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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

in das ehrliche Auge des Kindes zu blicken, indem man es unehrlich täuschen will?

Die jüdischen Gemeinden in London beten noch heute: „Ich danke Dir, Gott, daß Du keine Frau aus mir gemacht hast.“ Man kann den Männern Israels den Wunsch nicht verargen. Das ganze Leben hindurch auf Täuschungen angewiesen sein, ist sicherlich wenig begehrungswerth.

Ein besonderes Vergnügen finden die Herren der Erde noch darin, den Frauen die größte Abneigung gegen eine Kenntniß der Organisation ihres eigenen Körpers einzuflößen. Auch die innere Einrichtung von diesem ist ihnen unschön und unpoetisch, ja mehr als das, sie ist den zarten Wesen sogar häufig Ekel erregend. Und doch ist der Mensch das Meisterwerk der ganzen Schöpfung, das Vollendetste, was aus der Hand der Natur hervorging. Auch hier müssen wir die Ursache in der Unwissenheit suchen, die stets die Grundbedingung aller Verkehrtheit ist. Wäre den Frauen bekannt, wie wundervoll ihr ganzer innerer Bau ist, so würden sie die Ehrfurcht davor empfinden, die jedes vollendete Kunstwerk uns abgewinnt, und den Körper zu einem geheiligten Tempel ihrer selbst machen.




Blätter und Blüthen.


Ein Duell in Australien. In den ungeheuren, uncultivirten Strecken Australiens treiben sich ziemlich viel „Busch-Landstreicher“ herum, die den Leuten Gold und Leben abnehmen und der berittenen Polizei durch ihre Raub- und Mordthaten, ihren wilden Muth, ihre Schnelligkeit und Kühnheit viel zu schaffen machen. Vorigen Herbst ward der tapferste Polizeiritter George Flower gegen den berüchtigsten Buschmann Milligson ausgeschickt. Er fand ihn mitten in der Wildniß und nahte sich ihm als College. (Flower galt als todt, da er von andern Buschmännern mit sammt dem Pferde zu einem großen See gejagt, verschwunden war.) Aus ihrem Gespräche wurde Folgendes:

Flower. Aber wenn nun ein Policeman zu Pferde Euch hier allein träfe und Euch aufforderte, Euch zu ergeben, würdet Ihr ohne Weiteres Euer Blaserohr nehmen und ihn herunterholen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, sich mit Euch zu messen?

Milligson. Gewiß nicht. Würde ihm sagen: Steh’! Wollen sehen, wer Recht hat!

Fl. Milligson, sprecht Ihr die Wahrheit?

M. Wozu soll ich aufschneiden?

Fl. Nun denn, ich setze den Fall, George Flower lebte noch und stünde Euch hier so gegenüber, wie ich jetzt –

M. Würde ihm sagen: Einer von uns. Steh’, wollen sehen, wer?

Fl. Würdet ihm einen ordentlichen Zweikampf gönnen, wie?

M. Na, würd’ ihm sagen: geh’ fünfundzwanzig Schritt zurück, ich thu’s auch.

Fl. Und Ihr meint, Flower würde es thun?

M. Das mein’ ich, denn Flower war ein Mann.

Fl. Ich glaub’ Euch Alles. Nun denn, hört: ich bin George Flower.

Milligson schrak auf, sein Carabiner sank ihm aus der Hand.

„Nimm auf Dein Rohr,“ sagte Flower. „Es sei wie wir’s abgemacht. Ich hätte Euch niederschießen können, wie einen Hund, aber Ihr seid ein ganzer Kerl, ein Mann, ein Verbrecher, aber sonst brav und nobel. Eure Hand, und dann fünfundzwanzig Schritt zurück Jeder.“

Milligson ergriff die Hand und seufzte schwer.

„Ergebt Euch nicht!“ sagte Flower, fürchtend, daß er schwach sein könnte.

„Ergeben?“ antwortete er mit Hohn, „niemals! Ich habe einen braven Gegner und deshalb noch eine gute Chance. Ich schieße so gut wie Ihr!“

Beide gingen mit langsamen Schritten Jeder fünfundzwanzig Schritt zurück und untersuchten ihre Karabiner. Aus der abgemessenen Entfernung rief Milligson noch: „Flower, denn nur Flower könnt Ihr sein, noch eine Bitte! Wenn Ihr mich gut trefft, begrabt mich nicht. Ich fürchte den Tod nicht, aber ich hasse das Einscharren. Laßt mich liegen in Luft und Licht, Sonne und Wetter, daß ich mit Adlern und Schakalen, die mich fressen, herumfliege und meine Gebeine die Sonne und den Mond sehen können.“

„Merkwürdig“, rief ihm Flower hinüber, „auch ich habe stets das Begraben gefürchtet. Deshalb Eure Bitte die meinige, wenn ich falle.“

„Verlaßt Euch drauf!“ Und mit diesen Worten lief Milligson noch einmal heran, schüttelte Flower leidenschaftlich die Hände, lief dann zurück, nahm das Gewehr und rief: „Ich bin bereit. Treffen wir uns nach diesem Treffen in einer andern Welt, gleichviel, ob Hölle oder Himmel, wir werden uns vor einander nicht zu schämen brauchen.“

In Beider Augen standen Thränen, als sie sich musterten und Keiner zuerst schießen wollte. Endlich schoß Milligson und schnitt Flower die eine Hälfte des Backenbartes ab. Er hatte nach dem Gehirn gezielt. Flower’s Schuß ging dem Buschmanne gerade durch Brust und Lunge, so daß er lautlos hinfiel und sein Hund heulend das Blut leckte. Flower lief auf ihn zu, um seine letzten Worte zu hören, aber er war athem- und leblos. Jämmerlich heulte der treue Hund über dem Leichname des Verbrechers, und der berühmte Polizeiritter lief jetzt wie ein Feiger, nur um diese Töne des treuen Thieres los zu werden.




Menschenzucht. Der südliche Central-Agrikultur-Verein in den vereinigten Staaten hat Preise für die tüchtigsten Säuglinge ausgesetzt. Der erste Preis besteht in einer silbernen Kanne von sechzig Dollar Werth für den stattlichsten Säugling von zwei Jahren; der zweite in einer silbernen Kanne von fünfundzwanzig Dollar Werth für das preiswürdigste Kind von zwei Jahren, und der dritte in zehn Dollar für den schönsten Säugling von sechs Monaten. – Anfangs wird man über diesen Yankee-Humor vielleicht lachen. Es läßt sich aber nicht leugnen, daß demselben ein tiefes und ganz richtiges Prinzip zu Grunde liegt. Wir wenden die größte Mühe an, um die Racen der Thiere, welche uns Nutzen bringen, zu verbessern, und haben es auch bereits dahin gebracht, daß wir die Zucht der Pferde, des Rindviehs und der Schafe so beherrschen, daß die Produktionskraft der Natur dadurch wesentlich erhöht worden ist. Ist es daher nicht auch Zeit, daß wir endlich daran denken, die Menschenzucht in solcher Weise zu pflegen, daß ein kräftiges, gesundes und schönes Geschlecht dadurch erzielt wird? Die Griechen gingen bekanntlich schon von diesem Prinzip aus, und wenn wir auch nicht so materiell verfahren können, wie die Spartaner, welche Jünglinge und Mädchen blos nach der Rücksicht auf ihren Körperbau zusammengaben, so ist es doch ganz richtig von den Yankees gehandelt, wenn sie Aeltern ermuthigen, ihre Säuglinge so zu pflegen, daß sie tüchtige und kräftige Menschen zu werden versprechen. Dazu soll offenbar das Prinzip führen, daß man die Mütter veranlassen will, ihre Kinder zwei Jahre lang zu säugen. Dies ist auch schon von europäischen Aerzten, sowie noch mehr von socialistischen Schriftstellern empfohlen worden, um sowohl die Kinder zu kräftigen, als auch den Müttern Zeit zu geben, ihre Kräfte zu ersetzen und größere Zwischenräume zwischen den Geburten hervorzurufen.




Die Nachtigall besitzt eine große Selbstliebe und ist sehr eifersüchtig. Sie will sich nie von einem Nebenbuhler übertreffen lassen, und wenn man zwei Schläger zusammenbringt, so versuchen sie ihre Singkraft so lange an einander, bis sie heiser werden, ja zuweilen soll ihnen sogar ein Blutgefäß dabei springen und sie der Schlag rühren.

Goetze erzählt in seiner europäischen Fauna folgenden Fall: „Einer meiner Freunde in Braunschweig besaß einen der besten Schläger. Ein Jude, der den Gesang der Nachtigall mit großer Vollkommenheit nachahmte, ließ sich damals öffentlich hören. Der Besitzer des Schlägers forderte ihn auf, einmal mit diesem zu wetteifern und seine Kunst auszuüben, wenn die beste Singzeit des Vogels wäre. Der Jude that es; sobald er anfing, stimmte die Nachtigall ein, der Jude sang eine Note höher, die Nachtigall folgte, so steigerte er den Ton mehrere Mal und der Vogel suchte ihn immer zu übertreffen. Als ihm die Kraft hierzu versagte, und er fühlte, daß er besiegt war, schwieg er plötzlich still und sang nie mehr. In wenig Tagen war er vor Kummer gestorben.“

Sollten wir, wenn wir dies lesen, uns nicht dazu aufgefordert fühlen, nachsichtig zu werden, wenn wir von den Launen und Capricen der Sängerinnen hören? Die menschlichen Nachtigallen sind zu diesem als höher organisirte Wesen offenbar noch mehr berechtigt.

Höhnen und lachen wir daher nicht zu arg über die Theaterdirektoren, wenn diese sich die Kunst aneignen, mit Sängerinnen umzugehen und sie zu kirren!




Der Milch-Baum. Vom Lande, wo Milch und Honig fließt, hat Jeder in seiner Jugend schon gehört. Das Land ist aber leider bis jetzt noch nicht entdeckt worden. Ein englischer Reisender, Wallace, hat dagegen kürzlich in dem herrlichen Amazonen-Thale in Brasilien, demselben, das Humboldt einst besuchte und so meisterhaft geschildert hat, einen Baum aufgefunden, der so gute Milch giebt, wie die von Thieren gewonnene. Der Baum wird sehr hoch und hat äußerst hartes Holz. Sowie man dasselbe anschneidet, fließt ein Saft heraus, der so dick ist wie Sahne. Diesen läßt man in ein Gefäß laufen und verdünnt ihn mit heißem Wasser. In dieser Form wird er zum Kaffee oder Thee genossen und Wallace fand ihn so gut wie Kuhmilch. Selbst von abgeschnittenen Zweigen, welche schon Wochen lang gelegen hatten, konnte man noch Milch gewinnen. Läßt man den Saft an der Luft trocknen, so wird er zu einer zähen elastischen Substanz, die man als Leim gebrauchen kann und fester kittet als dieser. Der Baum bringt außerdem noch eine eßbare Frucht hervor, welche die Gestalt eines kleinen Apfels und äußerst saftiges Fleisch hat. Das Holz ist so hart, daß es allen Einflüssen des Wetters trotzt und daher ebenfalls zu vielen Zwecken nutzbar ist. – Wenn wir doch den Baum in Europa hätten! Wie vielen Leuten wäre damit geholfen, wenn der Milchmann ihnen den Credit kündigt!





Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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