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benagten Leichen, die uns eines Tages gerade im Wege lag, bestattete ich in ordentlicher muhamedanischer Weise und sprach mit gewiß mehr als priesterlicher Würde einen Segen über sie, denn des Herzens innerste Erregung war dabei. In Tedgerrhi sah ich die Karawane, etwa 500 Personen, größtentheils Knaben und Mädchen von 10–15 Jahren, ankommen. Ich werde den Anblick nie vergessen. Sie waren am Halse in Eisenringe geschmiedet und an diesen Ring noch die rechte Hand gefesselt. Die Ringe und Köpfe laufen zwischen zwei Eisenstangen hin, so daß sich auf diese Weise Linien von 20 und mehrern bilden. Sie gingen fast alle nackt oder nur spärlich mit jämmerlichen Lumpen bedeckt, obgleich der Sultan von Fezzan befohlen hat, daß jedem Sklaven ein Hemd und eine Kopfbedeckung gehalten werden solle. Man hatte ihnen nicht einmal ihre natürliche, das Haar, gelassen, da Jeder (selbst Kinder von 10 Jahren) auf den entsetzlichen Märschen durch brennenden, salzigen Sand noch bis 25 Pfund Gepäck auf dem Kopfe tragen muß, um die Kameele zu schonen. Dadurch war ihnen das Haar bis auf die wunde Haut thatsächlich abgerieben worden. Unter den Sklaven machten besonders eine Gruppe junger Mädchen von 10–15 Jahren durch den Ausdruck einer tiefen Melancholie einen erschütternden Eindruck auf mich, besonders als sie mich mit herzzerreißendem Flehen baten, ich möchte sie kaufen. Ich machte ihnen deutlich, daß mir meine Religion verböte, Sklaven zu halten, worauf sie mit der Miene rührender Ueberzeugung antworteten, daß meine Religion besser sei, als die Ihrer Tibubs (Sklavenhändler). Ich sah, wie sie vor Hitze und Ermüdung zusammenfallend noch 3 Stunden lang eine Art Getreide zermalmen und sich davon ihr einziges Mahl im Tage bereiten mußten. Das Mehl wird mit Wasser und Salz geknetet und gebacken. Davon müssen sie sich auf je 24 Stunden satt essen. – Ich habe diesen schrecklichen Scenen gegenüber die Erinnerung an eine noch entsetzlichere. Auf unserer Reise hierher stießen wir auf ein menschliches Gerippe, das noch lebte. Ich flößte ihm etwas Fleischbrühe ein und fuhr allmälig mit stärkeren Gaben fort, bis der Mann einigermaßen so weit zu sich kam, daß er erzählen konnte, er liege hier seit langer Zeit, nachdem man ihm im Sklavenzuge (einem andern) schon 3 Tage jede Nahrung vorenthalten habe, um ihn durch Hunger zu tödten, da er als älterer Mann nichts werth sei und die Sklavenpreise in Bornu überhaupt sehr niedrig ständen. Ich brachte ihn hier unter und bezahlte eine hübsche Summe für dessen Verpflegung. Der Sultan von Fezzan nimmt für jeden aus- oder eingeführten oder durchpassirenden Sklaven einen Zoll, so wie er überhaupt das Nehmen versteht. Er hat in Murzuk ein Zollhaus bauen und für 1000 Pfd. Sterling jährlich verpachten lassen. (Folgt ein Verzeichniß verschiedener Landesartikel und Zollsätze.) Sein Land soll 54,000 Einwohner haben. Unter den eingeführten Artikeln ist besonders Zink im Begehr, da sich die Damen der Fezzaner Residenz und die Damen überhaupt gern reichlich mit Zinkschmuck behängen. Der Boden ist reich an mannichfachen Mineralien, besonders Natron. Das ganze Land ist gleichsam auf Salz gebaut, nicht minder auf eine ziemlich alte Cultur, die in Ruinen umherliegt. Ich muß hier den Irrthum in meinem letzten Schreiben berichtigen, in welchem ich die entdeckten Ruinen von Mauern und Schlössern als römische bezeichnete. Nach näherer Untersuchung fand ich deutliche Spuren ehemaliger Gestalt mit dreieckigen Fenstern, lauter Ueberbleibsel des zwischen 800 und 1000 nach Chr. Geb. hochblühenden Staates Fezzan. –

Vor meiner Abreise mit einer gut geschulten und wohlbewaffneten kleinen Armee von 20 Mann und 60–70 Freiwilligen bekam ich noch die angenehme Nachricht, daß mir die Tuariks (ein Räubervolk weiter im Süden) bereits auflauerten, um mir die Geschenke, die Sie für den Sultan von Bornu bestimmt haben, abzunehmen. Die Lust soll ihnen theuer zu stehen kommen, wenn sie sich nicht in ehrerbietiger Entfernung von unsern Läufen halten. Der Sultan von Bornu kann uns nämlich keine Protection entgegenschicken, da er mit dem Sultan von Kano um drei Städte Krieg führt. So lautete die letzte mit dem Courier-Postkameele aus Kuka angekommene Nachricht. Doch wurde mir zugleich die Versicherung gegeben, daß solche Kriege nie lange dauerten, und er wohl noch Zeit und Leute finden werde, uns und seine Geschenke in Schutz zu nehmen, ehe wir in das Bereich der wilden Tuariks kämen.“ (Folgen noch Privatsachen.)

Der Brief giebt besonders ein drastisches Bild des innern Sklavenhandels in wenig starken Zügen. Mögen wir uns deshalb um so mehr freuen, daß die Civilisation durch Engländer und Deutsche jetzt rasch und mit zunehmender Bedeutung auch für den Handel in das Innere Afrika’s eindringt, nachdem 23 große Expeditionen (von 1769 bis 1852) allmälig die ersten Culturstraßen von allen Seiten angelegt haben. Die Hauptbedeutung Afrika’s und die Quelle der Civilisation wird besonders an der Westküste von Senegal und Gambia bis nach dem Golf von Guinea (englische Besitzung) hinlaufen, an dem Chaddaflusse hinauf und von der Republik Liberia aus (dessen Präsident Robert sein Parlament am 19. Decbr. unter guten Aussichten eröffnete) nach dem Tsad-See, von da hinüber nach dem Nil und an diesem herunter durch Aegypten. Der Verkehr im Innern ist jetzt auf „Schiffen der Wüste“, Kameelen, und in großen Handels-Karavanen, die oft ein ganzes Volk enthalten, schon ungemein lebhaft und großartig.




Rennes, den 20. Dezbr. 1853. Ich gebe Ihnen nachfolgenden Bericht über eine Sitzung der hiesigen Assisen, welche am 14. d. Mts. stattfand, und in welcher die Details eines schrecklichen Dramas, wie es Gott sei Dank – selten vorkommt, vor mir entrollt wurden.

Auf der Anklagebank erschien Jules François Verger[WS 1], ein Mann in der Blüthe der Jahre, dessen schöne, männlich edle Züge den Ausdruck des tiefsten Schmerzes trugen. Vor seiner Verhaftung hatte er zu Nantes, rue de Gorges[WS 2] Nr. 5 gewohnt. Am 9. September d. J. befanden sich mehrere Bewohner dieses Hauses auf dem daran stoßenden Hofe, als aus der dritten Etage des Hauses die entseelten Körper zweier kleiner Kinder herabgeflogen kamen, welche durch den Sturz auf das Pflaster die entsetzlichste Verstümmelung erlitten. Es waren die beiden Kinder Berger’s. Ihr eigener Vater hatte sie erst erdrosselt, dann mit eigener Hand aus dem Fenster des dritten Stockes in den Hof hinabgeworfen. Die Justiz begab sich alsbald an Ort und Stelle, um den Mörder zu verhaften. Man fand ihn ganz mit Blut bedeckt und er zeigte eine breite klaffende Wunde an der Gurgel, welche er sich selbst beigebracht hatte. In einer Art von Raserei rief er den Beamten sogleich entgegen: „Ja, ich selbst habe meine Kinder getödtet und sie dann zum Fenster hinaus geworfen; ich werde mit ihnen wieder vereinigt werden; ich fürchte das Schaffot nicht!“ Als man ihn nach dem Gefängniß führte, schrie er zu wiederholten Malen laut auf: „ich bin gerächt, ich habe mich gerächt!“

Berger war seit ungefähr vier Jahren mit Jeanne Rivet verheirathet. Die Frucht dieser Ehe waren drei Kinder, von denen das älteste, Jeanne, drei Jahre alt, und das jüngste, Alexander, zehn Monate alt, von ihrem Vater ermordet waren.

Die Familie Rivet befand sich in großem Wohlstande, während Berger im Gegentheile nichts als Schulden hatte. Das gute Einvernehmen zwischen ihm und den Rivet’s bestand nicht lange nach der Hochzeit. Berger überhäufte seine Frau und seine Schwiegermutter täglich mit Beleidigungen, er ging sogar soweit, sie zu schlagen und wurde deshalb schon im Frühjahr d. J. vom Corrections-Tribunal zu 14 Tagen Gefängniß verurtheilt. Seit dieser Zeit drohte er den beiden Frauen öfters, daß sie von seiner Hand sterben müßten und daß er sich jedenfalls rächen werde. Er schien indessen seine Kinder und namentlich das älteste Mädchen sehr zu lieben, das ihn fast beständig auf seinen Spaziergängen begleiten mußte. Er war stolz auf seine Kinder, wie er sich selbst nicht selten ausdrückte.

Nichtsdestoweniger hatte die verbrecherische Idee, sich an der Mutter in der Person dieser Kinder zu rächen, sich seines Geistes bemächtigt. Er scheute sich mitunter gar nicht, diesen gräßlichen Gedanken sogar Worte zu geben. „Meine Kinder werden vor mir oder mit mir in’s Grab stürzen,“ sagte er. „Ihr werdet weinen, aber es wird zu spät sein; Ihr wißt nicht, was es heißt, einen Menschen zur Verzweiflung bringen.“

Am Tage der That war Berger um 6 Uhr früh ausgegangen, um in mehreren Häusern zu arbeiten. Um 10 Uhr zurückgekehrt, war er ruhig und man merkte nicht, daß er vielleicht getrunken gehabt hätte. Nachdem er seine Frau umarmt und über häusliche Angelegenheiten mit ihr gesprochen hatte, wünschte er zu frühstücken. Die Speisen, die ihm vorgesetzt wurden, gefielen ihm nicht; mit einer Geberde des Zorns warf er Brot und Messer von sich, stand auf, steckte Geld ein und erklärte, daß er bei einem Restaurateur sein Dejeuner einnehmen wolle. Seine Frau widersetzte sich seinem Fortgehen, hielt ihn an der Blouse zurück, schloß die Thür ab und steckte den Schlüssel in die Tasche. Als Berger dies bemerkte, malte sich Zornesröthe in seinem Gesicht; er ergriff seine Frau am Arme, zog sie in die anstoßende Küche und schlug sie mit einem irdenen Topfe, den er dort fand, dergestalt auf den Kopf, daß der Topf in Stücke brach; dann ergriff er ferner eine Glasflasche, mit welcher er unbarmherzig auf das Gesicht seiner Frau losschlug. Letztere, halb betäubt von den empfangenen Schlägen, lief zur Küchenthür hinaus, welche offen geblieben war, und rief den Bewohnern der unteren Etagen zu: „ich bin eine verlorene Frau! Retten Sie meine Kinder!“

Das Dienstmädchen Jeanne Biron war Zeugin dieser Scene gewesen. Sie sah, wie Berger, nachdem er seine Frau verfolgt, mit Zornesröthe im Gesicht in die Küche zurückkehrte und hörte ihm sagen: „die Rache kann nicht verschoben werden.“ Dann ergriff er ein Messer, begab sich in’s Zimmer zurück, wo sein jüngstes Kind und das kleine Mädchen sich befanden. Letzteres ergriff er am Halse und das Dienstmädchen floh erschreckt mit dem dritten Kinde, das sie auf dem Arme trug.

Berger blieb jetzt mit seinen Kindern allein im Zimmer und stieß einige Personen zurück, welche einzudringen versuchten und schloß hinter ihnen die Thür, indem er den innern Riegel ebenfalls vorschob. Dann ergriff er sein kleines Mädchen aufs Neue und stieß ihr ohne ein Moment den Verzuges das Messer in die Kehle, dann schlug er seinen kleinen Jungen, der spielend in der Mitte des Zimmers saß und stieß auch diesem dan Messer in die Kehle, welches noch von dem Blute seines andern gemordeten Kindes rauchte. Hierauf ergriff er die beiden unglücklichen Kinder, in denen das Leben noch nicht entflohen war, und stürzte sie aus dem Küchenfenster in den Hof hinab. Man sah ihn von unten, wie er sich über das Fensterkreuz hinauslehnte, die Kinder erst eine Zeit lang hin- und herschwenkte, dabei seine Frau rief und endlich mit den Worten: „Du wolltest Deine Kinder, hier hast Du sie!“ fallen ließ.

In der Voruntersuchung hat Berger sich darauf beschränkt, zu behaupten, daß ihm von Allem, was vorgefallen, so gut als gar nichts erinnerlich sei. Er wisse nur, daß er von seiner Frau in’s Gesicht geschlagen worden wäre, in Folge davon er geblutet habe, und daß er durch den Schmerz und den Anblick des Blutes seiner Vernunft völlig beraubt worden sei. Er hat das größte Bedauern über den Tod seiner Kinder geäußert und sich energisch dagegen verwahrt, jemals die Absicht eines Attentats auf ihr Leben gehegt zu haben.

Die Wunde, welche Berger sich selbst am Halse beigebracht, hat keine nachtheiligen Folgen von Bedeutung für ihn gebabt. Auch in der Audienz machte er keine weiteren Ausflüchte, als daß er im Momente der That sich nicht im zurechnungsfähigen Zustande befunden habe.

Das Resultat der Beweisaufnahme war jedoch nicht geeignet, den Geschwornen die Ueberzeugung von der Richtigkeit dieses Einwandes zu gewähren. Sie erklärten Berger schuldig, ohne ihm mildernde Umstände zuzugestehen. Der Gericht-Hof verhängte den Verdikte gemäß die Todesstrafe über ihn.





Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Berger
  2. Vorlage: rue de Georges
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