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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Betty, wollen Sie meine Frau werden? Ich bin zwar nur ein armer Schreiber, aber ich habe ein redlichen Herz.“

Sie schlug die Augen erröthend nieder.

„Kannst Du mich lieben, Kind?“ fragte er mit überwallendem Gefühl.

Sie nickte stumm und reichte ihm die Hand. Er küßte diese Hand und sagte: „Ich liebe Dich unaussprechlich. Du hast mir das Leben gerettet.“

Wenige Tage später in der Morgenfrühe ging das Pärchen, einfach aber anständig gekleidet, und vom alten Smid begleitet, nach der nächsten Kirche, wo es still getraut wurde. Wonnebebend schloß Stauton sein Weibchen an das Herz und küßte sie auf die Stirne. Vor der Kirche hielt ein prächtiger Stadtwagen. Der gallonirte Diener öffnete ehrerbietig den Schlag. „Hinein!“ rief der glückliche Gatte der ihn mit stumm fragendem Staunen anblickenden jungen Frau zu. Eh’ sie sich’s versah, saßen sie alle drei in der Kutsche, die im Fluge davon fuhr. Vor einem hohen prächtigen Hause in Westminster hielt sie. Reich gekleidete Dienerschaft hob sie heraus und führte sie in glänzend decorirte Zimmer. „Hier ist Eure Herrin!“ sagte Stauton zu der Dienerschaft. „Bezeigt ihr Eure Ehrfurcht und erfüllt ihre Befehle. –

„Mein holdes süßes Kind, ich bin Lewis Stauton, einer der reichsten Männer dieser reichen Stadt. Dieses Haus ist Dein Eigenthum, diese Diener und Dienerinnen sind die Deinigen. Ich habe die Bürgschaft von Dir in der Hand, daß der Reichthum Dein reines Kindesherz nicht verderben wird. Hier ist sie, das Gebetbuch Deiner Mutter. Sieh, was Du hineingeschrieben:

„Und wenn Du mir alle Schätze der Welt gäbest, mein Gott, ich würde Deine demüthige Magd bleiben. Denn was ist Gold vor Dir, der Du auf die Herzen siehst? Dein ist mein Herz und soll es bleiben.“

„Gott und Dein, mein Lewis,“ flüsterte Betty und sank sanft erröthend an seine Brust.

„Hurrah, der Sprung von der Blackfriarsbrücke!“ rief Stauton seelenvergnügt und umarmte seinen Schwiegervater.




Der alte Herr.

Er war ein geborner großer Mensch, ein Mann aus dem Ganzen.
Goethe über den „alten Herrn.“ 

So nannten ihn in seinen späteren Tagen vertraulich unter sich die ihn liebten, und außer den Schlechten, die ihn zu fürchten hatten, liebten ihn Alle.

Seinen Namen, liebe Leser, habt Ihr oft nennen gehört, – das Gute aber, was er gewirkt, ist in seiner vollen Bedeutung Wenigen bekannt. Ihr Alle genießt es mit. Laßt Euch eine kleine Skizze seines Wesens und Wirkens gefallen. – Der Beschreibung seines Aeußern überhebt mich das treue Bild, das hier vor Euch steht. Außer bei festlichen Gelegenheiten ging oder fuhr oder ritt der alte Herr nie anders einher, als in dieser einfachen Kleidung.

Die Geschichte nennt ihn Großherzog Karl August von Weimar, die Literaturhistorie den „Dichterfürsten,“ das Volk, das ihn noch jetzt wie einen Vater liebt und ehrt, den „alten Herrn.“ –

Als er in dem alten Schloß zu Weimar auf unserm wirren Planeten ankam, schrieb man den 3. September 1757. Das war für die Menschwerdung eines Fürstenkindes eine einigermaßen hindernißliche Zeit. Da wuchsen die Prinzleins noch in dem festen Glauben auf, nur Fürsten und Adel seien Menschen, und diesen zum Nutzen und Vergnügen laufe das übrige Volk in Städten und Dörfern herum, wie Hirsche, Hasen, wilde Schweine in Wäldern und Feldern. Zehn Jahre erst war der gute alte Dessauer todt, der als hoffnungsvoller Prinz schon in blinder Eifersucht einen unschuldigen Verwandten seiner nachherigen Frau Gemahlin Liebden, der Apothekerstochter Fehse, vor deren Augen niederstach, ohne daß im ganzen heiligen römischen Reiche ein Hahn danach gekräht hätte. Der gute alte Dessauer, der alle Menschen, die nicht im Soldatenrocke staken, gründlich verachtete, dessen höchster Genuß blutiges Schlachtengemetzel war. Karl August verlor schon im zweiten Jahre seines Lebens den Vater, Ernst August Konstantin. Aber seine Mutter war die geistreiche und aufgeklärte Fürstin Amalie, der edle Graf Görz sein Erzieher, Wieland sein Lehrer. Unter den Einflüssen dieser ausgezeichneten Geister wuchs er gedeihlich empor. Als er in seinem vierzehnten Jahre Friedrich dem Großen in Braunschweig vorgestellt wurde, äußerte dieser tiefblickende Menschenkenner, er habe noch nie einen jungen Menschen – er sagte nicht Prinzen – von diesem Alter gesehen, der zu so großen Hoffnungen berechtige. Diese Worte sprach ein König, der jedem Preußen erlaubte, „nach seiner Façon selig zu werden.“

Karl August hatte einen jüngern Bruder, Konstantin: dieser starb im Jünglingsalter, und gehört nicht in meine Skizze. Mit beiden hatten Mutter und Erzieher wohl zuweilen ihre Noth. Beide Prinzen waren Wildfänge, die, von üppiger Jugendfülle überströmend, manchen tollen Streich begingen. Doch mußte sich Karl August bald ein wenig zu fassen suchen. Denn schon 1774, in seinem siebzehnten Jahre, wurde er von Kaiser Joseph für majorenn[WS 1] erklärt, und trat bald darauf die Regierung des Landes an.

Der junge Herzog war ein zwiefaches Wesen. Kräftig und gewandt in allen ritterlichen Künsten, die er leidenschaftlich trieb, umfaßte er mit gleicher Liebe die ernstesten Studien. Heute auf feurigem Rosse dem Hirsche nachjagend, gleich einem englischen Sportsman über Hecken und Gräben setzend, saß er morgen anhaltend über belehrenden Büchern und sammelte sich Schätze des Wissens. Sein philosophischer Geist kam bald zu der Einsicht, daß der Stand des Menschen an sich nichts sei, als ein günstiger oder ungünstiger Zufall. Er fühlte, daß der Mensch allein geadelt werden könne durch höhere Bildung. Daraus entstand zunächst eine gründliche Verachtung aller Hofetikette. Die „spanischen Stiefeln“ nannte er sie, in die er nicht kriechen wolle. Daher die Einfachheit und Ungezwungenheit seines ganzen Wesens und Behabens. „Ich habe mit ihm gesprochen wie mit einem Menschen,“ erzählte ein Bürger treuherzig, als er von ihm kam, und der sonderbare Ausdruck sagt nicht uneben, wie Karl August schon damals seinem Völkchen erschien. Das war aber zu jener Zeit eine ungewohnte Erscheinung. Die Höfe bis zu den kleinsten herab spielten alle noch Ludwig XIV. Auch Weimar war ein kleines Versailles.

Außer den höhern Hofchargen krabbelten Mohren, Haiducken, Laufer, Jäger, Husaren, Pagen u. s. w. in buntem Gewirr durch die Vorzimmer. Karl August nannte sie „die Hofmenagerie.“ Er ließ sie aus Pietät für seine Mutter, später für seine Gemahlin, fortvegetiren, nahm aber selbst keine Notiz von dem Zeug. Zu Pferde, einen Reitknecht hinter sich, oder auf einer kleinen Droschke mit einem Lakai auf dem Hintersitz, in derselben einfachen Kleidung, wie wir ihn hier auf dem Bilde sehen, und nie ohne die Cigarre im Munde ritt oder fuhr er aus oder machte er größere Reisen.

Die Art, wie Karl August mit Goethe bekannt geworden, kennzeichnet sein Wesen besonders.

Wieland war der Erste, der unter Amalien’s Regierung den Reigen der großen Geister eröffnete, der später das kleine Weimar so groß machte. Man war mit Recht stolz auf seinen Besitz und er war das gehätschelte Schooßkind des Hofes und der Stadt.

Da flatterte von dem bekannten frechen Blatt: „Götter, Helden und Wieland“ auch ein Exemplar nach Weimar. Wieland’s Alceste wurde darin mit beißendem Spott gegeißelt. Wäre das Ding ein bloßes Pasquill gewesen, man hätte es verziehen. Bosheit ohne Geist verletzt nicht. Aber es waren Lessing’sche Schläge darin, Gründe, die wie spitze Dolche in das Bewußtsein fuhren; man konnte die Wahrheit nicht wegläugnen, und das schmerzte. Alles was von Bildung in Weimar lebte, war auf’s Aeußerste empört über den unerwarteten Blitz, der auf das ruhmgekrönte Haupt des verehrten Dichters geschleudert worden. – Wer ist der Verfasser? fragte man erbittert überall. Ein junger Mensch, in Frankfurt am Main lebend, bekam man endlich heraus. Goethe

Anmerkungen (Wikisource)

  1. volljährig, mündig
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_004.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2020)