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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

die Büsche und wanden sich durch Gehölze, um den Palmenberg zu erreichen. Die Creolen von St. Benedict, die von der Seite den Teichen her gerade in diesen Augenblicke ankamen, umzingelten sie wacker; meine Gefährten kamen rasch vom anderen Ende der Hochebene heran und einige Nachzügler von den Flüchtigen wurden zu Gefangenen gemacht. Man vertraute sie einer Abtheilung an, die sie in den Kerker bringen sollte, und kam überein, den Rest der Bande in seine letzten Verschanzungen zu verfolgen; ich war zu sehr im Feuer, um an meine Wunde zu denken und beschloß den Feldzug bis zum Ende mitzumachen.

„Man hatte einige Mühe die Gefangenen zu entwaffnen, denn sie wehrten sich wie die großen afrikanischen Affen mit Steinen und Stöcken. In solchen Fällen geräth man in Zorn und ist nicht immer seiner Herr. „Wo ist Quinola?“ fragte ein Creole einen alten Schwarzen, der einen Kolbenschlag auf die Stirne erhalten hatte. „Ich weiß es nicht,“ antwortete dieser. „Wann sahst Du ihn?“ „so eben erst.“ Und als wir uns überrascht ansahen, fügte er hinzu: „Quinola ist nicht todt; er will nicht auf der Insel sterben.“


IV.

„Quinola war ein Malgache,“ fuhr Moritz fort, indem er die Asche aus seiner Pfeift schüttelte, „und die Leute von Madagaskar sterben nicht gern fern von ihrem Lande; sterben ist für sie eine wichtige Angelegenheit, die man nicht außerhalb seiner Wohnung zur Zufriedenheit erledigen kann. Sobald ein Kranker die Augen schließt, so umgeben seine Verwandten das Haus und schießen vom Abend bis zum Morgen, um die bösen Geister zu entfernen, die seine Leiche entführen wollen. Am andern Tage kleidet man den Leichnam in seine schönsten Kleider und legt ihn in einen Sarg, ganz wie einen Christen und begräbt ihn dann außer dem Dorfe. Wenn er reich ist, bringt man ihn mit großem Pomp zu seinen Ahnen, die ihn in einem besondern Grabe erwarten, in Särgen von kostbarem Holze. Wenn er keiner hervorragenden Familie angehört, errichtet man eine Hütte an dem Orte seiner Bestattung und hängt vor dieser Hütte an eine Stange die Hörner der Rinder auf, die während seiner Krankheit für seine Genesung und bei Gelegenheit seines Todes geopfert wurden. Sie behaupten, daß der Verstorbene die Gestalt eines bösen Geistes annehme, denen, die ihn kannten, erscheine und zu ihnen im Traume spreche. Wir haben Sclaven aus Madagaskar, die mit den Wesen der andern Welt ihre Beziehungen fortsetzen, und wenn sich diese Erscheinungen oft wiederholen, so sind diese daran Schuld, wenn sie sich dem Kumner hingeben, wenn sie das Heimweh ergreift und sie in der Hoffnung sterben, zu denen zurückzukehren, die sie rufen. Endlich glauben sie, daß ein Todter manchmal wieder in der Gestalt eines Thieres oder einer Pflanze zu leben anfange; gewiß ist es, daß man auf dem Grabe eines durch seine Grausamkeit berühmten Häuptlings Schlangen sah, und alle Sklavenhändler können Ihnen sagen, daß in der Bucht von Antongil, nahe dem Hafen Choiseul im Lande der Antararten, an der Stelle, wo ein Anderer durch seine Tugend und Wohlthätigkeit berühmter Häuptling begraben wurde, ein prachtvoller Benzoebaum hervorspießte. Sie wissen es wohl, meine Herren, daß der Benzoebaum kleine gute Früchte in Ueberfluß giebt und daß er seine Zweige wie die Arme eines segnenden Priesters ausbreitet. Es giebt viele noch außerordentlichere Dinge auf dieser großen Insel, wo man mehr als zwanzig verschiedene Völker findet, die einen roh und wild, die andern verständig und empfänglich für Bildung, diese gekräuselt wie Kaffern, jene mit langen Haaren geschmückt, wie die Hindu von Pondichery. Wie Schade, daß es so schwer ist, sich an ihr Klima zu gewöhnen!

(Fortsetzung folgt.)




Die Stufenjahre des menschlichen Lebens.

Allen organischen oder lebenden Körpern, zu denen man die Pflanzen, Thiere und Menschen rechnet, ist von Natur eine gewisse Dauer ihres Daseins, eine Lebensdauer gegeben. Während dieser Zeit unterliegt die Materie dieser Organismen fortwährend dem sogenannten Stoffwechsel (s. Gartenlaube Jahrg. I. Nr. 39. S. 423) und gleichzeitig durchläuft jeder Organismus[1] eine festgesetzte Reihe von bestimmten Veränderungen, die man Entwickelungsstufen, Lebensabschnitte, Lebensalter, Lebensepochen, Lebensphasen oder Bildungsperioden benannt hat. An jedem Organismus läßt sich nämlich deutlich wahrnehmen, wie er entsteht, wächst, zu einer bestimmten Stufe der Vollkommenheit (Reife) gelangt, auf dieser einige Zeit verweilt, sodann allmälig wieder an Vollkommenheit abnimmt und endlich zu Grunde geht (stirbt), nachdem er in der Zeit der Reife seinem eigenen Organismus ähnliche Organismen erzeugt (sich fortgepflanzt) hat. Denn eine Urzeugung (generatio aequevoca), d. h. eine Erschaffung von Organismen ohne durch mütterliche Organismen, blos durch Verbindung chemischer Substanzen mit einander, wie bei der Bildung unorganischer (lebloser) Körper, existirt nicht. Ohne Saamen entsteht keine Pflanze, ohne Ei kein Thier.

Im menschlichen Leben, welches gegen 70 bis 80 Jahre währt, zeigen sich nun zuvörderst drei Hauptabschnitte, nämlich der der Entwickelung, der Reife und der Abnahme. Ein jeder dieser Abschnitte läßt aber wieder mehrere Zeiträume mit besondern Erscheinungen erkennen. Jedoch lassen sich diese Lebensepochen nicht nach bestimmten Jahren eintheilen, da die einzelnen Epochen, wie auch schon aus der allmäligen Ausbildung des Körpers hervorgeht, nicht schroff von einander gesondert sind, sondern nur ganz allmälige Uebergänge aus einer Epoche in die andere bilden; da ferner der Gang der körperlichen und geistigen Entwickelung sich bei dem Menschen weder streng an die Zahl der durchlebten Jahre bindet, noch auch bei allen Menschen auf der Erde gleich bleibt, sondern sich nach Klima, Lebensweise, Erziehung, Geschlecht, Temperament, Constitution, Abstammung, überstandenen Krankheiten u. s. w. etwas ändert. – Der Mensch, nachdem er vor seiner Geburt das Frucht-, Ei- oder Fötalleben (von 9 Monaten oder 40 Wochen oder 280 Tagen Dauer) durchlebt hat, tritt mit dem Erblicken des Lichtes der Welt in das selbstständige Leben ein und zwar zunächst in den

I. Zeitraum der Unreife, welcher von der Geburt an bis zum Eintritt der Reife (bei uns zu Lande etwa bis zum 20. Lebensjahre beim weiblichen, bis zum 24. Jahre beim männlichen Geschlechte) dauert und die Kindheit und Jugend in sich schließt. Es charakterisirt sich dieser Zeitraum hauptsächlich durch das fortwährende Wachsthum des Körpers und das Entfalten seiner Form. Er läßt sich in die folgenden Epochen trennen.

1. Alter des Neugebornen, jüngstes Säuglingsalter, umfaßt die ersten 6 bis 8 Lebenstage und zeichnet sich durch die am kindlichen Körper noch vorhandenen Spuren des früher bestandenen engern Zusammenhanges mit dem mütterlichen Organismus aus. Das Geschäft des Neugeborenen ist nur: zu athmen, zu schlafen, Milch zu trinken und Urin sowie Stuhl zu entleeren. Er bedarf hierzu: warme reine Luft, passende Milch, gleichmäßige Wärme, warme Bäder und mechanischen Schutz.

2. Das (spätere) Säuglingsalter begreift die ersten 9 bis 12 Monate des Lebens in sich und reicht bis zum Entwöhnen des Kindes von der Mutterbrust. In dieser Lebensepoche erwachen allmälig die Sinne zur Thätigkeit und erst durch diese zieht dann nach und nach der Verstand in das Gehirn ein. Schon jetzt muß aber die Erziehung (durch Gewöhnung) beginnen. Uebrigens geht das Wachsthum des Körpers ziemlich schnell vor sich und es


  1. Organismen pflegt man diejenigen Naturerzeugnisse (wie Pflanzen, Thiere und Menschen) zu nennen, in welchen eine größere oder geringere Anzahl von Organen zu einem abgegränzten Ganzen) (Einzelwesen, Individuum) verbunden sind. Als Organe betrachtet man aber die aus sehr complicirt zusammengesetzten chemischen (organischen) Stoffe und aus Zellen gebildeten (organisirten) Theile, von denen ein jeder einen bestimmten, und zwar einem anderen Zwecke als der andere dient, alle aber in ihrer Thätigkeit von einander abhängend, zur Existenz des Ganzen vorhanden sind.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_162.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)