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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

sein Name durch das ganze Land von den Zuchthausbeamten bald eben so sehr gefürchtet als von den Züchtlingen gesegnet wurde. Denn so weichmüthig er im gewöhnlichen Leben war, so unnachsichtlich strenge zeigte er sich, wo es die Bestrafung unmenschlicher, grausamer oder roher Zuchtmeister galt, und bald hörte man von zahlreichen Absetzungen bei dem Aufsichtspersonale der Gefängnisse. Sein Augenmerk war zunächst auf eine bessere, menschlichere Behandlung der Sträflinge gerichtet, denn eine durchgreifende Reorganisation des ganzen Strafsystems und der innern Einrichtung der Zuchthäuser lag außerhalb seiner Machtvollkommenheit, obgleich er die Instruction hatte, dazu nach den zu sammelnden Erfahrungen Vorschläge zu machen.

Klepper wußte wohl, wie wenig offizielle Revisionen dahin führen, die Wahrheit zu ergründen; deshalb nahm er die seinigen häufig incognito, unter irgend einer unscheinbaren Maske vor, in der Tasche die gefürchtete Vollmacht, die ihn in den Stand setzte, im Fall der Noth augenblicklich mit Energie einzuschreiten. Ein mehrfach von ihm angewendetes Mittel, auf praktische Weise zu der Kenntniß der Behandlungsart zu gelangen, der die Gefangenen hier und dort unterworfen wurden, war, daß er sich arretiren ließ, um so an sich selbst die gewünschten Erfahrungen zu machen. Er besuchte zu diesem Zwecke bäufig solche Orte, von denen es bekannt war, daß dort Prügeleien zu Verhaftungen en masse führten, bei denen es dann natürlich hieß: Mit gefangen, mit gehangen, und wo der Unschuldige mit dem Schuldigen leiden mußte. Diese Absicht erreichte er auch eines Abends in einer Tabagie Berlins, und er wurde mit einem ganzen Schwarm Arretirter, unter denen sich auch mehrere Frauen und Mädchen befanden, nach dem sogenannten Ochsenkopf transportirt. Hier angekommen, wurde der ganze Schub in ein Gemach gesperrt, ohne daß man es nöthig fand, zuvor die Geschlechter zu sondern. Klepper murrte darüber laut, allein durch einige derbe Worte des Schließers zur Ruhe verwiesen, schwieg er, um den weitern Verlauf der Dinge abzuwarten. Das Gemach, in dem er sich mit allen Uebrigen befand, und in welchem eine undurchdringliche Dunkelheit herrschte, war so eng, daß unmöglich Alle darin Platz zum Liegen hätten finden können, und so suchte sich Jeder, so gut es gehen wollte, einzurichten, um den Rest der Nacht zuzubringen, denn vor dem vollen Tage ließ sich auf keine Erlösung rechnen.

Klepper hatte einen Platz in der Nähe der Thür eingenommen und lauschte hier, oft mit Schauder, auf die Unterhaltung seiner rohen Umgebung. Da wurde das halblaute Geflüster durch gellendes Schmerzengeschrei unterbrochen. Eine Frau war plötzlich auf eine Weise erkrankt, welche augenblickliche Hülfe verlangte. Klepper klopfte daher mit gewaltigen Schlägen an den Schieber in der Thür, und bald fragte eine Schildwache, was es gäbe. Klepper sagte es und bat, den Schließer zu benachrichtigen, damit er ärztlichen Beistand herbeischaffe. Brummend entfernte sich die Schildwache mit der Aeußerung, das würde wohl keine so große Eile haben. Und in der That vergingen zehn Minuten, es verging eine Viertel-, endlich eine halbe Stunde, ohne daß der Schließer kam. Während dessen aber war das Geschrei der armen Frau immer kläglicher, immer herzzerreißender geworden, und Klepper donnerte nun ununterbrochen und aus allen Kräften mit Händen und Füßen gegen die Thür und forderte die Zunächststehenden auf, ihn in seinen Bemühungen zu unterstützen. Diese aber verweigerten jede Hülfsleistung der Art, indem sie lachend sagten: „Na, warte nur, Dir wird der Schließer den Dank für Deine Menschenliebe auf den Rücken schreiben.“

Und es schien, als sollte ihre Prophezeiung sich verwirklichen, denn schon nach wenigen Minuten kamen eilige Schritte herbei, und an dem Rasseln des schweren Schlüsselbundes erkannte man den Schließer. „Na, warte nur, Kerl. Du sollst daran denken!“ brummte er, während er die Thür aufschloß und alle Gefangenen scheu aus der Nähe den Ruhestörers zurückwichen, um ja nicht mit diesem verwechselt oder als dessen Mitschuldige betrachtet zu werden. Kaum hatte der Schließer die Thür geöffnet und die Laterne neben sich auf den Fußboden gesetzt, als er mit dem Ausrufe: „Verfluchter Kerl, was soll das heißen!“ auf Klepper eindrang und dazu hoch die Peitsche schwang. – „Zurück!“ donnerte ihm Klepper entgegen. „Er wird hier Niemand mehr unmenschlich behandeln, denn ich entsetze Ihn seinen Postens! – Ich bin der Kriegsrath Klepper!“ – Zugleich hielt er ihm mit drohenden Blicken seine Vollmacht entgegen.

„Gnade, Herr Kriegsrath!“ stammelte erschrocken der Schließer, und sank auf die Knie vor dem Zürnenden, dessen unerbittliche Strenge er kannte und der ihn bei einer frühern Gelegenheit bereits ernst verwarnt hatte.

Ohne eine weitere Antwort zu geben, gebot Klepper: „Jetzt rasch Hülfe geschafft für diese arme Frau. Das Uebrige wird sich finden! – Und für hinlängliche Beleuchtung gesorgt!“

Mit zauberhafter Schnelligkeit wurden die Befehle befolgt, doch bei der Absetzung des Schließers blieb es!

Leider wurde der Kriegsrath Klepper bald darauf seinem segensreichen Wirken durch schwere körperliche Leiden entzogen, welche eine Folge seiner Thätigkeit in den Lazarethen waren. So blieb sein schön begonnenes Werk unvollendet, obgleich man mancherlei Verbesserungen anerkennen muß, die seit jener Zeit in dem Zuchthauswesen Preußens eingetreten sind. Ist aber der Name Dessen, dem man wenigstens zum großen Theile, den ersten Impuls dazu verdankt, hinlänglich gekannt und geehrt? – Längst ruht er in kühler Erde, doch segensreich hat sein Streben ihn überlebt. – Möchte er bald einen edeln Nachfolger finden, der kräftig und würdig in seine Fußtapfen tritt.




Für Mütter. Unter dem Titel: Die Benutzung der ersten Lebenstage des Säuglings zu dessen Eingewöhnung in eine naturgemäße Lebensordnung ist so eben ein kleines aber beherzigenswerthes Büchlein von Dr. Besser (Göttingen bei Wigand) in zweiter Auflage erschienen. Wenige Aeltern wissen oder beherzigen es, daß gerade diejenige Erziehung oder Gewöhnung, welche dem neugeborenen Erdbürger in seinen ersten Lebenswochen zu Theil wird, für die ganze Entwickelung seines späteren Charakters und Benehmens von überwiegender Wichtigkeit ist. Dr. Besser hat die Hauptregeln, welche bei der Pflege eines gesunden Neugeborenen in den ersten paar Lebenswochen streng beobachtet werden müssen, auf drei zurückgeführt:

1. Vom ersten Tage an werde eine Nachtzeit, etwa von 9 Uhr Abends bis 5 Uhr Morgens, ausschließlich als Zeit der Ruhe für das Kind und die Mutter beobachtet und dem Kinde daher in dieser Zeit schlechterdings keine Nahrung gereicht.

2. Die Zeiten, wo das Kind den Tag über genährt wird, sollen festbestimmte sein, und dasselbe soll in keinem Falle öfter als viermal täglich Nahrung erhalten (also diese nicht, wie es üblich, durch Schreien ertrotzen dürfen).

3. Das neugeborne Kind soll in den ersten paar Wochen niemals umhergetragen, gewiegt oder geschaukelt werden.

Auf diese Weise soll das Kind bei Zeiten gewöhnt werden, in Befriedigung seiner Bedürfnisse Ordnung zu halten und seine Launen (oder Langeweile etc.) nicht durch ertrotzte Beschwichtigungsmittel zu befriedigen.

Dr. R. 




Pariser Geschichte. Eine mysteriöse Neuigkeit trauriger Natur geht beute von Mund zu Mund. Es handelt sich um einen Mord, den ein bekannter Kaufmann im Quartier des Champs Elysées an seiner Frau verübt hat. Nach vollbrachter That hat er sich alsbald nach dem benachbarten Polizei-Commissariat begeben und sich als Gefangener gestellt. Was ich über den Fall habe in Erfahrung bringen können, theile ich Ihnen in Nachstehendem mit.

Gegen Ende des Jahres 1849 machte Herr V. die Bekanntschaft einer jungen Dame, deren Mutter in der Provinz in einer kleinen Stadt ein Hotel garni hielt. Aus der Bekanntschaft ward eine zärtliche Liebschaft, deren Frucht ein Mädchen war.

Es war der lebhafteste Wunsch des jungen Mannen, eine legitime Ehe mit dem Gegenstande seiner Neigung zu schließen, alle seine guten Vorsätze aber scheiterten an der Hartnäckigkeit seiner Familie, welche ihre Einwilligung trotz aller Bitten und Thränen versagte.

Vor ungefähr zwei Jahren verlor die Mutter des jungen Mädchens ihren Sohn, der bei der Armee in Afrika stand, durch den Tod, und fühlte sich durch diesen Verlust bewogen, ihren bisherigen Wohnort mit Paris zu vertauschen, wo sie Zerstreuung zu finden hoffte. Sie kaufte hier ein großes Hotel garni. Ihre Tochter und Herr V. schlossen sich ihr alsbald an und es ist heute gerade ein Jahr, daß die jungen Leute durch eine legitime Ehe ihre begangenen Sünden wieder gut zu machen suchten. Seit jener Zeit machten die V.’schen Ehegatten ein großes Haus; sie sahen viel Gesellschaft bei sich und gaben Diners, Feten und Bälle. Einer dieser V.’schen Bälle war es auch, bei welchem eine junge liebenswürdige Künstlerin vom Theater Odeon ihren Tod durch Erstickung fand, da sie mit einem leichten Gagekleide beim Contretanz dem Kamin zu nahe gekommen und von der Flamme ergriffen worden war.

Vorgestern war bei V., wie gewöhnlich, Empfang, und seine Frau hatte, obgleich sie ein wenig leidend war, bis um ein Uhr Morgens getanzt. Sie hatte sich an einen Tisch gesetzt, an welchem man Lansquenet spielte und über heftiges Kopfweh geklagt. Ihr Mann, der die häufigen Feste ungern sah, hatte sich nur eine Stunde lang sehen lassen, dann aber in sein Zimmer zurückgezogen, in welchem er sich einschloß.

Um fünf Uhr Morgens entfernten sich alle Gäste, und als einer der Eingeladenen sich bei Madame V. entschuldigte, so lange geblieben zu sein, erwiederte sie ihm: „Sie haben mir im Gegentheil einen Dienst geleistet: ich habe schon seit drei Tagen kein Auge geschlossen und werde auch jetzt noch nicht zu Bett gehen.“ „Wollen Sie dann nicht ein wenig mit mir spazieren fahren?“ fragte darauf eine Dame von der Gesellschaft.

„Ich? spazieren fahren?“ erwiederte Madame V. „was würde mein Mann dazu sagen! Wenn ich um eine ähnliche Stunde selbst mit Ihnen, spazieren ginge, würde es bald keine Madame V. mehr geben.“

Sie sprach diese Worte mit vieler Traurigkeit, welche von der Gesellschaft auf Rechnung der Eifersucht des Herrn V. geschrieben wurde.

Im Laufe des folgenden Tages ging Herr V. mehrmals aus, kam aber immer bald wieder zurück. Um 4 Uhr Nachmittags setzte er sich in seinem Zimmer nieder und schrieb. Als die Kammerfrau ihn bleich und erregt sah, frug sie, ob der Brief fortzutragen sein werde. „Nein! ich werde ihn selbst forttragen! Entfernen Sie sich!“ erhielt sie zur Antwort. Sie ging schweigend und hörte, wie Herr V. die Thür hinter ihr verschloß.

Sobald der Brief fertig geschrieben war, trat Herr V. aus seinem Kabinet, schritt durch das Schlafzimmer und den Salon, und trat in’s Boudoir seiner Frau. Diese saß am Fenster, mit einer Stickerei beschäftigt, und hatte ihre kleine sechsjährige Tochter bei sich.

Was sich hier ereignete, weiß kein Mensch, aber nach Verlauf einiger Minuten hörte die Kammerfrau das kleine Mädchen schreien: „Bonne, Bonne! komme doch! ich weiß nicht, was Vater mit Mama macht!“ Die Kammerfrau lief herbei. Sie fand Madame V. am Boden liegend, ihren Mann über sie gebeugt. Sich erhebend, warf dieser einen von Blut rauchenden Dolch in die Mitte des Zimmers und sagte, sich zur Kammerfrau wendend: „Jetzt gebe ich zum Polizeicommissär!“

Die unglückliche junge Frau hatte ihr volles Bewußtsein behalten. „Louise, hilf mir aufstehen,“ sagte sie, „ich will versuchen, ob ich gehen kann.“ Die Kammerfrau wollte ihr in die Höhe helfen, es gelang ihr aber nicht. Ihre Herrin äußerte, dies bemerkend: „Ich bin also verloren!“

Indessen war ein Arzt aufgesucht worden, der sogleich herbeieilte. Beim Anblick zweier Wunden, die sich an der Brust, ein wenig unterhalb

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_045.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)