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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

künftigen Zucht- oder Tragrebe, wozu man die geeignetste der untersten drei Schößlinge gewählt hat. Diese Zuchtrebe bleibt vom Messer gänzlich unberührt. Sie wird nicht gekappt und ebensowenig darf man ihr den Geiz nehmen; so daß sie bis Ende Juli vollständig und ungehindert wachsen kann. Nur die Gabeln entfernt man gelegentlich von derselben. Ende Juli aber schneidet man auch der Zuchtrebe die Spitzen ab, weil nun ihr Wachsthum in die Länge hinreichend vollendet ist. Vier Wochen später, also Ende August, kappt man auch den Geiz an der Zuchtrebe, aber niemals tiefer als auf drei oder vier Augen. (Da der Geiz, richtiger Ableiter genannt, bestimmt ist, den überflüssigen Holztrieb zu beseitigen, so wäre die Folge, wenn er zu früh oder ganz entfernt würde, daß der Holztrieb in das am Geiz sitzende schlafende Auge träte, und diesen statt zu einer künftigen Fruchtrebe, nur zu einer Holzrebe machte und damit wäre die künftige Ernte im voraus zerstört.) – Hat man den Weinstock im Frühjahr auf diese Weise behandelt, so werden die Zuchtreben mächtig wachsen und man hat im Laufe des Sommers nichts weiter zu thun, als dieselben fleißig und zwar so anzubinden, daß sie gehörig von Luft und Sonne getroffen werden können, Ende Juli die Spitze der Rebe und Ende August den Geiz einzustutzen. Nun bleibt blos noch der Herbstschnitt übrig. (Im Frühjahr darf der Weinstock nie geschnitten werden, weil die Schnittwunden dann so stark bluten und dem Stock eine solche Säftemasse entziehen, daß er nicht mehr im Stande wäre, seine Früchte zu der sonstigen Vollkommenheit zu zeitigen und ebensowenig kräftige neue Reben zu treiben. Doch diese Wahrheit ist schon so allgemein geworden, daß gegen dieselbe nur noch selten gesündigt wird). Der Herbstschnitt beginnt, sobald der Stock seine Blätter verloren hat. Dann schneidet man die vorjährige Rebe, die nun ihren Lebenszweck vollendet hat, genau und ganz glatt an der Stelle ab, wo die neue Rebe aus der alten hervorgewachsen ist (s. Abbldg.). Dieser neuen Rebe läßt man nun, so weit sie reif ist, ihre vollkommene Länge und schneidet blos den obern unreifen oder zu schwachen Theil weg, desgleichen entfernt man alle Seitenzweige. Bei dem Herbstschnitte muß man nun noch besondere Rücksicht darauf nehmen, daß außer den langen Fruchtreben, die bestimmt sind, das nächste Jahr uns eine Menge Trauben zu liefern, dem Stocke auch Gelegenheit bleibt, im nächsten Jahre neue kräftige Reben zu treiben. Dieses erreicht man am Besten, wenn man an jedem Stocke nach Verhältniß seiner Größe, eine oder einige der neuen Zuchtreben zu Schenkeln mit fünf Augen und desgleichen ein, oder einige zu Zapfen mit zwei Augen einschneidet. Das eben Gesagte darf ja nicht unberücksichtigt bleiben, weil Schenkel und Zapfen für’s nächste Jahr die kräftigsten Reben liefern und somit die wahren Erhalter eines normalen Zustandes des Weinstocks sind. Hierauf ist nun weiter nichts zu thun, als den ganzen Stock niederzulegen, zusammenzubinden und durch Zudecken, Einbinden oder Eingraben vor Erfrieren zu schützen und ihn so lange der Winterruhe zu übergeben, bis der wiederkehrende Lenz ihn zu neuem Leben wachruft.

Schließlich mögen sich hier noch einige wichtige allgemeine Bemerkungen anreihen, die doch mehr oder weniger zu berücksichtigen wären, als es bisher geschehen ist. 1) Will man an seinen Weinpflanzungen wirklich Freude erleben, so muß man bei Anlegung neuer Stöcke immer nur solche Sorten wählen, die für unser Klima geeignet sind, d. h. die September oder spätestens anfangs Oktober reifen, sonst ist man häufig der Gefahr ausgesetzt, schöne, große Trauben am Stocke zu haben, die aber nur in besonders guten Sommern und also selten reif werden. Solche frühe Sorten sind unter andern besonders: Weiße: Schön- oder Gutedel, Krachmost, früher Leipziger, Diamant, frühe Malvasier-Libete, früher von der Lahn, früher Alexander, Ramberger-Schönedel, weißer Champagner, Muskatschönedel, grüner Borromeo etc. Rothe: Rother Schönedel, rother spanischer Gutedel. persische Corinthe, rother italienischer Malvasier, rother Geisler, Königsschönedel. Blaue: Oporto Rebe, Dolcete du Po, blauer Rheingrau, Jakobstraube, frühester Burgunder, Schwarzclävner, großer blauer Malvasier etc. 2) Der geeignetste Boden, um neue Stöcke einzupflanzen ist ein solcher, der mit Klumpen alten Mörtels, zerbröckelten Ziegelstücken, überhaupt Bauschutt auch Austerschalen reichlich vermengt ist. 3) Bei der Düngung, die aber nur sparsam anzuwenden ist, scheint die animalische, wie Knochen, Knochenmehl, Hufe, Aas, Blut, Harn, der vegetabilischen weit vorzuziehen zu sein. 4) Will man junge Stöcke zu recht kräftigen, in Zukunft dankbaren Weinstöcken erziehen, so muß man in den ersten drei Jahren dieselben immer wieder auf zwei bis drei Augen zurückschneiden. Trägt nun im vierten Jahre ein solcher Stock das erste Mal dann wird man wohlthun, ihm wenigstens die Hälfte seiner Trauben abzuschneiden. Diese weise Schonung seiner Jugend wird der dadurch gekräftigtere Stock später desto reichlicher vergüten. 5) Bei der großen Verschiedenheit der Triebkraft einzelner Sorten ist natürlich auf dieselbe besondere Rücksicht zu nehmen und solchen Stöcken, die sehr stark wachsen und darum auch viel Platz einnehmen, wie früher Leipziger, Schwarzwelscher etc. auch der nothwendige Raum anzuweisen, wogegen schwach treibende wie Dolceto du Po nur wenig Platz bedürfen. 6) Beim Aufbinden im Frühjahr ist es aus mehrfachen Gründen höchst zweckmäßig, die Reben so waagerecht wie möglich am Spalier zu ziehen.

A. Die Rebe. B. Die ungekappte Zuchtrebe. C. Die gekappten Fruchtreben. D. Der Geiz oder Ableiter. —– Der Herbstschnitt. —- Das Kappen.

An diesen Lehren und Anweisungen möge es genügen. Wem sie noch fremd waren, mache sich dieselben zu eigen und sei versichert, daß die richtige Anwendung derselben einen reichen Segen erquickender Früchte aus seinen Weinpflanzungen zur nothwendigen Folge haben wird.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_225.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)