Seite:Die Gartenlaube (1854) 196.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Detinirten Auskunft zu geben und seine Fragen zu beantworten. Eine Stunde hat die Nummer Zeit hier, wie ein Thier im Käfig des Jardin des Plantes, umherzugehen, um frische Luft zu schnappen; nach dieser Zeit öffnet man seine Thür und mit derselben Geschwindigkeit wie beim Kommen kehrt er in seine Zelle zurück.

Nur ein flüchtiger Blick war ihm über das Innere des Gebäudes gestattet; aber er überblickt es in einem Monat dreißig Mal, er merkt sich immer mehr davon. Es ist dies ein langer Saal, elegant, breit, rein wie ein Tischtuch. Eine Glasdecke erleuchtet diesen pensylvanischen Tempel. Zwei Gallerien heben sich über das Steinparket empor, welche mit eisernen Gittern versehen sind und also auf jeder Seite drei Etagen Zellen abgeben, welche hier hinaus ihren Eingang haben. Auf der einen Seite blickt ein ungeheures Fenster hinein, auf der andern Seite stößt dieser Corridor-Saal auf die erwähnte Glasrotunde, welche zugleich Sonntags die Kapelle abgiebt.

Um drei Uhr öffnet sich das Thürfenster wieder und das Essen wird hineingestellt. Dann wird der Detinirte nicht wieder gestört. – Um sieben Uhr läutet es zur Ruhe und er kann sich sein Bett machen. In den beiden gegenüberstehenden Mauern seiner Zelle hakt er seine Hängematte ein, legt die Haarmatratze darauf, bedeckt dieses mit einem reinen Laken, während er mit einem anderen Betttuch seine Decken umschlägt. Dann schläft er den Gefangenenschlummer, – unruhig, leise – halb wachend, bis ihn am andern Morgen die Glocke zum Aufstehen mahnt.

Man sieht hieraus, was pensylvanische Einsamkeit ist. Nur Nichts sprechen und Nichts hören. – Beten, arbeiten und spazierengehen, soll den Tag ausfüllen. Aber das ist eben die fürchterliche Strafe, daß der Mensch hier oft ein Jahr sitzt, ohne zu sprechen oder zu hören und ohne arbeiten zu können.

Er kann Nichts aus Wuth zertrümmern, denn Alles ist von Stein oder festem Holz; man sorgt für seine Bequemlichkeit auf das Allerbeste, ohne daß er nöthig hat, sich darum zu bekümmern, denn Alles geht seine regelmäßige Ordnung durch. Da ist es noch ein Glück, lesen oder schreiben zu können, denn man hat den ganzen Tag Muße dazu. Aber unglücklich Derjenige, welcher gar Nichts kann – er könnte nichts Besseres thun, als hier Etwas zu lernen, wenn er nicht ebeben stumpf und dumm würde. Die Bastille ist nicht mehr, aber Mazas ist auch Bastille!




Gesundheits-Regeln.
Ueber die große Sterblichkeit unter den kleinen Kindern.
Ernste Worte an Aeltern.

Daß so viele Kinder in den ersten Lebensjahren sterben, davon tragen ebensowohl die Aeltern, wie die Aerzte die Schuld, und zwar deshalb, weil erstere die Krankheiten, welche den Tod so oft herbeiführen, nicht zu verhüten trachten, letztere aber die Aeltern nicht mit den nöthigen Vorsichtsmaaßregeln bekannt machen. Und doch lassen sich die meisten dieser Krankheiten so leicht vom kindlichen Körper abhalten.

Daß aber eine große Sterblichkeit unter kleinen Kindern wirklich existirt, zeigen die meisten Sterblichkeitstafeln, aus denen man ersieht, daß von den Neugebornen fast 25 vom Hundert wieder hinwegsterben und daß später bis gegen den dritten Monat hin nach der Geburt noch etwa der zehnte Theil der Gebornen untergeht, während nach dieser Zeit die Zahl der Sterbenden allmälig bis zum fünften Jahre abnimmt. In Preußen war während der Jahre 1844 bis 1847 der vierte Todte ein Säugling, denn es starben durchschnittlich jährlich 440,000 Menschen und darunter 110,000 Säuglinge. Uebrigens sind manche Statistiken hier und da etwas besser, andere noch schlechter ausgefallen und es wird deshalb wahrscheinlich, daß ein bestimmtes Naturgesetz für die Sterblichkeit in den verschiedenen Kindesaltern wohl nicht existirt, sondern daß eine Menge Zufälligkeiten bei der Ab- und Zunahme dieser Sterblichkeit mitwirken müssen. Zu diesen Zufälligkeiten gehört nun ganz gewiß die größere oder geringere Verständigkeit, Vorsichtigkeit und Gewissenhaftigkeit der Aeltern und der Aerzte, und da diese Eigenschaften bei beiden im Allgemeinen nicht zu oft angetroffen werden, so ist eben die Sterblichkeit unter kleinen Kindern in der Regel sehr groß. Oder kümmern sich etwa viele Aeltern darum, was die Kinder krank machen kann? und wie viele Aerzte streben denn nach Verhütung von Kinderkrankheiten? Aber natürlich die Aeltern haben den Glauben, daß wenn die Kinder krank werden, der Arzt ja da ist und die Krankheit kuriren kann, obschon dies der schrecklichste unter allen Aberglauben ist und sich dem Glauben an den Tischklopfgeist direct anschließt. Für die Aerzte aber, die größtentheils selbst in diesem Aberglauben befangen sind, ist es freilich weit leichter und einträglicher, kranken Kindern die paar Arzneimittel (wie Calomel, Zinkblumen, Brechweinstein und Rhabarber), welche gewöhnlich gegen nichtssagende Namen von Kinderkrankheiten (wie gegen Hirnkrämpfe, Wasserkopf, Bräune, Magenerweichung, Scrophulose, Unterleibsschwindsucht, Darrsucht u. s. w.) empfohlen werden, mit wichtiger Miene bald in dieser, bald in jener Form zu verschreiben, als durch zweckmäßige diätetische Vorschriften für die Behandlungsweise des Kindes Krankheiten von demselben abzuhalten oder doch ihre Ausbreitung zu hemmen. Wenn wird nur einmal die Zeit kommen, wo das zur Zeit wie mit Blindheit geschlagene und abergläubische Volk klüger werden, die Augen aufmachen und endlich einsehen wird, wie die oft geträumte Heilmacht der Heilkünstler, – mögen dieselben nun unter dem Schutze des Doctorhutes allopathisch, homöopathisch, rademacherisch, hydropathisch etc. quacksalbern, oder als unpromovirte, geduldete und verfolgte, männliche und weibliche Quacksalber mit trockner Semmel, Kräutern, Geheimmitteln, Sympathie, thierischem Magnetismus und anderm Hokuspokus die kranke Menschheit betrügen, – doch nur eine Heilohnmacht ist und wie, mit Ausnahme einiger wenigen Fälle, da, wo eine Krankheit wirklich geheilt wird, die im Körper nach feststehenden Gesetzen wirkenden Processe allein die Heilung bewirkten. So lange als die Menschen nicht schon von Jugend auf in den Schulen genauere Bekanntschaft mit der Einrichtung ihres Körpers machen, wird auch diese längst ersehnte Zeit nicht kommen und es werden die Krankheiten trotz der enormen Fortschritte der medicinischen Wissenschaft und trotz der täglich wachsenden Zahl der Heilkünstler nicht abnehmen. Doch zur Sache.

Untersucht man die Leichen verstorbener Kinder, so ergiebt sich, daß bei der Mehrzahl derselben der Tod entweder durch eine entzündliche Affection der Athmungsorgane (gewöhnlich durch Lungenentzündung), oder durch einen Magen-Darmkatarrh (Brechdurchfall), oder durch Blutarmuth und zwar vorzugsweise des Gehirns herbeigeführt wurde. Nur in verhältnißmäßig wenigen Fällen (meisten bei Kindern, die später höchstwahrscheinlich schwindsüchtig geworden wären) tödtete die bei den Aerzten so beliebte Hirn- oder Hirnhautentzündung. Daß ein Kind zu viel Blut im Kopfe haben könnte, was durch Blutegel entzogen werden müßte, muß der Verfasser seinen Erfahrungen nach geradezu bezweifeln. Uebrigens nehmen bei kleinen Kindern die meisten fieberhaften, leichten wie schweren Krankheiten sehr gern das Ansehen von Hirnaffectionen an, denn sie gehen sehr oft vermöge der größeren Weichheit des Gehirns und leichtern Uebertragung (des Reflexes) der Reizung von Empfindungsnerven auf Bewegungsnerven, mit Krämpfen (Zuckungen, Convulsionen) der verschiedensten Art einher. Deshalb sind aber auch Krampfzustände bei fieberhaften Kinderkrankheiten durchaus nicht immer gefährliche Erscheinungen; am wenigsten muß man aber durch dieselben veranlaßt werden, sofort eine Hirnentzündung zu fürchten; am allerwenigsten würde jedoch eine solche vorhanden sein, wenn das kranke Kind nebenbei noch hustet, bricht oder laxirt, denn dann ist sicherlich eine Störung im Athmungs- oder Verdauungsapparate die Ursache der Krämpfe. Daß Kinder in Folge des Zahnens sterben oder überhaupt nur ernstlich krank werden können, kann nur von alten Weibern und von solchen Aerzten behauptet werden, die keine Kenntniß vom kindlichen Organismus und seinen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_196.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)