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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 8. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 1 bis 1 1/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Novelle von O. M.
(Schluß.)

„Nicht wahr, dieses Leben gefällt Dir?“ flüsterte der Sergeant. „Nun, wenn Du ein vernünftiger Bursche bist, sollst Du es auch so gut haben wie ich.“ Mit diesen Worten griff der Räuber nach seinem Hute und erhob sich – und jetzt, als derselbe einige Schritte vor ihm nach dem Ausgange des Ladens hinging, faßte François zitternd in die Tasche, zog das Billet hervor, und drückte es einem der Offiziere in die Hand. Erstaunt blickte dieser auf, aber François war wie ein Blitz an der Seite des Sergeanten, und einen Augenblick später mit diesem in dem lebbaften Gewühle der Straße verschwunden. Die Beiden kehrten nach der Diebsherberge zurück, und François, erfreut, daß sein Plan geglückt war, äußerte eine Heiterkeit, die dem Sergeanten Hoffnung machte, das lockere Leben werde dem jungen, hübschen Landmann gefallen, und er bald einer der Spitzbuben sein. Der ganze Tag verging in Jubel und Schwelgerei, als aber die Thürme der Stadt die neunte Abendstunde verkündeten, wurde es still in der Diebshöhle. Der Sergeant selbst brachte François nach seiner Stube, die er sorgfältig verschloß, und bald darauf hörte dieser, wie der Galeerensclave mit seinem Genossen, dem Leichenfinger, das Haus verließ, um sein entsetzliches Werk auszuführen.

Kaum waren die Schritte der Räuber in der engen Gasse nicht mehr hörbar, als François sich nach einem Wege umsah, auf dem er seine Flucht bewerkstelligen konnte. Die Fenster der Stube waren so klein, daß es unmöglich schien, durch ein solches zu entkommen, und die feste Thür hatte der Sergeant verschlossen, auch durfte der Flüchtling keinen Lärm machen, denn der Todtengräber und Blutauge befanden sich noch in der Diebshöhle.

In dem Zimmer, oder vielmehr Gefängniß François’ befand sich ein mächtiger deutscher Ofen, der wohl durch einen Zufall oder die Laune eines vormaligen Besitzers des Hauses hierher gekommen sein mochte. Der Jüngling bemerkte, daß der Canal des Ofens, welcher nach dem Vorsaal führte, weit genug sein würde, ihn durchzulassen, und so begann er denn mit großer Vorsicht die einzelnen Theile des Ofens abzuheben, und sich endlich durch den schmalen Feuerheerd drängend, gelangte er glücklich auf den Vorsaal. Hier öffnete François ein Fenster, glitt an dem Fallrohre hinab in den schmalen Hof, entriegelte die Hausthür, und rannte einen Augenblick später frei – aber vom Kopf bis zum Fuße mit Ofenruß überzogen – die Straße hinab.

Voller Freude, aus der Diebskneipe entkommen zu sein, aber zugleich auch in Verlegenheit, wo er für diese Nacht eine Herberge finden solle, wanderte François planlos in die Nacht hinein. Zwar hatte er noch einige Franken in der Tasche, aber da er das Bündel mit seinen Habseligkeiten in der Spelunke zurücklassen mußte, so fürchtete er in seinem Zustande, mit Ruß überzogen, nirgends Aufnahme zu finden.

Indem also François nachdenkend eine schöne, breite Straße hinwanderte, hatte er das Unglück, an eine weißgekleidete Dame anzustoßen, welche am Arme eines breitschultrigen Kürassiers dahinschwebte. Man denke sich den Schreck der Grisette, als sie ihr elegantes Kleid durch den Anstoß mit Ruß geschwärzt sah.

„Sieh nur, Charles, wie mich dieses Thier besudelt hat!“ rief weinend das Mädchen, indem sie dem Kürassier die gefärbte Stelle ihres Kleides zeigte. „Wir können nun nicht nach dem Theater gehen – führe mich zurück nach meiner Wohnung.“

„Nicht eher, als bis ich diesem Schlingel seine Tölpelhaftigkeit bezahlt habe,“ donnerte der Panzerreiter, und damit faßte er den armen François beim Kragen und prügelte ihn weidlich durch. Alle Versuche des Unglücklichen, sich aus den Händen des Reiters frei zu machen, oder ihm wenigstens auch einige Püffe zu appliciren, scheiterten an der riesigen Stärke seines Gegners, der ihn wie mit einer Eisenzange gefaßt hielt, daß er sich nicht rühren konnte.

Als der Kürassier seine Wuth an dem armen François gekühlt hatte, schleuderte er ihn in den offenen, hellerleuchteten Thorweg eines Hauses und entfernte sich mit seiner noch immer jammernden Geliebten. François taumelte hier an die stattliche Gestalt eines Portiers, der mit einem dreieckigen Hute auf dem Kopfe und dem Stabe mit dem mächtigen Metallknopfe in der Hand die Prügelei lachend angesehen hatte.

Schon hob der Portier die Faust, um auch seinerseits den schmutzigen Landmann abzustrafen, als dieser plötzlich erfreut ausrief: „Onkel Brassin, kennt Ihr François Duprès, Euren Verwandten, nicht?“

„François Duprès! Beim heiligen Erzengel. Du bist es, Herzensjunge; aber sage mir um Gottes Willen. Du siehst ja unreinlicher aus wie ein Kohlengräber?“

„Onkel, mein guter Onkel, ich habe schon viel erlebt in Paris, obgleich ich erst kurze Zeit hier bin.“

„Daß Du in Paris seist, wußte ich,“ sagte der Portier, „es hat bereits ein Polizeiagent nach Dir gefragt.“

„Gott sei gedankt!“ rief der entzückte François, „so ist meine Absicht gelungen, und die Unglücklichen werden nicht unter den Händen der Mörder sterben.“

„Was faselst Du da?“ fragte der erstaunte Portier.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_079.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)