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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Album der Poesieen.

Nr. 4.
Die Fürstin von Isenburg.

O könntest du, mein Lied, doch Sonnenglanz
Und Farbenpracht des Irisbogens finden.
Du solltest einen prächtgen Strahlenkranz
Um ein verehrtes Bildniß daraus winden!
O Genius, der Schillern Farben lieh,
O Genius der deutschen Poesie,
Gieb mir nur heute deine schönsten Tinten!

Denn eine Heilige ist es, der es gilt,
Wenn in den Kanon auch nicht aufgenommen;
Es ist ein hehres deutsches Frauenbild,
In der der Liebe reinste Glut entglommen.
Mehr als dem Papst, des Himmels stolzem Knecht.
Gebührt dem Dichter das erhab’ne Recht,
Zu Heiligen zu sprechen seine Frommen

Gepriesen sei die Fürstin Frau Sophie
Von Isenburg im glänzenden Gedichte,
An der ihr Priesteramt die Poesie
Nach ihrem gottentstammten Recht verrichte!
Die Fürstin trete mit dem Heil’genschein.
Gewebt aus Liederstrahlen hehr und rein,
Aus dem Gedicht hinaus in die Geschichte!

Ein Frühlingsabend führt die hohe Frau,
Von ihrer Dienerin allein begleitet,
Mit ihrem Säugling in die grüne Au,
Die sie mit seligem Gefühl durchschreitet.
Der Liebe Gottesflamme, die sie hegt,
Mit der sie auch den ärmsten Bruder pflegt
Sieht sie als Segen um sich ausgebreitet.

Im Körbchen trägt die Zofe Brot und Wein.
Zur Tafel wandeln oft die Abendstunden
Der edeln Frau den moosgeschwellten Rain,
Da läßt sie froh sich Lottes Gabe munden.
Auch hat zuweilen schon ein armer Gast
An diesem Fürstentische süße Rast,
Erquickung und ein freundlich Wort gefunden.

Sieh nach der Mutterbrust lebend’gem Quell
Verlangt in ihrem Arm der holde Knabe!
Sie setzt auf einen Stein am Weg sich schnell
Und reicht dem Liebling die ersehnte Labe.
Denn ihre höchste, heil’ge Mutterpflicht
Entzieht dem Sohn die treue Fürstin nicht;
Nicht fremder Brust dankt er die Liebesgabe.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_038.jpg&oldid=- (Version vom 20.4.2020)