das bleiche Antlitz seiner Tochter schaute. – „Kommt zu Euch!“ fuhr er mit ernster Stimme fort. „Es ist nur eine Ohnmacht, aus welcher sie bald wieder erwachen wird; Ihr aber sucht Euren Schmerz zu bewältigen, und macht sie und Euch nicht noch unglücklicher, als Ihr ohnedem schon seid. Vielleicht ist Euch noch zu helfen!“

„Vater!“ seufzte jetzt Agathe, und schlug, sich von ihrem Lager aufrichtend, die Augen auf.

„Gott sei gelobt, sie lebt!“ wimmerte der Müller, und bedeckte mit Küssen die bleichen kalten Lippen der Tochter, während zum ersten Male seit langen, langen Jahren Thränen tiefen bittern Schmerzes den Augen des Unglücklichen entrollten.

„Geht wieder in Euer Kämmerlein, Jungfrau!“ bat jetzt der Fremde mit zärtlich mitleidigem Blick das blasse leidende Antlitz betrachtend und ihr den Arm reichend, auf welchen diese sich stützte. „Betrachtet, was hier jetzt vorgefallen, wie einen bösen Traum,“ fuhr der junge Mann, ihr Muth und Vertrauen einflößend, fort. „Ich habe jetzt noch mit Euerm Vater zu sprechen, und kann vielleicht, wenn irgend möglich, ihm doch noch Hülfe und Rettung verschaffen.“

„O, Euch sendet Gott als unsern Engel,“ hauchte Agathe und blickte mit innigem Danke zu dem Fremden empor, dann ihren Vater weinend umarmend rief sie mit flehender Stimme nach dem jungen Manne sich wendend, „verzeiht, o verzeiht dem unglücklichen armen Manne, der nicht gewußt hat, was er thun wollte. Gott wird es Euch reichlich lohnen, zu dem ich beten will für Euch und den Vater.“

Und aus dessen Armen sich windend, verließ sie mit wankenden Schritten die Wohnstube. Der Müller aber sank vernichtet, sein Gesicht mit beiden Händen bedeckend, auf seinen Stuhl zurück.

„Nun sagt einmal,“ begann jetzt der junge Fremde, als er mit dem Müller allein war und sorgsam die aus seinem Ränzel herausgefallenen Steine wieder aufgelesen und dasselbe fest zugeschnürt hatte, „was hat Euch denn zu so dämonischem Entschluß treiben können, mich zu bestehlen und wohl gar aus der Welt zu schaffen?“

„Sagt das Letztere nicht,“ entgegnete wehmüthig bittend der Müller und reichte, wie um Verzeihung flehend, dem Fremden die Hand, welche dieser, ihn ermuthigend, lächelnd schüttelte. „Ich hätte nicht den Muth gehabt, Euch zu tödten, auch wenn Ihr nicht erwacht wäret. Aber das Entsetzliche meiner Lage, welche mich zwingt, schon heute mit meinem Kinde als Bettler Haus und Hof zu verlassen, ließ mich irre werden an Gott und den Menschen.“

„Und warum müßt Ihr von hier fort?“ frug theilnehmend der Fremde.

„Ich schulde dem Besitzer des Kratzhammers bei Lauenstein 500 meißnische Gülden und 50 Gülden rückständige Zinsen,“ begann der Müller, „und habe ihm dafür Haus und Hof verschrieben auf Wandelpön. Der Termin der Zinszahlung ist heute, ohne daß ich einen einzigen Gülden aufzutreiben vermochte, und daher vertreiben mich bis Mittag 12 Uhr die Gerichte zu Lauenstein auf Antrieb meines Gläubigers und des Oelsengrundmüllers mit Kind und Magd aus der Mühle.“

„Schuldet Ihr denn dem Oelsengrundmüller auch etwas? und ist dies derselbe, den man in hiesiger Gegend den schwarzen Mattheus nennt?“ frug aufmerksam der junge Mann.

„Nein, diesem schulde ich nichts, und es ist derselbe,“ entgegnete der Müller. „Aber er wirbt um meine Tochter, und will für mich zahlen, wenn ich ihm Agathen überliefere, und drängt daher meine Gläubiger, mir nicht länger Gestundung zu geben und mich auf's Aeußerste zu treiben, um mich zu zwingen, sein Begehr zu erfüllen. Doch“ – fuhr er mit wildem Grimme fort – „ehe ich diesem Unhold mein armes Kind überlasse, eher suche ich und Agathe Rettung im kühlen Wassergrabe.“

„Ei was! schämt Euch und verbannt solche sündige Gedanken,“ sprach mit strafendem Ernst der Fremde. „Die 500 Gülden kann ich Euch leider nicht schaffen, aber was die Zinsen betrifft, so will ich um Eurer Tochter willen es wagen, Euch diese zu leihen.“ – Nach diesen Worten zog der junge Mann aus seiner Brusttasche einen ledernen Beutel hervor und zählte die 50 Gülden in Gold auf den Tisch.

„Ist es denn möglich? Dies wollet Ihr mir als Darlehn anvertrauen?“ frug, kaum glaubend, daß ihm Hülfe noch werde, der Müller staunend.

„Gewiß,“ entgegnete lachend der Fremde. „Es ist ja eben so gut, als vertrauete ich Euch diese Summe an, um sie mir aufzuheben, bis ich wieder hierher zurückkehre.“

„Und wann kehret Ihr wieder?“ frug der Müller, tief gerührt von dem Edelmuth des Fremden, dessen Eigenthum und Leben er bedroht.

„Wenn die Schwalben wiederkehren und es auf Euren rauhen Höhen Frühling wird,“ entgegnete dieser.

„Aber!“ fuhr der Müller fort und stützte sein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 540. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_548.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)