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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

von Fezzan und Kuka ohne Religion und deshalb mindestens ohne „die Sünde gegen den heiligen Geist.“ Hier ging das Kirchenlicht beinahe aus vor Schreck und wollte wenigstens seinen unächten Wachskörper durch die Flucht retten. Aber ich drohte ihm mit Polizei und versprach ihm Stillschweigen nach gerichtlicher Seite hin, wenn er mich unterstützen wolle und zwar durch etwas Einweihung in die Geheimnisse seines Ordens. Ich sei ein Fremder im Lande und habe blos ein literarisches Interesse an der Existenz und Wirksamkeit seines Gewerbes. Und richtig, ich kam nach und nach mit ihm in eine vertrauliche Unterhaltung, aus der mir die Sache so klar ward, daß ich sie in allgemeinen Zügen deutlich bezeichnen kann. Diese modernen Bettelmönche wandern als christliche, hochkirchliche Engel des Mitleidens unter den höhern Ständen umher und halten unter den verschiedensten Formen so reiche Ernten, daß sie stets sehr vornehm und mit weißer Wäsche auftreten können, Bedingungen, die unerläßlich sind, um das Haus und das Herz des höhern Engländers zu öffnen. Dem wirklichen, zerlumpten, schmutzigen Bettler giebt er nichts, weil es unanständig ist, nur die geringste Notiz von Leuten zu nehmen, die unter ihm stehen. So ist das anständige, vornehme England, die „gute Gesellschaft“ Schuld, daß die Bettelmönche gedeihen. Weiße Wäsche, christliche Worte, gute Beziehungen, gut gewählte Gelegenheiten (z. B. Flitterwochen) und Worte und Gefühle verfehlen selten ihren Zweck auch bei schon Betrogenen. Der wirkliche hohlbäckige Bettler wird überall zurückgestoßen, sogar von den Thoren der Arbeitshäuser.

„Die Engel des Mitleidens“ umgeben tröstend alles Elend, das einen Theil der Menschen trifft, und die andern sympathetisch berührt. Rafft die Cholera ihre Opfer hin, der Engel des Mitleidens geht von Haus zu Haus, um für die „Hinterbliebenen“ zu sorgen. Keine große Ueberschwemmung kommt in die Zeitungen, ohne daß Engel folgen, welche einen Abzugskanal für deine Tasche bilden. Kein Haus und kein Mensch darf abbrennen, ohne daß ein durchgebrandter Spitzbube, kirchlich angeölt und salbungsvoll plärrend Dich so lange erbaut, bis Du ihm das Haus wieder aufbauen hilfst. Da aber unglücklicher Weise nicht genug Unglücksfälle von Bedeutung vorkommen (das Umkommen auf Eisenbahnen und Auswandererschiffen ist zu gewöhnlich und zieht nicht mehr), greift der Engel des Mitleidens zu tragischen Dichtungen und läßt Leute Hals und Beine brechen, Mütter mit fünf Kindern gräßlich leiden und die Schwarzen aus dem Innern Afrika’s als Statisten in seinen dramatischen Vorstellungen auftreten.

Wir brauchen nicht zu beweisen, daß dieses Gewerbe in moralischer Beziehung nicht eben sehr tugendhaft erscheint. Aber Jeder sieht wohl auch ein, daß in diesen höhern, modernen Bettlermönchen ein bedeutender Fortschritt gegen die alte Mönchbettelei zu erkennen ist.

Endlich erscheint es auch nicht nöthig, zu beweisen, daß sich dieses Gewerbe in die verschiedensten Formen kleidet. Mancher geht als ganz anständiger Mann in stillen, vornehmen, langen Straßen des Westends neben einem andern anständigen Herrn her, lobt den schönen Abend und erzählt dann eine lange Geschichte von einer Frau „mit fünf Kindern“, die auf ihn warten und sehr hungrig sind. Manchmal wird solch eine Unterhaltung plötzlich durch einen zufällig um die Ecke spazierenden Policemann gestört, bei welcher Gelegenheit der betreffende Herr oft eine hexereiartige Geschicklichkeit im Verschwinden entwickelt.

Von den fremden Baronen, Grafen, entthronten Fürsten Deutschlands und Polens (deren politische Geographie auch in der guten Gesellschaft Englands oft ein tiefes Räthsel bleibt, was denn hier diesen Fürsten auch sehr zu Statten kommt), welche sehr fein in „Cab’s“ angeflogen kommen, unverschämt anklopfen, den gepuderten Diener grob behandeln und Lord oder Sir So und So augenblicklich sprechen müssen, die dann der „augenblicklichen Verlegenheit“ (denn er hofft, daß die „confiscirten Güter“ mit der Zeit wieder herausgegeben werden) durch mindestens eine Zehnpfundnote (noch vornehmer durch einen „Cheque“ auf die Bank) enthoben, stolz wieder ab- und bei einem andern Lord vorfahren, ließe sich viel Romantik der höhern Gaunerkunst mittheilen, wenn sie uns nicht zu weit über unser Papier hinausführen würde.

Auch unsere deutschen Mitbrüder in „Klein-Deutschland“, das einen kleinen Theil Whitechepels im Osten Londons bildet, welche sich als Bettler-Gesellschaften etablirt haben, machen dem deutschen Stadt-Missionär viel zu schaffen, da sie die geschenkten Bibeln spottbillig verkaufen und Papier zu Bettelbriefen dafür nehmen. Sie wenden sich immer schriftlich an ihre Opfer, am liebsten Engländer, die Deutsch verstehen, haben jedesmal etwas „erfunden“ und sind in der Lage, um einen kleinen „Vorschuß“ zu bitten, damit sie zum Heile der mächtigen, englischen Industrie das Werk ihrer Nachtwachen und jahrelangen Nachdenkens ausführen können. Die Erfindung, daß sie etwas „erfunden“ haben, gründet sich wirklich auf viele Erfindungen, die halb verhungert aus Deutschland kommen und hier betteln gehen, bis sie in die Hände von Kapitalisten fallen, welche auf diese Weise bereits nicht selten den englischen Namen und das englische Capital bis zurück in den unbekannten Geburtsort des unbekannten Erfinders verwerthen. Auch in dieser Sphäre ist ein Fortschritt nicht zu verkennen. Früher verbrannte oder steckte man solche Erfinder ein: jetzt können sie doch in England und Amerika betteln gehen und zwar sehr oft mit Erfolg.




Von den Ufern der Ostsee.
Nr. 2. Finnland mit Aland.

Der Admiral Napier hat in einem Tagesbefehl an die von ihm befehligte Flotte den Beginn der Feindseligkeiten gegen Rußland angekündigt, und da die milde Witterung das Eis des Nordens früher als gewöhnlich gebrochen hat, so werden wir die englische Flotte nächstens an den russischen Küsten der Ostsee erblicken.

Angesichts der dort sich vorbereitenden Ereignisse führten wir unsere Leser schon in der vorhergehenden Nummer an die Gestade des baltischen Meeres, mögen sie uns heute nochmals dahin folgen, und zwar nach Finnland, das von besonders wichtiger Bedeutung zu werden verspricht.

Petersburg und Tornea bilden die beiden äußersten Häfen des finnischen und bothnischen Meerbusens, in welche Finnland wie in den aufgesperrten Rachen eines Alligators (das baltische Meer, die Ostsee) hineinragt. Der äußerste Vorsprung liegt der schwedischen Hauptstadt Stockholm gegenüber. Wenn die Schwedenkönige früher ihr geliebtes Finnland besuchen wollten, brauchten sie nur aus dem Schlosse herab unmittelbar in’s Schiff zu steigen. Aber wie Rußland nach dem schwarzen Meere hin schrittweise und unaufhaltsam seine Grenzen ausgedehnt hat, schritt es auch nach der Ostsee vor, und Finnland, einst der schönste Theil Schwedens, ist eine russische Provinz geworden.

Man fühlt sich auf das Angenehmste überrascht, wenn man nach der öden, trostlosen russischen Steppenreise von Petersburg an dem westlichen Endpunkte Finnlands den bothnischen Meerbusen anlangt. Der Distrikt Abo-Björneborg, der die Insel Aland im bothnischen Meerbusen in sich schließt, gewährt das anmuthigste Bild. Die Hauptstadt Abo mit 14,000 Einwohnern, 50 Meilen von Petersburg, hat einen bedeutenden Hafen vor sich, in welchem die größten Schiffe ankern können. Kleinere kommen dicht heran in der Mündung des Flusses Aurajoki. Abo hat eine alte, mit vielem Unglück verwobene Geschichte. Im Jahre 1827 brannte sie beinahe ganz nieder. Seitdem ist sie in großer Ausdehnung wieder erstanden, da fast alle Häuser einzeln stehen. Sie wird schon in der Mitte des 12. Jahrhunderts erwähnt. Das befestigte Schloß ist eben so alt und trotzte oft den Russen. Jetzt dient es als Gefängniß. Am 17. August 1743 mußte Schweden hier die Abtretung von Ingria, Liefland, Esthland und Kymmenegard mit den Festungen Fredrichsham und Wilmanstrand und der Hafenstadt Nyslot, unterzeichnen. Im Jahre 1809 kam durch den Frieden von Frederikshawn das übrige Finnland an Rußland.

Eine der reizendsten Wasserpartien bildet der bothnische Meerbusen zwischen Abo und Stockholm, ein dichtes Gedränge von kleinen Inseln, die mit Ausnahme eines geringen Theiles von offener See, wie Flußufer sich durcheinander schlingen, theils kahl und öde, theils grün und luftig mit schönen Landhäusern besternt. Dieser kleine Archipelagus, von den Finnen „Ahvenamnae“ genannt,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_188.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)