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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

endlich dort, denn ich kann meine Ungeduld kaum mehr bezähmen.“

„Denke an die mildthätigen alten Mönche, an die Damen und reichen Bürger!“ hob der Jüngere mit Begeisterung wieder an.

„Ja und an die Früchte, die zum Wegnehmen dastehen, und an das Gold, das auf dem Pflaster zu finden ist,“ fügte der Andere mit schlecht verhehltem Hohne hinzu.

„Wir müssen einander sehr häufig sehen, Sanchez; es wird gar zu hübsch sein, mit Jemand reden zu können, den man kennt – nicht wahr? O welche angenehme Aussichten!“

„Ei ja, sehr angenehm – für mich,“ entgegnete der Andere. „Aber was Dich anlangt –“

„Wie, Sanchez, habe ich weniger Hoffnung als Du? Ich kann mich auf verschiedene Weise nützlich machen.“

„Für mich sind die Aussichten gut, wollte ich sagen,“ wiederholte Sanchez, „und sie könnten es auch für Dich sein, Nazas, wenn nicht etwas wäre –“

„Und was ist das? O sage es mir – sage es mir schnell, damit ich es beseitigen kann.“

„Du würdest Dich wohl genug befinden, denke ich,“ hob Sanchez mit wildem Tone wieder an – „aber es giebt einen Grund dagegen – und der ist, weil Du nie dorthin kommen wirst.“

„Nie dorthin kommen!“ rief der arme Jüngling, mit Entsetzen seinen Gefährten anblickend, dessen Gesicht noch finsterer wurde.

„Du wirst nie dorthin kommen, sage ich Dir!“ rief der Elende, indem er bemerkte, daß sie jetzt den Mittelpunkt des bereits erwähnten schmalen Bergrückens erreicht hatten. „Nieder auf Deine Knie!“ fuhr er fort, seinen Gefährten an der Gurgel fassend. „Nieder auf Deine Knie. Gieb mir jeden Grano, der sich in deiner Tasche befindet, und schwöre mir bei allen Heiligen, daß Du sogleich nach dem Dorfe zurückkehren und niemand sagen willst, was zwischen uns vorgefallen ist – oder ich werfe Dich wie einen todten Hund über diesen Felsen. Schwöre – schwöre.“

„Ich schwöre!“ rief Nazas, erschrocken auf seine Knie fallend. „Ich schwöre bei allen Heiligen, bei der heiligen Jungfrau, beim heiligen Petrus und Lazarus – aber schone mein Leben! Ich schwöre!“

„Schwöre, daß Du nie irgend einem Menschen entdecken werdest, was Dir widerfahren ist, oder Du kannst Dich darauf verlassen, daß ich Mittel finden werde, Dich selbst bis in das Dorf zu verfolgen.“

„Ich schwöre beim heiligen Paulus und Mathias, bei der heiligen Clara und Barbara –“

„So, nun gieb mir Dein Geld – jeden Grano muß ich haben – oder ich werfe Dich in diesen Abgrund. Ist dies alles? Hast Du nicht mehr? Ich muß selber nachsuchen. So! Nun danke dem Himmel, daß Du so leichten Kaufs davon gekommen bist – und nimm Dich in Acht.“

Seine getäuschten Hoffnungen beklagend und aufrichtig bedauernd, mit einem solchen Gefährten seine Heimath verlassen zu haben, trat der arme ausgeplünderte Jüngling entmuthigten Herzens den Rückweg an.

Er hatte nur erst eine kleine Strecke zurückgelegt, als er sich unwillkürlich umdrehte, um noch einen letzten Blick nach der Richtung zu senden, wo die heißersehnte Hauptstadt lag – und indem er dies that, überfiel ihn plötzlich ein Schauder wie im Vorgefühle einer drohenden Gefahr. Er blickte zum Himmel empor – er war jetzt heiter und unbewölkt – und dann richtete sich sein Blick auf den Boden zu seinen Füßen. Er befand sich allerdings auf dem schmalen Felsenpasse, aber er schmiegte sich dicht an die Felsen und hatte daher, wie er glaubte, nichts zu fürchten. Aber in diesem Augenblicke drehte sich auch der Bösewicht Sanchez, sein zeitheriger Gefährte um und als dieser sah, daß sein Opfer zögerte und zurückblickte, erhob er mit drohender Bewegung seine Hand und kam schreiend einige Schritte zurück.

Diese Bewegung und die Besorgniß, die sie einflößte, waren für die Geistesgegenwart des jungen Indianers zu überwältigend; er verlief den sicheren Halt am Felsen, suchte dem vermeintlichen Verfolger zu entfliehen, glitt aus, stürzte in den Abgrund und war ein lebloser verstümmelter und zerschmetterter Körper, ehe er den Grund der Tiefe erreichte. Sein Gefährte kehrte nach der Stelle zurück, wo der Jüngling hinabgestürzt war, betrachtete einen Augenblick den in der Tiefe liegenden entseelten Körper, ohne eine Spur von Bewegung oder Reue zu verrathen, ging dann davon und erreichte bald nachher die Thore der Hauptstadt.

Aber Sanchez war – so wenig er es auch vermuthet hatte und so selten Entdeckungen dieser Art in diesem Lande vorkommen mögen – von dem Augenblicke an, wo er nach dem Felsen zurückgekehrt war, von einem Arriero beobachtet worden und wurde daher gleich nach seiner Ankunft in der Stadt ergriffen. Die hier mitgetheilten Einzelheiten gestand er in dem Verhöre vor den Administradores.

Der nächste Rechtsfall, der die Aufmerksamkeit der Richter beschäftigte, war ein Gegenstand sehr kläglicher Art. Der Gefangene war ein elender hinfälliger Mensch, der mit seinen buntscheckigen Lumpen kaum seine Blöße bedecken konnte und dessen eingefallenes Gesicht durch Hitze und Wetter fast geschwärzt war. Die gegen ihn erhobene Anklage war eine zweifache, er hatte sich als Fremder ohne Erlaubniß oder carta del seguridad in’s Land eingeschlichen und nachdem er mehrere Monate ziemlich schlecht von milden Gaben gelebt, endlich seinen Hunger unrechtmäßiger Weise auf Kosten anderer gestillt. Seine äußere Erscheinung und noch mehr die ängstliche zitternde Stimme, womit er die Einzelheiten seiner Vertheidigung vorbrachte, rührten mich.

„Ich bin aus Quito gebürtig,“ sprach er (ich gebe seine Erzählung in etwas zusammenhängenderer Form als er sie selber vortrug) „und wollte der Himmel ich wäre in diesem Augenblicke in meiner Heimath, denn ich liebe sie, so stürmisch und gefährlich sie auch ist. Dort verlebte ich meine Zeit in Freude; ich war glücklich und unabhängig; ich besaß meine einstöckige Hütte (dort sind alle Häuser niedrig und alle Gemächer befinden sich im Erdgeschosse) und sie war mit Bewohnern und Vorräthen versehen. Ich war gesund und besaß Freunde,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 559. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_567.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)