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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

nun auch das Wesen, das ich nach Marie am meisten geliebt. Ich kann nicht mehr, François.

Die Spitaluhr schlug zwölf Uhr. Joseph, Destouches und ich saßen im kleinen Zimmer der Ordensfrau und löschten die Lichter des Christbaumes aus. Vom Krankensaale her athmeten nur die regelmäßigen Züge der Schlafenden.

„Sie können bei mir schlafen, Gevatter,“ sagte Destouches zu Joseph; „ich will uns ein Glas Punsch machen, um unsere Kristnakt vollständig zu feiern; der Doctor kann sich sein Glas morgen aufwärmen lassen. Also das nennt man in Deutschland eine Kristnakt … kurios das … sehr kurios.“

Das Kind der Kranken aber, die in der Nacht starb, von der man nicht wußte, woher sie kam, und wer sie war, hat in der Berlinerin eine brave Mutter und in Joseph einen wackern Vater gefunden. Gestern feierten wir den Geburtstag.




Belgrad.

Es ist Pflicht jeder belehrenden Zeitschrift, auch wenn sie keine politischen Tendenzen verfolgt, ihren Lesern bei wichtigen politischen Ereignissen diejenigen thatsächlichen Erläuterungen zu geben, welche zum vollständigen Verständniß der obschwebenden Frage nothwendig sind. Der russisch-türkische Krieg gab uns bereits mehrere Male Gelegenheit zu derartigen erläuternden Mittheilungen, und die Wichtigkeit Serbiens fordert uns auch heute zu einer kurzen erklärenden Skizze auf.

Wenn man die Donau hinab zieht aus deutschen Landen durch Ungarn und immer weiter dem Reiche der Osmanen zu, so erblickt man zum ersten Male den türkischen Halbmond bei Belgrad, das am Einfluß der Sau in die Donau, hart an der östreichischen Grenze liegt. Einem Deutschen fällt dann wohl „Prinz Eugen, der edle Ritter“ ein, der hier die schönsten seiner Lorbeeren pflückte. Manch anderer Kampf noch hat um die stolz emporragenden Wälle Belgrads getobt, und wenig Festungen haben öfter den Besitzer und Gebieter gewechselt. So ist die Hauptstadt Serbiens geschichtlich berühmt geworden durch viele Belagerungen und Eroberungen, stets wichtig geblieben ist sie als Mittelpunkt des Handels zwischen der Türkei und Ungarn. Die Zahl der Einwohner beläuft sich auf 30,000.

Belgrad.

Was von allen Städten der europäischen Türkei gilt, gilt auch von Belgrad: Unansehnliche Häuser, enge Straßen und schlechtes Pflaster, wovon nur einige Stadttheile Ausnahme machen. Die eigentliche Festung, von der Stadt durch einen 400 Schritt breiten Raum getrennt, mit hohen Wällen, festen Thürmen, dreifachen Gräben, Mauern und bombenfesten Kasematten, beherrscht die Donau und birgt eine türkische Besatzung von 3000 Mann, an deren Spitze ein Pascha von drei Roßschweifen steht. Neben Belgrad ist im gewissen Sinne auch das im Innern Serbiens gelegene Krajugewaz Hauptstadt, letzteres wird sogar noch heiliger gehalten als jenes und ist auch der Sitz der serbischen Nationalversammlung.

Unter den zum türkischen Reiche gehörenden christlichen Vasallenstaaten ist Serbien, obwohl nur von etwa dreimal so großem Flächenraum als das Königreich Sachsen und mit nicht einmal 1 Million Einwohner, der wichtigste. Diese Wichtigkeit geht zum Theil aus der Lage Serbiens hervor, welches sich auf dem rechten Donauufer bis in das Herz des osmanischen Reiches erstreckt; weit mehr noch liegt sie aber in dem Nationalcharakter der Serben, die von allen Slavenstämmen der begabteste sind. Kein körperlicher Vorzug geht den Serben ab, und in geistiger Beziehung stehen sie weit über allen übrigen Slaven. Kräftig, abgehärtet, tapfer und unerschrocken, sind sie der türkischen Herrschaft entschieden abgeneigt, ohne sich deshalb gerade nach der russischen zu sehnen.

Die gegenwärtigen Zustände Serbiens wurden im Wesentlichen durch den Frieden von Adrianopel (1829) herbeigeführt; die noch bestehende Verfassung trat jedoch erst 1842 in Kraft. Nach ihr steht Serbien unter dem gemeinsamen Schutze Rußlands und der Türkei; die Türken haben das Besatzungsrecht in Belgrad und empfangen von dem Lande einen jährlichen Tribut von ca. 140,000 Thlrn. Im Uebrigen regieren sich die Serben selbstständig unter einem eigenen Fürsten, zur Zeit Alexander Karagiorgewitsch, der zweitgeborne Sohn des in zahlreichen Liedern gefeierten serbischen Nationalhelden Czerny Georg, der schon zu Anfang dieses Jahrhunderts seinem Lande auf einige Zeit die ersehnte Unabhängigkeit zu erkämpfen wußte.

Da Serbien, wie alle Donaustaaten, an tiefen innern Zerspaltungen leidet, so sehen wir auch bei dem dermaligen russisch-türkischen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_029.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2020)