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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

es ihm auf sein inständiges Bitten, die Einwilligung seiner Mutter zu einem Besuche in die Heimath zu erhalten. Wie sehr verändert fand er hier jetzt Alles. Sein Stiefbruder war in die Stelle des Pastor Sommer gerückt, ein neuer Präpositus war eingesetzt, und die beiden Wittwen lebten in einem Häuschen Thür an Thüre, ohne sich mehr zu sehen, als damals, wo Gatten und Kinder sie so eng zusammengeführt. August fand seine Mutter still und heiter wie sonst und glücklich im Anblick des zum Jüngling emporgeschossenen Sohnes. Leonie war nun siebzehn Jahre und prangte in Gesundheit und Jugendfülle; dazu hatte der Ernst ihres Wesens ihr eine gewisse Würde verliehen, die auf Achtung Anspruch machte. So trat sie August entgegen.

„Treu und fest für’s Leben!“ sagte sie bedeutungsvoll und bot ihm die Hand. – Sie verstanden sich, ohne daß es eines andern Wortes bedurfte. Auch der Mutter sagten sie nichts; doch mochte diese wohl errathen, was ihre Kinder sannen und träumten, denn manche ihrer Aeußerungen ließen schließen, daß auch sie sich im Stillen mit ähnlichen Gedanken beschäftigte.

Die Frau Pastorin Sommer traf er höchst grämlich an. Bei seinem Anblick brach sie sogleich in Thränen aus und beklagte ihr Schicksal, das sie so früh zur Wittwe gemacht. August versuchte, sie zu beruhigen.

„Schweigen Sie! Schweigen Sie, mein junger Freund!“ rief sie. „Für mich giebt es keinen Trost, als den, daß ich meinen unvergeßlichen Gatten im Himmel wieder finden werde, und auf diese Frage eine positive Antwort zu erhalten, ist mir bis heute nicht einmal gelungen. – Ich bitte Sie, recht eifrig Theologie zu studiren, damit Sie mich hierüber beruhigen können. Nicht zu wissen, ob ein armes gebeugtes Weib ihre verlorene Hälfte wiederfindet, nein, das ist zu arg! – Da benutzten unsere Großväter ihre Studien doch besser. Und in dieser schwankenden Ungewißheit, ob ich nicht jenseits wie ein einsamer verlassener Schatten wandele, soll ich nun der großen Ewigkeit entgegen gehen! – Das kann ich nicht! Das kann ich wahrhaftig nicht. – Ich sehe ja meinen Weg nicht.“

August wollte sie auf andere Gedanken lenken und fragte darum, ob sie sich häufig mit seinem Bruder darüber berathe?

„Ja, da hat man schön berathen!“ sagte sie heftig. „Er kommt oft genug; aber er hat keine Augen für mich, und rede ich mit ihm, so scheint er mich gar nicht zu verstehen. Er ist verliebt in das Kind, meine Leonie! Wie er nur daran denken kann! Ich begreife es nicht! Hätte er irgend Geschmack, so würde er nach einer Gattin aussehen, die seinem Hauswesen mit Würde vorstehen und in der Gesellschaft repräsentiren könnte; aber daran denkt er nicht. Seine Natur begehrt keinen Austausch der Seelen, wie ich ihn mit meinem verstorbenen Gatten gepflogen. Gott! Das war eine Ehe! Von der konnte man sagen, daß sie im Himmel geschlossen. Wie die Engel lebten wir beisammen. Der gute, talentvolle Gatte betete mich an!“ – Sie drückte ihr Tuch vor die Augen und schluchzte.

August stand auf und empfahl sich. „Sie wollen schon gehen, junger Freund? Das glaube ich gern, eine betrübte Wittwe ist keine Gesellschaft für die Jugend. – Mit Ihrer lieben Mutter ist es ein Anderes, sie betrauert nur einen väterlichen Freund, während mir das Selbst von meinem Selbst verloren ging!“ – Neue Thränen unterbrachen ihren Redestrom, und der junge Mann gewann unter wiederholten Verbeugungen die Thüre. Leonie harrte seiner im andern Hause.

„Du warst bei meiner Mutter?“ fragte sie ihn.

„Ich bitte Dich, sage mir nichts darüber. Es thut mir weh und ich leide ohnehin genug dabei.“

Sie blickte still vor sich hin auf ihre Arbeit, und August trat an das Fenster und sah auf die Straße.

„Mein Bruder Wilhelm bemüht sich um Dich?“ fragte er nach einer Pause.

„Sie hat es Dir gesagt? – Ja, August, dem ist so. Ich lasse ihm gewähren, weil ich es nicht ändern kann. Seine Besuche zerstreuen meine Mutter.“

„Und seine gute Stellung und Deine peinliche Lage verleiten Dich nicht, seiner Bewerbung Gehör zu geben?“

„Nein!“ sagte sie fest. „Die Art, wie er mich liebt, ist mir zuwider. So oft er mich ansieht, möchte ich meine Hand über seine Augen decken. Auch, abgesehen von allem Andern, hätte er keine Hoffnung.“

August verstand ihre Meinung und erwiederte nichts. Seine Mutter kam eben hinzu, man setzte sich um den Tisch und tausend Fragen nach seinem Leben und Treiben in Rostock wurden an ihn gerichtet, die er gerne beantwortete; denn er wußte, von welchem Interesse auch der kleinste Umstand seines Lebens für beide Frauen war, und das gab denselben auch in seinen Augen den Werth und die Bedeutung für eine Mittheilung. Es war beschlossen, daß er nach Ablauf der Ferien nach Rostock zurückkehren solle, um seine akademische Laufbahn zu beginnen. Seine Mutter wollte ihm senden, was in ihren Kräften stand; das Fehlende mußte er selbst gewinnen durch das Ertheilen von Privatstunden, denn mit den Freitischen hatte es jetzt sein Ende erreicht. Diese waren ihm zugesagt worden, so lange er das Gymnasium besuchte, und nachdem er vier Jahre dieser Wohlthat genossen, konnte er unmöglich eine Verlängerung des Termins begehren. Auch war er innerlich froh, dieser Gnade nicht mehr zu bedürfen. Es war ihm zu Muthe, als falle damit eine entsetzliche Bürde von seinen Schultern, als werde er nun erst ein freier Mensch und ein Mann. Mit vollem Vertrauen in seine Kräfte und seinen Willen sah er seiner Zukunft entgegen und zweifelte nicht, den Sieg über alle Hindernisse davonzutragen.

Am Vorabend seiner Abreise winkte er Leonie zu sich in eine Fensternische. „Leonie!“ sagte er mit weichem Ernst des Tones, „hier diesen kleinen goldenen Reif lass’ mich zur Erinnerung an diese glücklichen Tage an Deinen Finger stecken, – und Dir dabei das Versprechen abnehmen, daß Du ihn von Dir werfen willst in der Stunde, wo ich Deiner Achtung unwerth werde. Es wird mir ein Sporn sein auf der Bahn meines Lebens. mir zu sagen: sie trägt den Ring noch; oder: sie soll den Ring noch ferner tragen; darum gönne ihm diesen Platz.“

Sie hielt ihm stumm die Hand hin, während zwei große Thränen über ihr tief bewegtes Antlitz rollten. Er steckte den kleinen Reif daran, und hielt sie dann noch fest zwischen seinen beiden Händen; sie sah ihn an, sie sah die von Schmerz und Liebe bewegten Züge, sie schlang beide Arme um seinen Nacken, zog sein Haupt zu sich herab und ihre Lippen berührten leise seine Stirn, aber schnell hatte sein Mund den ihrigen gefunden, sein Arm umfing sie und ein langer Kuß besiegelte den Bund dieser Stunde.

Nach August’s Abreise erschien das Haus den beiden Frauen sehr öde; aber die Arbeit half die Lücke schnell ausfüllen. Ihre Schule trat nun in das Leben, und die gediegenen Kenntnisse, die Leonie besaß, thaten ihr hier vortreffliche Dienste. – Die Mädchen, welche ihrer Aufsicht anvertraut wurden, brachten nur vier Stunden täglich bei ihnen zu, denn eine langjährige Erfahrung hatte Augusten gelehrt, daß deren zarter Körperbau es nicht vertrage, so lange auf einem Flecke in einer Stellung zu verweilen. Dafür wurden sie in Feld und Wald und Garten hinausgeführt und erhielten hier die Belehrung, welche dem Menschen weit bildender ist, als bloßes Bücherwissen. – Bald strömten ihnen Schülerinnen von allen Seiten zu, der benachbarte Landadel wollte seine Töchter gern unter solcher Aufsicht wissen, und das kleine Haus faßte lange nicht mehr die Zahl von Personen, die es aufnehmen sollte. – Auguste war herzlich froh über diesen Erfolg, so beschwerlich er auch den Abend ihres Lebens machte. Sie konnte dem geliebten Sohne nun ohne Entbehrungen seinen Bedarf zufließen lassen und durfte nicht fürchten, ihn von eigenen Studien durch das Ertheilen zu vieler Privatstunden abgehalten zu sehen. Leonie dagegen sah diesen Erfolg ihres Bemühens mit weniger ungemischtem Vergnügen. Ihre Mutter hatte sich gleich Anfangs gegen diesen Plan erklärt. Ihre Tochter solle keine Schulmeisterin sein, erklärte sie, und wollte auf keine Weise begreifen lernen, daß ein geachteter Beruf weit ehrenwerther sei, als der Müßiggang anderer junger Mädchen.

„Niemand heirathet Dich nun!“ wiederholte sie ihr täglich. „Du wirst eine alte Jungfer werden, und Deine Mutter muß mit Schande in die Grube fahren. Hab’ ich Dich darum so sorgfältig erziehen lassen, damit Du keinen bessern Gebrauch davon machst, als in einer Schulstube damit zu glänzen? Wenn Dein herrlicher Vater das erlebt hätte!“

Bei dieser Erinnerung mußte sie einige Thränen vergießen, und Leonie benutzte die Minute, um ihren Geschäften nachzugehen. –

August hatte unterdessen bei sämmtlichen Professoren seine Aufwartung gemacht und seine Collegia gewählt. Ein so artiger

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