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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Bemühung, den Tiger aus dem Dickicht zu bringen, schien jedoch vergebens; ungeduldig darüber, eilten ihnen alle Anwesende zu Hülfe, nur mein Oheim, ein erprobter Jäger, und ich blieben im Freien. Ein allgemeiner Schrei der Angreifenden erregte endlich unsere Aufmerksamkeit, und fast in demselben Augenblicke theilte sich das Gebüsch, aus dem der Tiger wüthend und von zwei muthigen Hunden hart bedrängt, hervorstürzte. Ein Schlag seiner gewaltigen Tatze streckte einen derselben zu Boden, und ohne sich weiter zu besinnen, befand er sich mit einem einzigen Sprunge in unserer Mitte. Ich gestehe gern, daß ich für einen Augenblick alle Besinnung verlor, als ich jedoch zu mir kam, erblickte ich meinen alten Oheim unter den mörderischen Klauen des Unthiers; der Neger war bereits vom Pferde gesprungen und griff es mit seinem Messer an, und ich säumte nicht, seinem Beispiele zu folgen. Der Tiger, als wäre ihm meine Unbekanntschaft mit diesem Kampfe bekannt gewesen, ließ nun meinen Oheim los, und brachte mich augenblicklich unter sich. Schon gab ich mich für verloren, als er von der Varra eines meiner herbeieilenden Vettern wohl getroffen niederstürzte und von den übrigen augenblicklich getödtet wurde. Man zog mich betäubt unter ihm hervor, und jetzt erst bemerkte ich, daß ich eine bedeutende Verletzung am Arme erhalten hatte und ganz mit Blut bedeckt war: ich wurde nach Hause gebracht; man wendete einige Kräuter an, und stellte mich in kürzerer Zeit, als ich gedacht hatte, vollkommen her. Ich wollte übrigens diese mir merkwürdige Gegend nicht eher verlassen, bis ich mit der Art, den gefährlichsten Feind der Heerden aufzusuchen und anzugreifen, bekannt war, und die Gelegenheit hierzu stellte sich bald ein. Als ich meines Obeims Gut verließ, drangen mir meine Vettern die Haut des erlegten Tigers auf; ich kam glücklich in Palmeinos an, und habe seitdem manchen nützlichen und glücklichen Kampf mit unsern Unzen bestanden, welche, obwohl kleiner bedeutend als die Tiger der Certoes, nicht weniger schädlich und raubgierig als jene sind.




Linné’s Blumenuhr. Der geistreiche Einfall Linné’s, durch die Blumen zu erfahren, was die Glocke geschlagen, scheint noch nirgends ausgeführt worden zu sein. Sein Plan gründet sich auf die verschiedenen Theile des Tages, in welchen Blumen ihre Kelche öffnen und schließen. Die Tageslilie macht ihre Augen früh um 5 Uhr auf, die Dandolie um 6, Geierkraut um 7 Uhr und sofort. Aehnlich ist’s mit dem Schließen am Abend.




Zum Tischrücken. Zeigt der moderne Fanatismus für Tisch- und Geisterklopfen und andere Phantasieausgeburten des angeblichen Hereinragens einer Geisterwelt in das Erdenleben (das wir eher ein Hinausragen und Hinaustragen absurdester Hirngespinnste in der Natur nennen möchten) in trauriger Weise, wie wenig sich noch naturwissenschaftliche Kenntnisse und klare Begriffe selbst in der sogenannten gebildeten Welt heimisch zu machen gewußt haben; und hat der im Gefolge dieser und anderer Arten des neumodischen Mysticismus auftretende Unsinn oft eine mehr lächerliche als ernste Seite, so kommen doch dazwischen immer noch Fälle vor, welche vor dem aberwitzigen Treiben warnen müssen. So wird aus Freiburg (in der Schweiz) Folgendes berichtet. Eine junge hochschwangere Frau ließ sich dazu verleiten, während einer gesellschaftlichen Operation des Tischrückens die Frage an den Tisch oder an den Klopfgeist zu richten, wie lange sie noch leben werde. Der Tisch läßt achtzehn Schläge vernehmen. Die Frau fragt weiter, ob damit Jahre gemeint seien. Keine Antwort. „Sind es Minuten?“ Die Fragestellerin hört einen Schlag und deutet ihn als Bejahung. Schon steigt ihre Beängstigung und sie fragt weiter: Wird der Tod plötzlich sein? Abermals ein Schlag, den die unglückliche Neugierige wieder als Bejahung deutet, und wodurch ihre Beängstigung zu förmlichem Wirrsinn gesteigert wird, von dem die Arme bis jetzt nicht wieder befreit werden konnte. Wir halten dafür, daß Diejenigen sehr wenig Gescheidtes mehr an sich und auf der Welt zu thun haben müssen, welche derartigem wahnwitzigen Treiben in Rede und That Vorschub zu leisten vermögen!

Mich selbst erinnerte der erste Taumel des Tischrückens, der epidemieartig um sich griff, sogleich an eine traurige Erfahrung meiner Jugend.

Es sind jetzt ungefähr fünfzehn Jahre, da zeigte einer meiner Freunde, mit dem mich besondere Verhältnisse längere Zeit in sehr naher Berührung hatten stehen lassen, Spuren einer geistigen Verstörung, die sich allmälig heranbildete und endlich einen höchst betrübenden Charakter annahm. Der junge Mann, früher heiteren Gemüthes und ein treffliches mathematisches Talent, faßte ein unvertilgliches Mißtrauen gegen seine Umgebung, endlich selbst gegen seine Freunde, schloß sich in seiner misanthropischen Stimmung gänzlich ab, ward förmlich leutscheu und glaubte nun, die unwiderleglichsten Beweise von allerlei kleinen Intriguen, die gegen ihn gesponnen würden, zu erblicken. Freilich war auch seine ganze Lage damals eine solche, daß dem sich täglich fester setzenden Wahne des Unglücklichen kaum mit Erfolg hätte entgegengearbeitet werden können. Unter die von dieser Lage unterstützten Einbildungen gehörte es auch, daß er glaubte, während seiner zeitweisen Entfernung aus dem Zimmer machten sich Unberufene das Geschäft, unter seinen Effecten und Papieren herumzuwühlen; und um sich dessen noch mehr zu vergewissern, machte er vor seinen Ausgängen hier und da Zeichen, um nach der Hand die Spuren fremder Thätigkeit wieder zu finden, die er denn natürlich auch stets fand, so fest wir auch überzeugt sein konnten, daß seine Beobachtung eine durchaus irrige war. Allein der Wahn selbst mußte die Schärfe des Auges für eine unbefangene Beobachtung ja bereits getrübt haben. Dabei mochte es wohl vorgekommen sein, daß der Zug eines offenstehenden Fensters beim Gehen aus der Thüre auf Tischen liegende Papiere einmal verrückt hatte; allein die natürliche Erklärung war dem verstörten Geiste schon verloren gegangen. Der ganze Zustand war für uns Freunde ein um so peinlicherer, als sich mit jener fixen Idee des sonst ruhig und still sich verhaltenden Armen eine immer steigende Vernachlässigung seiner selbst in der äußern Erscheinung, in Kleidern, Wäsche und Zimmercultur verband, die schließlich geradezu in Schmutz überging und so rückwirkend wieder dem Uebel selbst Nahrung zutrug – so gewiß ist es, daß mit den Verluste der Herrschaft über sich selbst und sein Körperliches der Mensch auch in demselben Grade die geistige Freiheit verliert, und jener Culturmaßstab der Seife eine sehr tiefe psychologische Begründung hat. Genug, die ungenaue oder geradezu irrige Beobachtung, mit der sich unser Freund wahrhaft quälte, hatte ihn bei einmal erwachtem und sich täglich aus sich steigerndem Mißtrauen zuletzt in jenen Zustand geistiger Unfreiheit gebracht, den man gewöhnlich mit dem Namen „fixer Idee“ bezeichnet. Das weitere Schicksal des Unglücklichen gehört nicht hierher. Es zeigte nur, wie Recht jener klare, geistvolle Forscher in Silberhaaren, Alexander von Humboldt, hatte, als er sagte: „Eine ungenau beobachtete Thatsache ist schwerer zu erschüttern als eine Theorie!“

Aber was hat diese traurige Geschichte mit dem Tischrücken zu thun? wird man fragen. Mehr als man beim ersten Anblick denkt. Sie zeigt, wie leicht, wenn einmal die Tramontane kalter, ruhiger Beobachtung verloren ist, man unaufhaltsam jenem Stadium zusegelt, wo sich willenlos Wind und Wetter überlassen werden muß und die Zurechnungsfähigkeit aufhört. Die Manie, mit welcher man über das Tischrücken hergefallen, dünkt uns etwas weit Ungewöhnlicheres und Auffallenderes, als uns die wirkliche Entdeckung einer wunderbaren Naturkraft je hätte scheinen können. Ein Tisch bringt uns aus aller Fassung, macht uns schwindeln, uns, die wir als jedes Fanatismus baar gelten konnten, auf einmal wieder zu Fanatikern. Meinen armen Freund hatte sein strenglogisches, mathematisches, illusionsloses Studium nicht davor bewahren können, sein geistiges Gleichgewicht zu verlieren; und uns „Volk der Denker,“ wie wir uns doch gerne nennen hören, brachte eine einzige, im Ganzen vorerst doch gewiß bedeutungslose Erscheinung so rasch und allgemein in Bewegung, daß wir fast erschrocken vor der Thatsache stehen, wie wenig im Grunde dazu nöthig ist, uns in irgend eine Verrückung jener olympischen Ruhe und ewigen Gleichmüthigkeit zu versetzen, die bereits als unentbehrlich zur Erhaltung des Weltfriedens und des europäischen Gleichgewichts erklärt wurde. Bei dieser Gelegenheit sind so viel faule Seiten unserer vielgerühmten Cultur an den Tag gekommen, daß wir in der That alle Ursache haben, recht bescheiden zu sein, und noch viel, gar viel zu lernen. Auf dem Wege sind wir, seit namentlich die Wissenschaft es nicht mehr verschmäht, Allen verständlich zu reden. Daß aber der Spuk noch nicht beschworen, zeigt in traurigster Weise auch der Eingangs erwähnte Vorfall. Dr. L–n. 




Eine deutsch-amerikanische Zeitung. In Sachsen, Stuttgart und besonders Leipzig wird man sich noch ganz gut des Advokaten Grahl erinnern, der in den politischen Zeiten der Jahre 1848 und 1849 eine Rolle spielte und dann nach Amerika flüchtete. Wie wir hören, hat er dort in den ersten Jahren viel Trauriges erfahren und mit großer Sehnsucht der verlassenen Heimath gedacht. Jetzt lebt er in Sheboigan im Staate Wisconsin und giebt eine Zeitschrift in Format der Times: „Der Phönix aus Nordwesten“ heraus, welche wöchentlich zwei Mal erscheint, und außer politischen Leitartikeln und Nachrichten auch Erzählungen und belehrende Aufsätze bringt. Durch die Freundlichkeit eines Anverwandten sind uns mehrere Nummern dieses Phönix zugegangen, die in vielerlei Beziehungen von großem Interesse sind. Man glaubt, eine sächsische Zeitung zu lesen. Außer den üblichen Leitartikeln und politiscken Notizen findet man da Erzählungen von Gerstäcker, naturwissenschaftliche Mittheilungen von Roßmäßler, Pädagogisches von Diesterweg (natürlich alles Nachdruck), Auszüge aus Zschokke’s, Mahlmann’s, Leop. Schefer’s etc. Schriften, auf der Inseratenseite „Tanzvergnügen im Waldschlößchen.“ „Echt baierisches Bier im Gasthof zur Stadt Hamburg.“ – Deutsches Möbelmagazin von Albrecht – Pulvermachers Rheumatismusketten. – Deutscher Eisenwaaren-Laden von Gärtner. – Vogelschießen der deutschen Schützencompagnie. – Papierhandlung von Reinbold. – Deutsche Freischule. – Grahl, der zugleich einen Buchladen hat, kündigt: Marbach’s Volksbücher. Das malerische Deutschland. Hamm, Ackerbaukatechismus, Auerbach’s Dorfgeschichten. Gerstäcker’s Auswanderungsgeschichte. Meyer’s Universum. Schwab, die deutschen Sagen etc. an, wie denn überhaupt alle Ankündigungen – und das Blatt hat davon sehr viele – nur echt deutsche Namen tragen. Interessant ist eine Rubrik: „Deutsche, welche Deutsche suchen.“ Da sucht Benner in Newbraunfels die Geschwister Kleinhaus aus Ippenhausen in Churhessen, Pohlens in Philadelphia sucht Ernst Louis Pohlens aus Dresden, Lewis Bleidowns in New-York sucht Ernst Kresse aus Altenburg etc. etc. Grahl ist Redakteur dieser Zeitschrift, aber zugleich auch Setzer, Drucker, Verleger und Expedient derselben; wobei ihm nur ein deutscher Freund und sein ältestes Kind zur Hand gehen. Ein saures Stückchen Brodt!




Eisenbahnwärter-Romantik. In Frankreich wurde vor etwa fünf Jahren ein Bahnwärter so krank, daß er für immer unfähig blieb, sein Amt wieder anzutreten. In den ersten Tagen seiner Krankheit versah seine Frau, verkleidet, den Posten, der nicht verloren gehen sollte. Da der Mann krank blieb, fuhr sie auch fort, in der Kleidung desselben alle Pflichten des Bahnwärters zu erfüllen und zwar fünf Jahre lang, bis man unlängst entdeckte, weß Geschlechts sie sei und daß sie nur aus Liebe zu dem Manne und den Kindern so ausdauernd und männlich gehandelt habe. Ihre nächsten Nachbarn in der Bahnbeaufsichtigung waren in das Geheimniß eingeweiht worden. Sie wurde zur Strafe abgesetzt und von der Bahndirection und Privatpersonen so reichlich beschenkt, daß sie zeitlebens genug hat.

E. K.  





Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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