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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 15. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Die Candidaten-Braut.
Von Amely Boelte.
(Fortsetzung.)

Leonie ging nach wie vor zu ihrem kleinen Freunde; denn die Bequemlichkeit ihrer Mutter siegte über jede Bedenklichkeit ihrer Eifersucht. Ebenso blieb es ungerügt, als am nächsten Morgen um die zehnte Stunde auf dem Schreibtisch des Herrn Pastors eine dampfende Tasse Chocolade gestellt ward, neben der die appetitlichsten kleinen Semmelschnitte lagen. – Etwas so Einladendes wurde ihm zu Hause nie vorgesetzt, und schon sein Auge genoß hier, bevor er noch die Lippe damit genetzt. Er konnte nicht umhin, bei seinem nächsten Gange zu seinem Herrn Collegen unten an die Thüre des Wohnzimmers zu klopfen, und auf ein „Herein!“ einzutreten, um Augusten ein Wort des Dankes zu sagen.

„Reden wir nicht davon!“ bat diese. „Je weniger Geräusch man von solchen kleinen Aufmerksamkeiten macht, je lieber werden sie angenommen. Und das letztere wünsche ich doch ganz allein!“

„Sie sind ein Engel!“ sagte er, überwallenden Herzens; denn seine leicht erregbare Natur trug ihn oft zu einem Höhepunkt der Empfindung, wo er weiter ging, als die Besonnenheit gut hieß.

„An gutem Willen!“ fügte Auguste mit weiblichen Tacte rasch hinzu. „Davon sehen Sie hier eine Probe.“ Sie winkte ihm in das angrenzende kleine Stübchen, das sie ihr eigenes nannte, und hier saßen die beiden Kinder, und bemüheten sich, auf einer Tafel Figuren zu zeichnen.

„Welche Poesie den Lebens!“ brach der Pastor unwillkürlich aus. „Eine sanfte, sinnige Mutter, die ihre Kinder die ersten Schritte führt auf des Geistes Pfaden! Glücklicher Lebensmorgen, der unter solchen Auspicien hereinbricht! – Ich beneide diese Kleinen!“

„Mein lieber Freund!“ fiel Auguste mit ernster Würde ein. „Sie dürfen vor diesen Kindern nicht den Dichter reden lassen; nur der Mensch, der besonnene, einsichtsvolle Vater darf hier lobend oder tadelnd ein Wort anbringen; denn wir sind hier sehr ernst. Haben wir es ja doch mit einer Aufgabe für das ganze Leben zu thun. – Was wir hier säen, das soll die Mitwelt einst ernten.“

„So darf ich an diesem Werke Theil nehmen? Sie gestatten es mir?“

„Wie dürfte ich den Vater hindern, sein Kind zu erziehen,“ sagte sie lächelnd. „Es ist ja nur eine Gunst, daß mir erlaubt ist, meinem August diese Gefährtin zu geben! – Denn ohne Gemeinsamkeit ist dem Kinde keine Freude an einer Sache abzugewinnen.“

„Ich wußte ja nicht einmal, was hier geschah! Meine Gattin sagte mir kein Wort davon.“

„So bitte ich Sie, auch ihr kein Wort davon zu sagen! Die Sache ist zu unbedeutend, um viel davon zu reden. Glauben Sie mir, man schadet damit.“

„Ich verstehe Sie!“ sagte der Pastor bedeutsam. „Ich werde schweigen und meinem Kinde sein Glück gönnen. – Wo sind denn Ihre übrigen Kinder? Die lernen nicht mit?“

„Ich überlasse es dem Vater, zu bestimmen, wie sie erzogen werden sollen. – Sie sind jetzt in der Schule. Elise wird Ostern confirmirt, dann hilft sie im Haushalte, bis wir sie irgendwo unterbringen können. So geht Eins nach dem Andern fort, bis auch meinen August die Reihe trifft. Wenn die Vögel flügge sind, verlassen sie das Nest.“

„Welch ein schönes Leben Sie führen, verehrte Freundin!“ sagte der Pastor, in ihr milde leuchtendes Antlitz blickend. „Hätte doch meine Leonie einen Gedanken von einem solchen Frauendasein!“

„Ich bitte sie um Gott, Herr Pastor, stellen Sie keine Vergleiche an, loben Sir mich überhaupt nie, weder hier noch vor Andern,“ bat Auguste mit wahrer Seelenangst. „Das erregt mir nur Mißwollen und kann mir mehr Schaden bringen, als sie ahnen. Um von meinen Mitschwestern die Erlaubniß zu erhalten, so still für mich hin auf meine eigene Weise leben zu können, muß ich von Ihnen beklagt werden; sonst treffen mich ihre Vorwürfe, und diese sind an einem so kleinen Orte, und in meiner Stellung als Stiefmutter nicht ohne bittern Schmerz hinzunehmen. – Das Mißwollen Anderer kränkt immer, selbst das unverdiente.“

Der Pastor schied und Auguste nahm sich vor, ein Zusammentreffen mit ihm zu vermeiden. Wie konnte sie überdem der kleinen Leonie verbieten, ihrer Mutter nicht zu erzählen, daß der Vater dagewesen, und eine geheime Ahnung sagte ihr, daß ihre Nachbarin dies nicht gut aufnehmen würde. Sie hatte richtig vermuthet. Nach Kinderweise berichtete die Kleine Alles beim Mittagsmahle, und von der Mutter später allein vorgenommen, wußte sie auch manches Wort, das gesprochen worden, zu wiederholen, denn sie liebte Auguste mit der ganzen Zärtlichkeit ihres jungen Herzens, und jedes Wort des Lobes, das ihrem Vater entfallen, hatte bei ihr einen goldenen Boden gefunden. Sie begriff nicht, weshalb ihre Mutter sie unwillig von sich stieß, als sie ausgebeichtet, und eilte eingeschüchtert hinaus in die Küche zu der Magd, bei der sie, sobald sie zu Hause war, ihre Zeit verbrachte. Denn ihrem Vater war sie eine Störung, wenn sie zu ihm in das Zimmer kam; so oft er allein war, beschäftigte er sich mit Dichtungen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_167.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2019)