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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Blätter und Blüthen.


Zwanzig Dollars Belohnung. Vor etwa zwei Monaten (erzählt die „New-York-Post“ vom 5. April) wurde einem ältlichen Herrn auf der Straße in einer ihm unerklärlichen Weise die Uhr gestohlen. Er bot öffentlich zwanzig Dollars Belohnung Demjenigen, der sie ihm wiedergäbe, er wolle selbst dem Diebe keine Unannehmlichkeiten bereiten. Bald darauf redete ihn ein anständiger Herr auf der Straße an: „Sir. Sie sind um Ihre Uhr gekommen?“ – „Das bin ich!“ „Sie versprachen dem Wiederbringer zwanzig Dollars Belohnung?“ – „Versprach ich.“ „Versprachen, kein Aufhebens davon zu machen?“ – „Kein Aufhebens.“ – „Sind’n Gentleman?“ „Bin ich.“ „Well then, hier ist Ihre Uhr.“ Der Gentleman bezahlt seine zwanzig Dollars, steckt seine Uhr ein und murmelt im Abgeben: „Möchte doch wissen, wie er’s angefangen!“ – „Möchten Sie?“ ruft ihm der anständige Herr nach; „soll ich’s Ihnen zeigen?“ – „Yes, zeigen!“ „Nun passen Sie auf.“ sagt der anständige Herr, „Sir erinnern sich vielleicht, wie an dem Tage, an welchem Sie Ihre Uhr verloren, Jemand heftig gegen Sie aus Versehen anrannte und Sie um Entschuldigung bat?“ – „Ist mir so.“ „So, nun sehen Sie, das war ich.“ „Freut mich. Ihre werthe Bekanntsch – aber, wie war’s möglich? Ich erinnere mich kaum –“ „Erlauben Sie, ich werde es Ihnen zeigen.“ „Yes, zeigen!“ Und jetzt rannte der anständige Herr wieder gegen den ältlichen Herrn an, bat um Entschuldigung und entfernte sich. „Dank Ihnen!“ rief ihm der ältliche Herr nach und ging seiner Wege, wobei ihm einfiel, daß es wohl bald Essenszeit sein könne. Aber um das zu erfahren, mußte er einen andern Herrn fragen, denn seine eingelöste Uhr war inzwischen eine Flötenuhr geworden, sie war „flöten gegangen“, wie bei dem ersten Stoße des anständigen Herrn.

Auch in London passirte eine ähnliche Geschichte. Dort läßt auch der albernste Stutzer sein bestes Taschentuch nicht heraushängen, da Gelegenheit Diebe macht. Manchmal behält aber aus Nachlässigkeit ein seidener Zipfel Aussicht auf die Straße. Und da sind ehrliche Leute fast immer bei der Hand mit ihrem „Nehmen Sie Ihr Taschentuch in Acht!“ Neulich nun ging eine gutmüthige Seele in diesem Falle noch weiter und begleitete die Warnung mit einem Stoße, der das Taschentuch bis in die tiefste Tiefe der Tasche zwang, aber nicht das seidene, sondern einen rasch untergeschobenen baumwollenen Stellvertreter.





Der „Volkspalast“ in Sydenham bei London, der viermal so viel Raum einschließt, als die größte Kirche, die Paulskirche, und bereits 7 Millionen Thaler kostet, deckt die Zinsen dieses Kapitals schon allein durch die Miethe, welche die Aussteller und Verkäufer darin für ihre Stellen bezahlen. Die 140,000 Quadratfuß Raum, welche von dem großen Inhalte des Palastes, nämlich 40,000,000 Cubikfuß, zum Ausstellen verkäuflicher Waaren bestimmt sind, verzinsen 7 Millionen Thaler! Nun kommen erst noch die Besucher, die von zwei Londoner Eisenbahnen und andern aus der Provinz fortwährend ab- und zugedampft werden, mit ihren Schillingen! So eröffnet sich der erste Frieden- und Culturtempel aller gebildeten Völker am 24. Mai, also mitten im Kriege, doch unter den glänzendsten Aussichten. Und so ist dieses Glas des Friedens doch wohl stärker als Bomben-Metall.





Literarisches. Trotz allem Kanonendonner und Kriegsgefahren, trotz Geldmangel und Geschäftsstille scheint die schöne Literatur nicht feiern zu wollen. Von Glasbrenner erscheint in gänzlicher Umarbeitung eine zweite Auflage seines „Reineke Fuchs“, dessen poetische Schönheiten sicher auch jetzt noch Anerkennung finden, wenn auch manche polemische Zeitanspielungen nicht mehr verstanden werden. Ein jedenfalls interessantes Buch dürften die nächstens erscheinenden „Wendische Weiden“ sein, Erzählungen aus dem wendischen Volksleben, das viel Poetisches und Eigenthümliches hat. Auch der Vielschreiber Ludw. Bechstein, dessen Romane so sehr zur Füllung der Makulaturniederlagen beitragen, hat wieder einen Roman: „Der Dunkelgraf“ geschrieben. Widemann, der bekannte Verfasser der lieblichen Erzählungen: „Am warmen Ofen“ läßt ein zweites Bändchen unter dem Titel: „Für stille Abende“ vom Stapel laufen. Ganz an der Zeit ist die so eben angekündigte Uebersetzung der „Denkerbriefe vom walachischen Donauufer“ von der Prinzessin Aurelia Ghika. die wahrscheinlich auch einige interessante Mittheilungen über die Walachen und russische und türkische Persönlichkeiten enthalten werden. Als Curiosität wollen wir schließlich noch anführen, daß der Verfasser der Broschüre: „Die Erde steht fest“ eine Monatsschrift unter dem Titel: „Blätter der Wahrheit“ herausgeben wird. In der Ankündigung verspricht er durch diese Zeitschrift den „Streit zwischen Bibel und Wissenschaft zu enden“. Wohlgemerkt, das wird Herr Schöpffer thun, der bekannte Verfasser von Hunderten, bei Fürst in Nordhausen erschienenen Broschüren, als: Keine Hämorrhoiden mehr – Keine Zahnschmerzen mehr – Anweisung im Hazardspiel stets zu gewinnen etc. etc. etc. Wer ist dabei am meisten zu bedauern? Der Autor, der Verleger oder das Publikum?





Türkischer Fortschritt à la Koran. Ein türkischer Offizier, in Paris erzogen und dort Ehemann einer hübschen Französin geworden, gab unlängst seinen Freunden in Constantinopel einen Schmauß, wobei die Frau die Honneurs machte. Die Freunde machten große Augen und gaben endlich ihre Unzufriedenheit mit der irreligiösen Neuerung zu verstehen. Der civilisirte Ehemann eilte mitten im Schmauße davon zum Scheikh-ul-Islam (eine Art Superintendent) und bat ihn, zwei Fragen schriftlich zu beantworten: „Ist es einem Muselmann verboten durch den Koran, eine Christin zu heirathen?“ „Nein.“ „Befiehlt der Koran, daß sie ihr Gesicht verberge?“ „Nein.“ Mit diesem religiösen Aktenstück beschwichtigte er seine Gäste und Einige sagten, sie würden’s ihm nachmachen.





Das Unglück, das große Loos zu gewinnen. Ein solches Unglück, wird Mancher denken, wollte ich schon ertragen, aber es ist doch nicht so leicht, wie es aussieht. Ich habe einen Mann gekannt, der mir mit sehr trüber Miene gestand, der Gewinn des großen Looses habe ihn unglücklich gemacht. Er war früher Sattler in Liegnitz und mußte sich dabei ziemlich mühsam durchschlagen, allein seine stets heitere Laune machte ihm jede Entbehrung leicht, und er war froh, seine Familie redlich ernähren zu können. Da machte er einen ziemlich bedeutenden Lotteriegewinn. Er erweiterte sein Geschäft, alle Nahrungssorgen und kleinen Verlegenheiten verschwanden, und er fühlte sich ganz glücklich. Mehr aus Gewohnheit, als getrieben von dem Wunsche, noch mehr zu gewinnen, spielte er in der Lotterie fort und zwar ein ganzen Loos, und die Glücksgöttin ließ darauf nach einiger Zeit das große Loos fallen. Jetzt war der früher arme Sattler ein reicher Mann. Doch was in den Augen Anderer für ein ungeheures Glück galt, machte ihn unglücklich, denn auch freilich nur durch die thörichte Anwendung seines vielen Geldes. Er gab sein Geschäft auf, aber an Thätigkeit und Arbeit gewöhnt, plagte die Langeweile ihn fürchterlich. – Er wurde als Reicher von Vielen aufgesucht, die ihn früher nicht angesehen hatten; er ließ sich durch sie in Kreise locken, für die er nach seiner geistigen wie seiner geselligen Bildung nicht paßte; er lernte Genüsse und Bedürfnisse des Luxus kennen, die ihm früher fremd gewesen waren: er mußte Rücksichten aller Art nehmen, und bald war in einer fremden beengenden Umgebung seine frühere Heiterkeit verschwunden, und er sagte gar oft mit einem schmerzlichen Seufzer: „Wie glücklich wäre ich, hätte ich das große Loos nicht gewonnen!“





Türkische Offizier-Praxis. Nichts kann in der Türkei besser sein, als der Stoff zum Soldaten, sagt ein jetzt im türkischen Lager befindlicher englischer Correspondent. Der türkische Soldat hat alle nöthigen guten Eigenschaften, er ist tapfer und außerordentlich hart in Ertragung von Strapatzen, Kälte, Hunger und Hitze; er ist derb, nüchtern und folgsam. Strafen in den Armeen sind fast ganz unbekannt. Der Fehler liegt in der Organisation, die über alle Begriffe schlecht ist. Offiziere werden nicht wegen ihrer Tüchtigkeit als Soldaten und wegen militärischer Kenntnisse gewählt, sondern je nach der Masse ihres Soldes, die sie dem, welcher ihnen die Stelle verschafft, abzulassen versprechen. Dies geht bis zum ersten Commandeur hinauf. So gab der letzte Ober-Commandeur der asiatischen Armee, Achmet Pascha, einen Wechsel auf einen ganzen Jahresgehalt dem Mächtigen in Constantinopel, der ihm die Stelle verschaffte. Und darin liegt das eigentliche Unglück, welches die asiatische Armee unter ihm hatte, denn er versteht vom Militärwesen wissenschaftlich gar nichts. Dieses System geht durch alle Grade von Offizieren und es ist der Hauptgrund, weshalb die türkische Regierung so viele Schwierigkeiten macht, europäische Offiziere zuzulassen; sie will’s nicht mit den Offizieren verderben, damit diese ihr und der Türkei Verderben fortsetzen und vollenden können. Die gemeinen Soldaten lieben im Durchschnitt europäische Offiziere, und wenn die Regierung gehörigen Muth hätte, könnte sie rasch diesem furchtbaren Corruptionssysteme ein Ende machen. Jetzt zwingt sie zögernd die Noth dazu, so daß allerdings deutsche, französische, ungarische und englische Offiziere immer mehr Terrain gewinnen, wobei allerdings von „Aufrechterhaltung der Integrität der Türkei“ ebenso wenig noch die Rede sein kann, als in der That bei den Freunden der Türkei. Die Türkei geht unaufhaltsam in europäischer Civilisation unter oder auf, wobei es in der Wirklichkeit und kulturhistorisch gleichgültig bleibt, ob, wann und von wem der Halbmond von den Moscheen heruntergerissen und mit dem Kreuze vertauscht werde. Allem Anscheine nach führt „der Krieg“ jetzt alle die unzähligen halbbarbarischen Stämme und Mischungen, die die ungeheuern Strecken von den ionischen Inseln bis über das schwarze Meer hinaus bewohnen, diesem Culturprocesse entgegen. „Arten“ gehen unter und artige Menschen stehen dafür auf





Man wird Alles gewohnt. Als im Jahre 1823 die Sclaven auf Jamaika einen vergeblichen Versuch zur Erlangung ihrer Freiheit machten, wurden nach der Unterdrückung des Aufstandes die Hinrichtungen, welche Belagerungszustand und Kriegsgerichte im Gefolge hatten, so zahlreich, daß das Publikum sie zuletzt gar nicht mehr beachtete, obgleich sie auf dem Marktplatze der Kirchspiels-Hauptorte Statt fanden. Der Missionär Bleby sah in dieser Zeit einst drei Neger hängen, während unmittelbar um den Galgen die Marktgeschäfte ihren so ruhigen und ungestörten Fortgang hatten, als verstände sich das so von selbst, oder als finde wenigstens nichts Ungewöhnliches Statt.





Der junge Großherzog von Weimar scheint in seiner Residenzstadt eine Kunstperiode hervorrufen zu wollen, wie einst sein genialer Großvater die Glanzperiode der Literatur dorthin zauberte. Der erste Anfang soll mit einer Art Walhalla gemacht werden, die mit prächtigen Vorhallen und großartigen Eingängen an den Abhange eines Berges gebaut wird und wozu der Ankauf des Grundstückes allein 32,000 Thaler kostet. Gegenüber oder dahinter – wir sind darüber im Zweifel – aber auf demselben Grundstück soll freilich auch ein Prachtbau einer Kaserne aufgeführt werden, deren Kosten auf 120,000 Thaler veranschlagt sind.

E. K.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_226.jpg&oldid=- (Version vom 15.11.2023)