Seite:Die Gartenlaube (1854) 023.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Führer sein, die lachten, sangen und scherzten; aber wenn wir an solche Stellen kamen, war der strenge, ernste Blick, der die Stelle des Lächelns einnahm, ein sicheres Zeichen großer Gefahr; augenblicklich, sobald wir an ihr unversehrt vorbei waren, kehrte das Lächeln zurück… Eine breite Eismasse setzte sich jetzt unserm Vorschreiten entgegen: wir erklommen ihre Seiten und passirten sie. Sie bildete eine Brücke über einen Spalt von großer Weite, der außerdem unserer Expedition ein Ende gemacht haben würde. Nachdem wir uns eine Zeit lang zwischen Klüften und ungeheuren Felsspitzen gewunden hatten, kamen wir an den Rand eines andern Spaltes, über den wir nur Eine Brücke sehen konnten, die nicht von Eis, sondern nur von Schnee und so dünn war, daß es unmöglich schien, sich ihr anzuvertrauen. Ein Plan ward entworfen, der den Uebergang ermöglichte. Man legte die Stöcke darauf; die Mitte gab nach und fiel in den Abgrund, an jeder Seite blieb aber noch genug, um Anhaltpunkte für die Stöcke zu geben, von denen dann 9 eine schmale, freilich mit größter Vorsicht zu passirende Brücke bildeten.“ Ueber andere zu weiche oder zu breite Schneebrücken half man sich durch das Hinüberziehen der Einzelnen, nachdem es vorher einem starken Führer gelungen war, hinüberzukriechen.

Mit allen diesen Mühseligkeiten war indeß doch erst die Hälfte, wenn auch die etwas größere, des Weges auf den Berg zurückgelegt, und zwar bis zu zwei spitzen Felsengipfeln, die man die Grands und Petits Mulets nennt. Die ersteren bieten gewöhnlich den Reisenden während der ersten Nacht der Tour Obdach, manchmal auch während der zweiten, denn Auf- und Herabsteigen erfordert häufiger drei als zwei Tage. Auldjo und seine Begleiter fanden die Grands Mulets durch eine fürchterliche Spalte unmittelbar an ihnen fast unzugänglich. Auch ein ungemein hoher Eiswall mußte mittels in das Eis gehauener Stufen erstiegen und dann eine Zeit lang auf seiner engen Höhe, die allenthalben in unergründliche Abgründe abfiel, hingegangen werden. Hier gleitete Auldjo aus und rutschte hinab, so weit das Seil reichte, mit dem er an die Führer befestigt war. Erst dann zogen diese, selbst feststehend, den Reisenden, der nun selbst mithelfen konnte, wieder zu sich und in Sicherheit. Dies Verfahren ist einleuchtend. Hätten sie während seines Hinabgleitens versucht, ihn aufzuhalten, hätten Alle das Gleichgewicht verlieren und hinabstürzen können. So galt es vor Allem, daß die Führer selbst festen Fuß faßten, um dann den Hinabgeglittenen sicher emporziehen zu können. Der Platz für die nächtliche Ruhe der Reisenden ist ein Felsenriff in der Nähe des Gipfels der Grands Mulets. Gegen den Felsen gelehnte Stöcke bilden eine Art Zelt. Dr. Barry (der 1834 den Berg bestieg) fand die Luft hier 40° Fahrenheit warm, litt also nicht vor Kälte. Ueber die beispiellos großartige und eindrucksvolle Scenerie, welche Barry, als er um Mitternacht aus seinem Zelte trat, erblickte, äußert er sich in folgenden Worten: „Es war eine herrliche Nacht. Der Vollmond war über den Gipfel des Berges aufgestiegen und schien glänzend auf die glatte Oberfläche seiner schneeigen Decke. Die Führer schliefen. So, in mitternächtiger Stunde, auf einer Erhöhung von 10,000 Fuß, stand ich – allein: mein Ruheplatz eine Felsenspitze, die sich dunkel über die erstarrte Wüste aufthürmte, aus der sie isolirt sich erhob. Unter mir lagen in wildester Unordnung aufgepfeilert die colossalen Eismassen, die wir erklommen hatten und deren Gefahren wir kaum entgangen waren; ringsum und oberhalb war ein See schönen aber verrätherischen Schnees, dessen versteckte Gefahren wir noch zu überstehen hatten. Das Juragebirg und mancher unbekannte Gipfel des Schweizerlandes, in der Entfernung dunkel erscheinend, gaben mir einen Vorgeschmack der Aussicht von noch erhabeneren Regionen. Das Thal von Chamouny ruhte schlafend am Fuße des Berges; und nur gelegentlich von dem donnernden Falle einer Lawine unterbrochen, herrschte das tiefste Schweigen. Es schien das unermeßlichste, ernsteste, erhabenste Bild einer ruhenden Natur – jetzt auffahrend wie in einem Fiebertraum – dann wieder in die tiefste Ruhe versinkend.“

Zwischen den Grands Mulets und dem Fuße des ausdrücklich Montblanc genannten Gipfels geht der Weg im Zickzack längs einer weiten aufsteigenden Rinne, die durch drei Eisfelder unterbrochen ist, deren letztes und breitestes das Grand Plateau genannt wird. Dieser Theil des Wegs ist vielfach durch Spalten und die Trümmer von Lawinen unterbrochen, ungeheure Massen, die jedoch wie vorher, manchmal als Brücken über die Klüfte dienen. Mit dem Beile eingehauene Stufen, um Platz für Füße und Hände zu bekommen, müssen auch hier helfen. Auldjo und seine Gefährten nahmen ihr Frühstück an einer hohlen oder hängende Brücke von Schnee, die ihnen Schutz vor dem scharfen Wind gewährte, der über das Eis blies, deren Fall sie aber auch unrettbar in den nahen Abgrund gestürzt haben würde.

Etwas über dem großen Schneerücken des Grand Plateau beginnt der Reisende gewöhnlich großen Durst und große Trockenheit der Haut zu empfinden, während der Reflex der Sonnenstrahlen von dem glitzernden Schnee nur durch den Gebrauch grüner Brillen oder eines grünen Schleiers ertragen werden kann. Das Aufsteigen längs der obern Firsten bis zur Spitze ist äußerst schwierig, theils wegen der größern Steile, theils wegen natürlicher Erscheinungen. Die in dieser Höhe sehr dünne Atmosphäre erzeugt bei der geringsten Anstrengung Entkräftung und Athemlosigkeit. Man kann nur wenige Schritte auf einmal thun und diese werden immer weniger und langsamer. „Zwei oder drei tiefe Einathmungen,“ sagt Dr. Barry, „scheinen nach jedem Stillstande hinreichend, um mir das Weitergehen zu ermöglichen; aber bei dem Versuche fand ich, daß die Athemlosigkeit wie vorher zurückkehrte. Eine kleine Ohnmacht wandelte mich an, so daß ich mich für einige Minuten setzen mußte; als nach einem kleinen Schlucke Weines eine größere Anstrengung gemacht wurde, und wir endlich auf dem höchsten Gipfel standen.“ Mister Auldjo scheint in einem noch elenderen Zustande gewesen zu sein: er war erschöpft, äußerst ermüdet, dem Ersticken nahe von der Trockenheit seines Gaumens und der Athemschwierigkeit; sein Kopf brannte schmerzhaft; seine Augen schmerzten entzündlich; der Reflex des Schnee machte ihn fast blind und brannte und zog zugleich sein Gesicht in Blasen auf. Er wollte nicht weiter; aber seine Führer entschlossen sich, ihn hinaufzutragen, ehe sie ihn der Enttäuschung, vor dem Ziele zurückgewichen zu sein, aussetzen wollten.

Oben änderte sich dies. „Nach wenigen Minuten Ruhe auf dem Gipfel (der ein von Morgen gegen Abend sich erstreckender Grat ist, an der höchsten Stelle beinahe horizontal und so schmal, daß zwei Personen kaun nebeneinander gehen können) war alle Erschöpfung, Schwäche und Gleichgültigkeit gewichen; die Bergspitze war gewonnen – die Gefahren des Hinabsteigens wurden für einen Augenblick vergessen – und es geschah mit einem nie vorher gefühlten Freudenschauer, daß ich mich an die Betrachtung des Anblickes umher und unter mir machte. Der Gesichtskreis, obgleich durch Bergketten in verschiedenen Richtungen begränzt, umfaßt beinahe ganz Sardinien (Savoyen und Piemont), die westliche Hälfte der Schweiz, ein Drittel der Lombardei und ein Achtel von Frankreich – ja bis zu den Bergen Toskana’s reicht der Blick – Alles dies unter einem Himmel buchstäblich ohne eine Wolke.“ Saussure und Dr. Barry zündeten Feuer auf dem Gipfel des Montblanc an, da aber bei der äußersten Dünne der Luft, welcher der Sauerstoff fehlt, nur durch unablässigen Gebrauch von Blasbälgen unterhalten werden konnte. Der Siedpunkt des Wassers ward von Saussure auf dieser Höhe bei 187° Fahrenheit gefunden (45 Grad unter dem Punkt, auf dem es in der Ebene siedet). Die Dünne der Luft vermindert auch die Wirkungen des Schalles. Eine abgefeuerte Pistole knallt schwach, etwa wie eine Rakete, was theilweise auch von dem Mangel jeglichen Echo’s und des Abprallens von festen Gegenständen auf diesem so hohen Gipfel herrührt. Die feierliche Stille, welche herrscht, wird kaum durch die Stimme der mit einander Sprechenden unterbrochen, da ihr schwacher Ton mit Mühe gehört wird. Der Körper fühlt sich merklich leichter; Capitän Sherwill schildert dieses Gefühl in den Worten: „Es schien, als könnte ich die Klinge eines Messers unter die Sohle meiner Schuhe bringen oder zwischen sie und das Eis, auf dem ich stand.“ Sonne und Himmel bieten einen eigenthümlichen und herrlichen Anblick; die Farbe des einen ist das dunkelste, tiefste Blau, während die Sonnenscheibe äußerst schmal und von einer vollkommenen und glänzenden Weiße wurde. Dr. Barry erklärt diese Tiefbläue des Himmels aus der gleichzeitigen Aufnahme der Strahlen vom Schnee durch das Auge; nachdem er sich auf seinen Rücken gelegt und so jeden Einfluß des Schnees ausgeschlossen hatte, war die natürliche Farbe großentheils wieder hergestellt. Als Saussure den Berg bestieg, entdeckte man nahe am Gipfel zwei Schmetterlinge, eine kleine graue Phaläne und einen Myrtil, an den obersten Felsen kleine knotige Flechten; so

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_023.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2016)