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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

daselbst festhalten. Man denke sich aber in jenem düstern Aufenthalte die Dichter, Denker, in betreßten, langschößigen Röcken, kurzen, engen Beinkleidern, seidenen oder auch nur baumwollenen Strümpfen, gold- und silberbeschnallten Schnäbelschuhen, Perrücken, oder gepudertem Haar mit langen steifen Zöpfen, den kleinen dreieckigen Hut unter dem Arm, den Degen an der Seite, – man denke sich Goethe, Wieland, Herder, Schiller, Knebel, so durch die engen Straßen zur Mittagstafel nach Hof wandelnd. Dies alles konnte sinnliche Dichternaturen nicht anziehen. Was sie fesselte, war die wahre, ungeheuchelte Achtung, die Karl August ihnen zollte. Ihnen gegenüber war er nicht Herzog, war er ein weiser, liebevoller Mensch, mit warmem, wohlwollendem Freundesherzen. Er zog sie an, nicht um mit ihnen zu prunken, sondern seinem geistigen Bedürfniß Nahrung zu verschaffen. Die Gespräche, die er mit ihnen über die mannigfaltigsten Materien geführt, wären sie uns aufbewahrt, man würde erstaunen, was Alles in dem Kopf und Herzen dieses seltenen Fürsten gelebt.

So lieb und werth ihm aber von der Natur geadelte Menschen waren, mit so großer Aufrichtigkeit er sie seine Freunde nannte, so wußte er doch seine Fürstenwürde und seine Fürstenpflicht auch ihnen gegenüber zu bewahren. Durften sie als seine Freunde alles Gute von ihm erwarten, so wäre es ihnen doch unmöglich gewesen, auf diese Freundschaft und Vertraulichkeit hin irgend etwas bei ihm durchzusetzen, das mit seinen allgemeinen Pflichten für seine Unterthanen, oder mit seinen gefaßten Ueberzeugungen von der Nützlichkeit oder Nothwendigkeit einer Sache sich nicht hätte vereinigen wollen. Es mochte ihm das zuweilen peinlicher sein, als er sich merken ließ, aber er war in solchen Fällen weder durch rasche Angriffe zu überrumpeln, noch durch wiederholte Versuche weich und nachgiebig zu machen.

Mancherlei Noth in dieser Beziehung verursachte ihm besonders Herder. Dieser reizbare, starre, rechthaberische Kopf konnte seinen Gelehrtenstolz und seine hierarchische Herrschsucht nicht bemeistern; er wollte überall der Erste sein. Auch war er nicht frei von Neid. Daß er Goethe, den er in Straßburg als Student verehrend zu seinen Füßen gesehen, in Weimar nicht blos neben, sondern später sogar über sich sehen mußte, machte ihm oft böses Blut. So fehlte es Herder nicht an Conflikten mit Untergebenen, mit dem Publikum, mit Kollegen, Vorgesetzten, ja mit Karl August selbst. Dieser aber blieb sich gleich. Er war des großen Denkers Freund, gebot ihm indessen nöthigenfalls als Landesherr in einer Weise, die alle weitere Appellation kurz abschnitt. Es wären interessante Fälle zu erzählen, aber wir dürfen uns nicht in’s Einzelne einlassen, wenn aus der kurzen Skizze nicht ein Buch hervorwachsen soll.

Wie Karl August alle Arten von Dunkelmännern zuwider sein mußten, kann man sich von einem solchen aufgeklärten Geiste denken. Sie standen in gar schlimmem Ansehn bei ihm. Was sie unter dem Deckmantel der Religion seit Jahrhunderten ihres Vortheils wegen der wahnbefangenen Menschheit Uebles zugefügt, das konnte ihn, wenn die Rede darauf kam, in früheren Jahren namentlich, wo er sich noch rücksichtsloser seinem Temperamente überließ, in helle Zornesflammen auflodern machen. Redliche, von wahrhaft christlichem Geiste beseelte Diener der Kirche dagegen ehrte und achtete er aufrichtig, und es existiren viele Beispiele, daß er diese mit großer Auszeichnung behandelte. Ein Mann wie Röhr (der Generalsuperintendent) stand in hohem Ansehn bei ihm. Nur die Anmaßenden haßte er, und diese haßten ihn wieder, weil er ihre Macht nicht anerkennen und nicht fürchten wollte und wie sie mit heimlichem Ingrimm wohl erkannten, nicht zu fürchten brauchte. Denn er verdummte sein Völkchen nicht, er klärte es auf. Die Intriguen dieser Leute konnten daher Karl August nicht gefährlich werden; Hirtenbriefe, die allergehorsamst zum frechsten Ungehorsam gegen die Staatsgewalt aufreizten, hatte er nicht zu fürchten. Entschieden trat er dem geistlichen Hochmuthe entgegen, der unter der Maske christlicher Demuth hervorglitzerte. Da liefen, um ein Beispiel anzuführen, von dem Eisenacher Konsistorium einst Klagen über neologische, d. h. neuerungssüchtige Vorlesungen, die in Jena gehalten würden, an ihn ein. Es waren damit Paulus’ Vorlesungen über Dogmatik gemeint. Die geistlichen Herren erwarteten wenigstens eine demüthige Controverse des Landesherrn. Glaubt doch mancher Dorfpfarrer mit der höchsten weltlichen Macht gleich und gleich verhandeln zu dürfen. Und wird die Hierarchie doch heute noch von manchem mächtigen Fürsten durch Rücksichten und Nachsichten in diesem kitzelnden Glauben bestärkt.

Karl August verachtete diese Anmaßungen, und drückte das auf die fatalste Weise aus. Vergeblich warteten die gestrengen Herren in Eisenach auf Einstellung jener Vorlesungen oder wenigstens auf eine Entschuldigung des Herzogs. Es kam gar keine Antwort.

Eine Anecdote mag hier folgen, die den Charakter des alten Herrn näher beleuchtet.

Den Sommer über bewohnte Karl August das römische Haus im Park. Er hatte da nur einen Lieblingslakeien zur Bedienung, und einen Husaren für schnelle Aufträge nach der Stadt. Oft wandelte er mit der geliebten Cigarre im Munde in den schattigen Gängen herum, oder hing auf einer Bank unter der Colonade sitzend seinen Gedanken nach. An einem schönen Sommerabend geht ein junger Bürgersmann, Sattler seines Handwerks, in heiterer Bierlaune von dem nahen Dorfe Oberweimar nach Hause. Als er auf dem breiten Wege, der durch den Park nach der Stadt führt, in die Nähe des römischen Hauses kommt, sieht er am obersten Rande einer Treppe, die in die untern Theile des Gebäudes führt, seinen Freund, des Großherzogs Leiblakei, mit dem Rücken dem Wege zugekehrt, in einem Buche lesend, sitzen. Bei diesem Anblick wandelt den Spaßvogel die Lust an, einen Scherz auszuführen. Vorsichtig schleicht er heran, stellt sich seitwärts in gehörige Positur, holt aus, und zischend fährt sein Spazierrohr hernieder auf den breiten Rücken des in die Lektüre Vertieften.

Verwundert dreht sich der Getroffene um, und – wie vom Donner getroffen stürzt der Bürger auf die Knie mit hoch erhobenen flehend gefalteten Händen, rufend: „Gnade! Gnade! Königliche Hoheit!“

Es war der alte Herr, der Großherzog von Weimar, der den kräftigen Hieb empfangen. Die Verwechselung war in der Dämmerung leicht. Der Lakei hatte eine ähnliche Figur und trug dieselbe Kleidung wie sein Herr, Soldatenmütze, grüne Pikesche, graue lange Beinkleider.

Aus des alten Herrn Antlitz schoß im ersten Augenblick ein fürchterlicher Zornesblitz auf den Knieenden. Aber sogleich die unglückliche Verwechselung begreifend, dreht er sich ohne ein Wort zu sagen wieder um und fährt ruhig in seiner auf eine so unerwartete Weise unterbrochenen Lektüre fort.

Der zum Tode erschrockene Spaßmacher kriecht einige Schritte hinterwärts auf den Knieen fort, springt dann plötzlich wie ein angeschossener Eber auf und fort, kommt leichenblaß und verstört nach Hause, legt sich an allen Gliedern zitternd in’s Bett, zieht die Decke über sich, und bringt in Todesschweiß gebadet und von den furchtbarsten Vorstellungen gepeinigt eine fieberische Nacht zu.

Am andern Morgen, als der Lakei Karl August das Frühstück mit einer außergewöhnlichen Demuth servirt, fragt der Herzog ihn ruhig über dies und jenes Gewöhnliche. Endlich sagt er wie beiher: „Apropos! Du hättest mich beinah nicht lebend wieder gesehen. Gestern Abend wurde ein Mordanfall auf mich gemacht!“

„Ach! Königliche Hoheit,“ erwiedert der Lakei ängstlich aber mit Zornesröthe im Gesicht, und in seiner Kraftsprache, die der Herzog dem erprobten Diener nicht übel nahm, „Lassen Sie Gnade für Recht ergehen! Ich weiß wohl, der Ochse glaubte – Seine Mutter hat mich gegen Morgen herausgeklopft, er ist in Verzweiflung – er will fort.“

„Ich konnte mir’s denken, daß der Schlag Dir gegolten,“ sagte der Herzog.

„Ach ja, Königl. Hoheit, ein Scherz für mich.“

„Den Teufel auch,“ erwiederte der Herzog, „ein Scherz! Du kannst Dir gratuliren, daß Du ihm entgangen. Ich werde die Spur davon einige Zeit herumtragen!

„Heiliger Gott! das Vieh!“ fährt der Lakei heraus.

„Wer ist denn Dein geistreicher Freund?“ fragt Karl August etwas spöttisch.

„Die gutmüthigste, beste Seele von der Welt, Königl. Hoheit. Ein treuer Unterthan, ein friedlicher Bürger, ein guter Sohn, der seine alte Mutter ernährt und liebevoll pflegt, nur etwas plump, etwas ungehobelt. Der liebe Herr Gott muß ihn ganz und gar mit Blindheit geschlagen haben, daß er – – aber, nicht wahr, Königl. Hoheit verzeihen ihm?“

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