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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

bei Krankheiten weit langsamer genesen, das ist zu bekannt, da es täglich vorkommt, um es hier noch weiter auszuführen.

Es ließen sich der Beispiele, bei denen wir eben so sehr die starke Liebe zur Heimath, als die Schärfe des Instinktes oder unbewußten Strebens, und die Ausdauer bei Erreichung des Zweckes, anführen; aber aus dem Angeführten wird schon hinreichend und sicher genug hervorgehen und deutlich genug einleuchten, daß die Thierseele ein der menschlichen Einbildungskraft ganz ähnliches Vermögen, ja dieselbe Einbildungskraft, nur in geringerem Grade besitzt, denn sie äußert sich eben so wie bei dem Menschen: in Bildern, in Träumen, im Spiele und als krankhafte Steigerung im Heimweh. Das Traumleben des Thieres ist wie ja selbst das des Menschen noch in großes Dunkel gehüllt, aber mehr und mehr wird es sich aufhellen und manchen Aufschluß mit sich führen, seitdem man von den Wilden Amerika’s erfahren bat, wie man sich von den Träumen der Thiere in Kenntniß setzt. Hängt man einem schlafenden und träumenden Hunde ein Tuch über und deckt man sich dasselbe darauf über den eigenen Kopf und schläft unter ihm, so träumt man denselben Traum, den der Hund gehabt, was mehrfache Versuche bereits außerhalb des Gebietes des Zweifels gesetzt haben. Wie weit man dieses zurück zu verfolgen vermag, ist noch nicht erforscht.

Ebenso leuchtet aus dem Gefühle der Sehnsucht nach der Heimath, aus dem Heimweh bei den Thieren die starke Erinnerungskraft und auch das Unterscheidungs- und Vergleichungsvermögen hervor, denn nur durch das Vergleichen des Früheren mit dem Gegenwärtigen geht das Heimweh hervor. – Daß bei dem Thiere alle diese Geistes- oder Seelenkräfte sich mehr oder weniger auf das Gefühl, die Empfindungskraft beschränken, daß sie unmittelbarer, stets nur subjektiv auf das Thier wirken, das wollen wir nicht bestreiten, denn die Kraft des Objectivirens und Abstrahirens ist allein dem Menschen vorbehalten, damit er sich durch sie in freier Kraft über den thierischen Standpunkt erhebt und in dem steten Ringen und Streben nach Fortbildung und höherer objectiver Vollendung sein ewiges Ziel suche und finde, damit er, wie Jean Paul sagt, „in dem Weltmeer wie ein Lebendiger durch Schwimmen aufsteige, aber nicht wie ein Ertrunkener durch Verwesung.“ –




Blätter und Blüthen.


Lützow’s Jagd. Der Freiheitskampf war beendigt, Ruhe in die Gemüther zurückgekehrt und das geregelte Leben des Friedens zeigte sich aufs Neue in allen Verhältnissen. Namentlich herrschte das regste und bunteste Treiben in den verschiedenen Bädern, deren Besuch, während der Kriegsjahre gestört, nun um so lebhafter wurde, da zahlreiche Freiheitskämpfer hier Genesung von den Folgen der Wunden oder der erlittenen Strapazen suchten. Zu den Letztern gehörte auch ich, und mehrfache Gründe bestimmten mich, das lieblich gelegene Alexisbad zu wählen. Es war ein schöner Sommertag, als ich dort ankam.

„Sie werden nur wenige Gäste im Kursaale finden,“ sagte mir der Wirth. „Es ist eine allgemeine Landpartie nach einem entfernteren Punkte gemacht worden, und da pflegen sich beinahe alle Badegäste anzuschließen, zumal deren Zahl bis jetzt noch nicht sehr groß ist.“

Ich ließ mich dadurch nicht abschrecken, sondern stieg die kleine Erhöhung zu dem Kursaale hinauf. Dieser war ganz leer. doch aus einem Nebenzimmer schallten Stimmen zu mir herüber. Ich trat grüßend in die Thür und überblickte den kleinen Kreis, den ich hier versammelt fand. Es waren nur wenige Personen, und unter diesen fiel mir besonders ein Mann auf, dessen kleine, schwächliche Gestalt auf eine eigenthümliche Weise mit dem ausgezeichneten Kopfe contrastirte, dem sie zur Stütze diente. Scharf markirte Züge, eine hohe Stirn, eine sehr große Nase. verliehen dem Gesichte einen unverkennbaren Stempel des Geistes, der Genialität, und unwillkürlich entstand in mir die Frage: „Wer ist dieser Mann?“

Es schien, als habe man ihn bei meinem Eintritte eben gebeten, sich an den offenstehenden Flügel zu setzen, denn nach einer flüchtigen Erwiederung meines Grußes nahm er auf dem Sessel vor demselben Platz und ließ mit wunderbarer Leichtigkeit die Finger über die Tasten gleiten, denen er in wechselnden Phantasien die lieblichsten Töne entlockte, so daß alle Anwesenden wie unwillkürlich einen dichten Kreis um ihn schlossen und mit angehaltenem Athem dem meisterhaften Spiele lauschten.

Allmälig schienen die tändelnden Phantasien sich zu einer bestimmteren Melodie gestalten zu wollen; ich vernahm bekannte, liebe Klänge, und endlich tönte voll und kräftig die Komposition C. M. v. Webers zu Lützow’s Jagd von Körner, welche damals noch in Jedermanns Munde war. Ich konnte mich, hingerissen von den vertrauten Tönen, nicht enthalten, zum Schluß aus voller Brust in die Worte auszubrechen:

Und wenn Ihr die schwarzen Gesellen fragt:
Das ist Lützow’s wilde, verwegene Jagd.

Da ertönte leise, und wie mit unterdrücktem Schluchzen, hinter uns ein Echo:

Und wenn Ihr die schwarzen Gesellen fragt:
Das war Lützow’s wilde, verwegene Jagd.

Verwundert blickten sich Alle nach der Stimme um, welche diese Worte mit einem unendlich klagenden Ausdrucke gesprochen hatte, und wir sahen nun einen kleinen, bejahrten Mann, der während des Spieles unbemerkt eingetreten sein mußte, und dem jetzt die hellen Thränen über die Wangen liefen, während er mit niedergesunkenem Haupte und gefaltet herabhängenden Händen dastand, ein wahres Bild des Schmerzes.

Es entstand eine Pause allgemeinen Schweigens, während welcher Alle die stumme Frage an den weinenden Greis zu richten schienen, woher seine auffallende Rührung komme. Er las sie wahrscheinlich in unsern Mienen, denn indem er den Kopf erhob, sagte er, wie zur Erklärung seines Schmerzes:

„Ich bin Theodor Körner’s Vater!“

„Und ich bin Körner’s Waffenbruder!“ rief ich, von dem Schmerze des Alten tief ergriffen, und schüttelte ihm herzlich die Hand.

„Und das,“ sagte einer der Gäste, indem er auf den Klavierspieler deutete, „ist der geniale Komponist der ergreifenden Dichtung, Carl Maria von Weber!“




Sternschnuppen. In Nr. 45 v. J. dieser Blätter hat eine kundige Hand den Leser in die Geheimnisse der Sternschnuppen eingeführt. Von uns möge er hören, was der Aberglauben mit dieser Erscheinung in Verbindung gebracht hat. In Schweden ist es ein ziemlich verbreiteter Glaube, daß die Sternschnuppen die abgeschiedenen Seelen der Verstorbenen wären, die leuchtend gen Himmel zögen. Einige Talmudisten aber erklären sie für Feuerkugeln, welche die guten Engel den Teufeln nachwerfen, wenn diese sich an das Gitter des Himmels schleichen, um die Rathschlüsse Gottes zu belauschen. Ja, so weit ist man gegangen, eine weiße gallertartige Materie, die man wohl hier und da im Herbst und Winter auf den Wiesen findet und die nichts weiter als unverdauter Froschstoff ist, den wohl die Sumpfvögel auswerfen, für Sternschnuppenmasse zu halten und darnach zu benennen. – In dem elsässischen Städtchen Ensisheim ward einst der große Meteorstein aufbewahrt, der im Jahre 1492 herabgefallen und lange Zeit der berühmteste war. Ob er noch da ist, weiß ich nicht. Während der Revolution war er den Ensisheimern nach Colmar in’s Lyceum entführt worden. Sie erhielten ihn aber später wieder zurück und bewahrten ihn dann in der großen Kirche im Chor auf einer Konsole auf. Der Stein wog, nachdem manches Stück mit Gewalt weggeschlagen war noch etwa 70 Pfund, hatte 10 Zoll Höhe und 15 Zoll Durchmesser; auswendig mit einer bräunlichen Rinde überzogen. Seitdem hat man freilich viel schwerere Meteormassen beobachtet. Aber noch zu Anfang dieses Jahrhunderts wogen die Mineralienhändler in Paris ihren Werth und ihr Gewicht gegen gemünztes Gold auf; jetzt nicht mehr, seit so viele gefunden werden, daß alle Liebhaber befriedigt werden können und auch nicht die Versuchung eines künstlichen Nachmachens locken kann. Unter dem Ensisheimer Steine stand (oder steht) eine lateinische, deutsche und französische Inschrift. Die deutsche lautet:

Tausend vierhundert neunzig zwei
Hört’ man allhier ein groß Geschrei.
Daß zunächst draußen vor der Stadt
Den siebenten Wintermonat,
Ein großer Stein bei hellem Tag
Gefallen mit einem Donnerschlag.
An dem Gewicht drittehalb Centner schwer.
Von Eisenfarb’, bracht man ihn her
Mit stattlicher Procession,
Sehr viel schlug man mit Gewalt davon.




Uebermuth und Demuth. Schleiermacher, der berühmte Kanzelredner, hatte sich einst in einer Krankheit von dem ebenfalls berühmten königlichen Leibarzt Dr. Gräfe, behandeln lassen. Nach seiner Genesung schickte er demselben ein höfliches Briefchen und legte demselben vier Louisd’or bei, indem er bat, diese Kleinigkeit als Beweis seiner Dankbarkeit, für gehabte Bemühungen anzunehmen. Am nächsten Tage erhielt er die Goldstücke zurück, begleitet von den folgenden lakonischen Zeilen des Geheimen Generalstabsarztes: „Arme kurire ich umsonst; Wohlhabende zahlen nach der Medicinaltaxe; Reiche honoriren mich nach Belieben anständig.“ – Darauf ertheilte der Geistliche die noch lakonischere Antwort: „Die vier Louisd’or erhielt mit Dank zurück – der arme Schleiermacher.“




Lamartine’s Heirat. Dieser große Dichter und ehemalige Präsident der sehr provisorischen Republik in Frankreich hat jetzt wenigstens wohl eine glückliche Häuslichkeit. Eine sehr reiche Dame mit Namen Birch wurde durch die Lectüre seiner „Méditations[WS 1] so in Liebe für den Dichter eingenommen, daß sie nach langer Geheimhaltung ihrer Neigung und als sie von seinen weltlichen Verlegenheiten hörte, beschloß, ihm ihr Vermögen anzubieten. Sie that es. Gerührt von dieser Großmuth besann sich Lamartine nicht lange, es unter der Bedingung, daß sie Herz und Hand zugebe, anzunehmen. Alles ward bewilligt und angenommen.




Ein Geschenk Gladstone’s. Gladstone, der englische Finanzminister unter Aberdeen, bekam neulich von unbekannter Hand einen massiv silbernen Kohlenschürer (poker) mit der eingegrabenen Inschrift geschickt und geschenkt: „Für den Herrn Minister, ihn zu pokern, daß er sich pokere, dem Lande wohlfeilere Kohlen zum Pokern zu verschaffen.“ Die Kohlenpreise sind nämlich viel über 100 Procent gestiegen.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: „Gleditations“
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_034.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2020)