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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Sechswochenkind. Im Allgemeinen sind wir also noch sehr jung, so daß wir hoffen können, mit dem Alter auch an Weisheit zuzunehmen, die bei Kindern von sechs Wochen noch nicht sehr entwickelt sein kann. In der That ist die Gattung „Mensch“ noch nicht einmal „aus dem dummen Vierteljahre“ heraus.

Doch Scherz bei Seite. Wir treten wieder, wie schon im vorigen Jahre einmal, in das geologische Modellhaus des neuen Krystall-Palastes bei London, wo die vorsündfluthlichen Ungeheuer in Thon und Stein lebensgroß ausgeführt worden sind und werden. Das Gefühl, welches uns darin durchschauert, ist nicht zu beschreiben. Diese häusergroßen Scheusale sind also unsere Vorfahren. Da stehen sie vor uns und schwellen vor uns und öffnen ihre ungeheuern Rachen und dehnen sich aus in unabsehbarer Länge – lebenswahr und lebensgroß – wie sie einst vor Millionen von Jahren sich auf einer Erdoberfläche, über die sich Felsen und Flüsse, Meere und Gebirge in verschiedenen Häuten lagerten, des Lebens freuten. Man sieht es gleich ohne Wissenschaft, daß der Mensch in solcher Gesellschaft nicht möglich war. Und jetzt ist derselbe Mensch durch Millionen von Jahren zurück eingedrungen in die Geheimnisse der Erdgeschichte, und mit dem Lichte des wissenschaftlichen Gedankens hat er Leben erkannt und entzündet durch Zeiträume hindurch, für welche ihm nur das von den fernsten Nebelsternen herabschießende Licht einen Maßstab giebt, und hat er gesucht und zusammengefunden, was Tausende von Meilen, Millionen Jahre und die tiefsten Tiefen der Erde getrennt hielten. Solche Gefühle und Gedanken durchschauern uns mit beinahe erdrückender, aber bei längerem Anschauen erhebender Gewalt in dem vorsündfluthlichen Modellhause. Das Ganze ist erhaben. Wir fühlen uns so frei und groß und über alle Schranken von Zeit und Raum erhaben, daß wir uns als Theil dieser Gattung Mensch, dem so Unglaubliches gelang, sofort unsterblich, unendlich fühlen.

Der Megalosaurus.

Sehen wir uns nun die Hauptgestalten an. Gleich wenn wir von links hereintreten, droht uns der vorsündfluthliche Riesenfrosch, den sie Labyrinthodon nennen, in seinem weiten, offenen Rachen zu verstecken, oder auf dem Wege zum Verschlingen zu verlieren, da selbst der fetteste Engländer ihm noch ein sehr schmaler Bissen sein würde. Er ist fünfzehn Fuß lang und beinahe eben so hoch und breit. Unter dem vorsündfluthlichen Geschlechte der Saurier bildet er die sechste Familie. Seine Gestalt und Größe hat man aus abgedrückten Spuren seiner Füße (s. Gartenl. Nr. 3) und Knochen aus Erdschichten der sogenannten triarischen Periode zusammengefunden.

Der Hirsch im Hintergrunde repräsentirt das vorsündfluthliche Geschlecht der Elennthiere, deren Geweihe einen Raum von 41/2 Geviertellen jedes einnahmen. Ueberbleibsel von ihm fand man in Irland, der Insel Man und mehreren andern Theilen Europa’s und Südamerika’s. Die an das Schwein und das Pferd erinnernde Gestalt hinter dem Labyrinthodon ist ein Paläotherium, und die Gruppe von vier Figuren, hinter dem Manne mit einer Klingel zum Essen rufend, besteht aus Anoplotherien, Vorfahren des Rhinoceros, Pferdes, Schweines und Kameels. Die Anoplotherien sind die ersten Versuche der Natur, diese Thiergestalten in einer hervorzubringen. Als sie mit der Zeit sehen mochte, daß sich daraus besondere Thiergattungen machen ließen, schuf sie statt der Anoplotherien Rhinoceros, Pferd, Schwein und Kameel besonders. Die Anoplotherien hatten vierundvierzig Zähne in ununterbrochenen Reihen, wie man sie jetzt blos noch bei den Affen und Menschen findet.

Die zweite Darstellung macht uns mit dem Megalosaurus bekannt, einem ungeheuern Reptil, das an den Ufern von Flüssen lebte, wie seine Enkel, die Krokodile und Alligatoren. Die Familie, zu welcher es gehörte, zeichnete sich außer durch fabelhafte Größe, durch eine Vereinigung von Knochenbau aus, wie wir sie bei keinem jetzt lebenden Thiergeschlechte wieder finden. Der Megalosaurus erinnert in Form und Größe der Knochen an die Mammalien, deren Knochen Mark-Höhlen haben. Die Füße waren kurz, wie bei den Pachydermen. Das Heiligenbein bestand aus fünf Wirbelknochen, wie bei den Mammalien, während es bei allen andern Reptilien, sowohl ausgestorbenen als noch lebenden, nur aus ein oder zwei Knochen besteht. Die langen Knochen des Schwanzes und anderer Extremitäten bildeten hohle Mark-Cylinder. Die Körpermasse eines Megalosaurus würde hingereicht haben, fünfundvierzig bis fünfzig Pferde daraus zu machen. Es hatte einen Ritterpanzer, der für jede Waffe und Gewalt, selbst für die schwersten Kanonenkugeln undurchdringlich gewesen wäre. Jedes Panzerstück ist eine Festung und wuchs aus einer Haut, die einer dicken Mauer glich. Die Megalosaurier wurden in einer der niedrigsten Erdschichten, der oolitischen, gefunden, die aus eierartigem Kies besteht und wie Fischroggen aussieht. Mikroskopische und chemische Untersuchungen haben ergeben, daß der Kern dieser Körner aus einer Masse besteht, wie man sie in Korallen und Muscheln wiederfindet. Die Lebenszeit dieser Erdschicht wird von den Geologen in eine Periode versetzt, für die die gewöhnlichen Bezeichnungen nach Jahrtausenden gar nicht mehr hinreichen. Jede Erdschicht der Geologie besteht aus Gruppen, die sich deutlich von einander unterscheiden, aber wieder etwas Gemeinsames im Bau, Zusammensetzung und Spuren des ehemaligen Lebens in ihnen haben, wodurch sie sich wieder deutlich von ältern und jüngern Schichten unterscheiden. Doch das würde in die Wissenschaft selbst führen, in deren Geheimnisse und Heiligthümer nur der gründlich naturwissenschaftlich Vorbereitete einzudringen vermag. Wir begnügen uns einstweilen mit der oberflächlichen Kenntniß dieser Einzelnheiten und der Vorstellung, daß die Erde im Laufe von Millionen von Jahren unter Hunderten von „Sündfluthen“ Geschlechter von Pflanzen und Thieren begrub, um jedesmal darauf ein besseres Kleid und einen neuen Adam anzuziehen. –

Schließlich noch ein Wort über die Gärten und Terrassen vor dem Krystallpalaste, in welchem diese vorsündfluthlichen Thiere –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_107.jpg&oldid=- (Version vom 20.4.2020)