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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 20. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Der Bürge.
Ein Zeitbild aus der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts.
(Schluß.)

Die beiden Diebe, welche den Rathsherrn und Lederhändler Matthias Pribus bestohlen, sollten, dem Ausspruche des Gerichts gemäß, drei Tage nach Verkündung des Urtheils gehenkt werden, aber die Nachricht, daß im Laufe der nächsten Tage noch mehrere Abtheilungen der in der Niederlausitz so wie in Schlesien geworbenen Kriegstruppen, welche alle den Weg nach Leipzig über Bautzen nehmen mußten, in der Stadt eintreffen würden, veranlaßte den Magistrat, diese Hinrichtung einen Tag früher vorzunehmen, und zwar, da es am Vormittag des nächsten Tages zu spät wurde, diese Execution des Nachmittags stattfinden zu lassen; denn zu jener Zeit wurde der Gebrauch, daß Hinrichtungen nur bis vor zwölf Uhr Mittags vollzogen werden durften, nicht festgehalten, so wie darüber überhaupt auch jetzt eine gesetzliche Bestimmung nicht vorhanden ist.

Als daher des andern Tages die vor der Stadt Nachtrast gehaltenen braunschweigischen Hülfstruppen abmarschirt waren, und nur der in der Herberge zum goldenen Lamm im Quartier liegende Werbeoffizier mit seinen Reitern nebst dem Stallmeister und dessen Leuten in Bautzen zurückblieb, führte man die Delinquenten gegen vier Uhr Nachmittags zum Richtplatze, der damals vor dem Thore auf dem sogenannten Galgenberge sich befand, und eine halbe Stunde später hing des Rathsherrn ungetreuer Buchhalter nebst dessen Spießgeselle an dem in Eile errichteten Galgen.

Der Pole, welcher als neugeworbener Reiter vom Werbeoffizier sein Handgeld und von dem Stallmeister ein Darlehn von mehreren Gulden erhalten hatte, und dem das Einpacken seiner sämmtlichen Habe nicht den geringsten Zeitaufwand verursachte, da er außer ein paar alten Reiterpistolen, einem lateinischen Gebetbuche und einigen falschen Würfeln nichts sein Eigenthum nannte, als was er auf dem Leibe trug, machte des andern Tages mit dem Stallmeister die Runde durch alle Spiel- und Zechherbergen der Stadt, und als die erwarteten Pferde von Löbau eintrafen und der Stallmeister zu deren Unterbringung sich von ihm trennte, und ihm nochmals einschärfte, noch diesen Abend unter dem Schutze der Dunkelheit die Stadt zu verlassen und seiner im nächsten Dorfe zu harren, trieb es den Polen nach der Gerbergasse in des Rathsherrn Haus, mit dessen Ein- und Ausgängen er genau bekannt war. Unbemerkt gelangte er zur Hinterpforte, welche mit der Stadtmauer in Verbindung stand, deren Schloß er mit leichter Mühe erbrach und diese von außen mit einem Stock anknüpfte. Von hier aus stand ihm durch den Garten und den Hof der Weg zun Wohngebäude offen, und als er diesen sich gesichert, schlich er zur Hinterpforte hinaus, ohne von irgend einem der Hausgenossen bemerkt worden zu sein, deren größerer Theil nebst dem Rathsherrn der Hinrichtung beiwohnten.

Der Tag, an welchem diese Hinrichtung vollzogen worden war, gehörte zu einem der trübsten und stürmischsten Octobertage und schon gegen sieben Uhr Abends bedeckte dichte Finsterniß die Stadt und deren Umgebung. Um diese Zeit verließ Wranitzky die Herberge, nachdem er dem Stallmeister seinen Plan mitgetheilt, auf welche Weise er an dem undankbaren Gläubiger sich zu rächen gesonnen sei; dieser, welcher bei dieser Mittheilung laut auflachte und seinen Beifall darüber zu erkennen gab, befahl einem der mit den Remontepferden angekommenen Knechte, den Polen zu begleiten, und wenn derselbe seine Hülfe nicht mehr brauche, sich in die Herberge zurückzubegeben. Mit diesem Knechte ging Wranitzky auf einem ihm bekannten Schleichwege unter dem Schutze der Finsterniß durch ein offenes Pförtchen der Stadtmauer dem Galgenberge zu, und obgleich er, sowie der ihm begleitende Knecht sich eines unheimlichen Grauens nicht erwehren konnten, je näher sie dem von schwarzer Nacht umhüllten Galgen kamen, so siegte doch bald die tolle Lust, dem undankbaren Gläubiger noch einen argen Streich zu spielen, über diese Furchtanwandlung, und rasch entschlossen kletterte der Pole an dem Galgen empor und schnitt den Buchhalter, dessen dürre Klappergestalt selbst in der Finsterniß sehr bemerkbar von der starken Mannesfigur seines Gefährten abstach, ab, belud damit den Knecht und schritt nun längs der Spree, über einen schmalen Steg derselben glücklich gelangend, der in der Stadtmauer ausmündenden Hinterpforte des dem Rathsherrn gehörigen Grundstückes zu, in deren Nähe er den Knecht zu warten befahl, ihm den todten Buchhalter abnahm, denselben aufhockte, mit dessen Armen um seinen Hals geschlungen ihn festhielt, und nun durch die geöffnete Pforte nach dem Garten eilte, von wo aus er leicht über den Hof in die Hausflur des Wohngebäudes gelangen konnte, in dessen Erdgeschoß das Verkaufsgewölbe des Lederhändlers lag. Vorsichtig, aber auch etwas ängstlicher, seit der Knecht nicht mehr in seiner Nähe war, schlich er sich mit seiner gespenstischen Last durch den Garten in den Hof. Nirgend war Licht zu erblicken, ringsumher herrschte die tiefste Ruhe, durch nichts unterbrochen, als durch das jetzt sich erhebende heisere Geheul eines Hundes in einem der Nachbarhäuser. Den Polen durchrieselte es eisigkalt und rascher eilte er vorwärts, wenige Schritte noch und er war in der Hausflur, sein Plan war gelungen, und schon wollte er mit der letzten Kraft seines Muthes den Buchhalter von seinem Rücken herabgleiten lassen und an die ihm wohlbekannte Ladenthüre lehnen, da fühlte er plötzlich, wie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_227.jpg&oldid=- (Version vom 7.12.2019)