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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Mutter, lege Deine liebe Hand auf mein Haupt, und sage mir, daß Dein Gebet mich begleitet!“

Auguste erhob sich langsam von seiner Brust, zog ihn zu sich nieder und küßte mit einem heiligen Kuß seine Stirne. „Du hast mir viel Glück gegeben, mein Sohn, habe Dank dafür, und wie gesagt, vergieb mir!“

„Mutter, das Wort nicht mehr!“ rief August, und stürzte laut schluchzend zur Thüre hinaus.

Gleich am Tage nach seiner Ankunft in Mücheln ging August zu seinem Freunde, dem Bürgermeister Solger, und fand diesen, zu seiner Bestürzung, auf einer Geschäftsreise begriffen, von welcher er erst im Laufe der folgenden Woche zurückerwartet wurde.

Er sah ein, daß er sich gedulden müsse, so unangenehm ihm dieser Aufschub auch war, denn als Oberhaupt der Stadt hatte jener ihm ja die Bewilligung zu ertheilen in diesem Orte als ansäßig betrachtet zu werden und einen Hausstand gründen zu dürfen.

Daß ihm eine solche Bitte abgeschlagen werde, fiel ihm im Entferntesten nicht ein, denn er wußte ja, wie lieb er seinem Jugendfreunde war und wie froh ihn dieser hier aufgenommen. Doch blieb es immer ein Ceremoniell, das beseitigt werden mußte, bevor ein Aufgebot erlassen werden konnte, und sollte dieses in seinem dreiwöchentlichen Zeitraum bis zu dem ihm gestellten Termin nicht mehr zu bewerkstelligen hin, so konnte man am Ende ja noch eine Dispensation einholen, die nicht schwer zu erhalten war. Mit diesen Gedanken beruhigte er sich und sah einstweilen seine kleine Einrichtung an und welche Zusätze dieselbe bedürfte, um auch Leonien einen Platz hier zu gestatten.

Endlich hieß es der Bürgermeister sei wieder eingetroffen und August eilte nun sogleich nach seinen Schulstunden zu ihm, und drückte eine herzliche Freude über seine Rückkehr aus. „Ich war recht unangenehm überrascht bei meiner Ankunft zu finden, daß Du verreist warst, lieber Solger,“ sagte er, „denn ich hatte ein Anliegen, das weniger dem Freunde, als dem Oberhaupte der Stadt galt, obwohl es hier vielleicht von beiden gemeinsam geprüft werden kann. Ich habe Dir nämlich noch nie mitgetheilt, daß ich mit einem Mädchen verlobt bin, welches mit mir aufgewachsen ist. Ihr Vater war zweiter Prediger in meinem Geburtsorte und sie theilte allen Unterricht mit mir. Ihre Mutter ist seit mehreren Jahren Wittwe und eigensinnig und kränklich; sie bildet sich ein, daß sie sterben wird und hat mir das eidliche Versprechen abgenommen, ihre Tochter jetzt gleich zum Altare zu führen. Ich kann nicht umhin mein Wort zu halten und muß daher bei Dir um die Erlaubniß nachsuchen mein Aufgebot mit Leonie Sommer ergehen lassen zu dürfen.“

„Diese Erlaubniß erhältst Du nicht, das kann ich Dir mit Gewißheit versprechen, mein Freund!“

„Und warum nicht?“ rief August, während ihm alles Blut in die Wangen stieg.

„Weil Du kein Brot hast eine Frau zu ernähren.“ sagte der Andere mit vollkommener Geschäftsruhe.

„Das ist meine Sache und nicht die der Behörde.“

„Da irrst Du. Die Regierung hat uns verantwortlich dafür gemacht, daß wir Niemand in unsern Mauern aufnehmen, der unserer Armenkasse zur Last fallen kann.“

„Solger! Mir das?“ rief August empört.

„Nun ja! Warum nicht? Das Amt eines Privatlehrers ist precär, jeden Tag können die Aeltern Dir die Kinder nehmen und dann hast Du nichts zu beißen oder zu brocken.“

„Ich gebe Dir mein Wort darauf, nie Ansprüche an die Stadtkasse zu machen!“

„Als ob Du mir das noch zu versichern brauchtest!“ lachte der Bürgermeister. „Auch habe ich Dich ja mit Freuden aufgenommen, ohne an eine Kaution oder sonstige Gewährleistung nur zu denken. Du bist mir ganz recht hier und magst bleiben, so lange Du willst. Aber heirathen lasse ich Dich darauf nicht. – Und das thut Niemand. Du mußt überall nachweisen, daß Du die Mittel zu einer Existenz hast, und da Du diese nicht garantiren kannst, so verweigert man Dein Gesuch. Schlage Dir die Thorheit also aus dem Sinne.“

„Ich habe aber mein Wort gegeben und kann nun nicht zurück. Mag sein, daß das Gesetz gegen mich ist; könnte denn der Freund hier nicht eine Ausnahme machen?“

„Das wird er nicht thun, denn es hieße Dich in’s Unglück stürzen. Es ist Alles recht schön mit Deinem Wort geben. Du mußtest aber erst wissen, ob Du es auch halten konntest. Was nicht geht, das geht nicht.“

„Wie wäre mir das je eingefallen, daß der Staat meine persönliche Freiheit auf diese Art beschränken wolle. Wie konnte ich nur vermuthen, daß es mir verwehrt werde, mir eine Existenz zu gründen, wie und wo es mir beliebt? Ich habe ja nicht im Traume daran gedacht und darum ohne Bedenken den Eid geleistet. Was soll nun daraus werden?“

„Du nimmst Dein Wort zurück, weiter nichts!“

„Das thut kein Ehrenmann.“

„Ich seh’ doch keinen andern Ausweg ein.“

„Solger. Du bist mein Freund, sei nur diesmal erbittlich. Gieb Deinen Consenz!“

„Keinenfalls, das versichere ich Dir!“

„Bedenke die Folgen. Du bringst mich zur Verzweiflung.“

„Nun, das wissen wir schon, wie lange in Deinen Jahren die Leute verzweifeln, wenn ihre Liebesangelegenheiten nicht recht gehen. Ich lasse es darauf ankommen.“

„Du weißt nicht, was Du thust, Solger. Es ist ja hier nicht von einer Liebesgeschichte die Rede, sondern von dem Eide, den ich einer Sterbenden geleistet. Geh’ in Dich! Ich versichere Dir, die Folgen können fürchterlich sein, wenn Du bei Deiner Weigerung beharrst.“

„Ich beharre dabei.“

„Ist das Dein letztes Wort?“

„So magst Du es verantworten!“ Er stürzte zum Zimmer hinaus und eilte in seine Wohnung. Was thun? Was beginnen? Er durchwachte die Nacht sinnend. Früh am Morgen setzte er sich an seinen Schreibtisch, und richtete einige Zeilen an den Bürgermeister, in denen er ihn noch einmal dringend bat, sein Wort zurückzunehmen. Sein Bursche mußte das Billet überbringen und August blieb so lange am Fenster stehen, bis er ihn zurückkehren sah. Erwartungsvoll trat er seinem Boten entgegen. „Nun!“ sprach er, als wolle er ihm die Worte von den Lippen lesen.

„Der Herr Bürgermeister lassen sich empfehlen und Sie recht sehr bitten ihm keine solchen Briefe mehr zu schreiben, hier ist der Ihrige wieder zurück. Und wenn Sie sich wieder besser befänden, so möchten Sie ihn des Abends besuchen, wie sonst, aber von der bewußten Sache müsse nicht weiter die Rede sein.“

„Also unerbittlich!“ murmelte August und stampfte den Boden.

Er hieß seinem Burschen die Knaben heute zurücksenden, wenn sie zur Schule kämen, er habe ganz unaufschiebbare Geschäfte zu ordnen. Dann knöpfte er seinen Ueberrock zu und eilte in die Stadt zu einem Advocaten.

„So früh schon, Herr Liebig?“ rief ihm dieser entgegen. „Es müssen wichtige Angelegenheiten sein, die Ihren Morgenschlummer dermaßen stören.“

August erzählte nun kurz sein Anliegen und daß der Bürgermeister ihm rund abgeschlagen, hier als verheiratheter Mann zu leben. Er wünsche zu wissen ob jener zu einer solchen Verweigerung berechtigt sei.

„Das ist er allerdings!“ sagte der erfahrene Geschäftsmann mit der größten Ruhe. „Sie haben hier kein Heimathsrecht, und selbst, wären Sie hier geboren, so müßten Sie immer noch nachweisen, daß Sie die Mittel besitzen, eine Familie zu ernähren. Es läßt sich in der Sache gar nichts thun, denn die Gesetze sind wider Sie.“

„Sie wissen keinen Rath für mich?“

„Keinen! Als daß Sie sich gedulden, wie wir Andern es auch gethan haben. Erst eine Pfarre, dann eine Knarre, lautet unser alter Spruch.“

„So empfehle ich mich Ihnen,“ sprach August kurz und verließ das Haus. Still und in sich gekehrt brachte er den ganzen Tag in seinem Zimmer zu, ohne Nahrung zu verlangen, oder irgend einen Dienst zu begehren. Als es dämmerte, trug er einen Brief auf die Post und gab dann Befehl, daß man ihn durchaus nicht störe und jeden Besuch abweise. Er könne in den nächsten Tagen Niemand sehen und würde auch keinen Unterricht ertheilen, bis er sich wohler fühle.

Seine Wirthin sah ihn verwundert an, wagte aber keine weitere Frage.

Er ließ die Vorhänge herunter, verschloß die Thür und versank dann in trübes Nachsinnen. Düstere Verzweiflung tobte in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_204.jpg&oldid=- (Version vom 24.11.2016)