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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Schwächen, ahnte er das Wahre und Rechte mehr, als daß er es zu finden wußte. Gleich einem Trunkenen, in welchen Zustand er auch stets gewesen sein soll, wie seine Gegner sagen, wenn die Lust über ihn kam, seinen Schülern zu dictiren, sehen wir ihn in seinen Schriften – mehr als 300 – hin- und hertaumeln vom Wahren und Erhabenen zum Falschen und Irrigen; ja viel, sehr viel finden wir darin, von dem wir dreist behaupten können, daß er selbst nicht gewußt habe, was er damit sagen wollte. Bei alle dem aber gab der gigantische Geist dem Jahrhundert eine andere Richtung in dem Satze, den er einmal fest hinstellte: „der wahre Gebrauch der Chemie ist nicht Gold zu machen, sondern Arzneien zu bereiten.“ Eben so unwahr, wie der Machtspruch der Vorzeit, wurden diese wenigen Worte doch eine Kluft, durch die Goldmacherei und Chemie auf ewig von einander geschieden wurden. Freilich gab man den irrigen Glauben nicht sogleich auf, der Traum der Glückseligkeiten im Gefolge des Steines der Weisen war zu süß. Selbst die Wissenschaft hielt immer noch eine Umwandlung der Metalle für möglich und viele Chemiker, die besonders beigetragen haben zur Bereicherung unserer Kenntnisse, haben gelegentlich nach Mitteln gesucht, das Geheimniß zu lösen, so selbst Kunkel, der bedeutendste deutsche Chemiker am Ausgange des 17. Jahrhunderts.

Die Zeit bis 1700 ist reicher an Goldmachern, wie die eigentliche Periode der Alchemie; aber die Eifrigen gehören jetzt nicht mehr der Chemie an, sie stehen auf einem ganz fremden Boden. Die Höfe der Fürsten, die dort durchgehende herrschende Geldnoth, das war der fruchtbarste Boden, auf welchem die Adepten wie die Pilze aufschossen. Vielleicht erzähle ich später einmal dem Leser ergötzliche Geschichten aus jener traurigen Zeit, die noch heute das sehnlichst herbeigewünschte Ziel Vieler ist. Für heute wollen wir nur andeuten, daß 1680 der Zweifel an die Goldmacherei für Majestätsbeleidigung erklärt wurde, weil sich ja einige Kaiser selbst damit und zwar auf das Eifrigste beschäftigt hatten.

Ja das 18. Jahrhundert zeigt uns sogar die höchste Blüthe des Unwesens, dem freilich bald genug der gänzliche Sturz folgte. Wohl hatten die Fürsten, nachdem sie durch Jahrhunderte hindurch selbst eifrig mit Retorten und Tiegeln operirt, um die köstliche Tinctur zu bereiten, endlich erkannt, daß sie Spielbälle in den Händen schlauer Betrüger gewesen, die man sich nun auf nicht sehr glimpfliche Art vom Halse schaffte. So wurde der berüchtigte Vagant Caëtano, Graf von Ruggiero, der nach vielen Irrfahrten endlich nach Berlin verschlagen war und hier versprochen hatte, den Schatz um beliebige Summen zu bereichern, 1709 in einem mit Flittergold beklebten Kleide an einen gleichfalls vergoldeten Galgen aufgehängt. Ein gleiches Schicksal theilte ein deutscher Industrieritter, Hector von Klettenberg, der dem italienischen in nichts nachstand. Auf Befehl August II. von Sachsen und Polen wurde er 1720 auf dem Königstein enthauptet. Und kurz zuvor zierte ein gewisser von Krohnemann, nachdem er fast zehn Jahre am Hofe des Markgrafen von Baireuth Wunder verrichtet hatte, 1686 zu Culmbach den Galgen. Nebenbei war noch Spott der Lohn für seine ausgezeichneten Leistungen auf dem Gebiete der Taschenspielerei. Der Galgen trug folgende Inschrift:

Ich war zwar, wie Merkur wird fix gemacht, bedacht,
Doch hat sich’s umgekehrt, und ich bin fix gemacht.

Solche Mittel brachten zwar die fahrenden Adepten und Glücksritter zum Verschwinden, aber die große Kunst blühte mehr denn je; von den Höfen dem Scheine nach verscheucht, wurde sie jetzt zum ersten Male Gemeingut des Volks. Wie sehr die Epidemie grassirte, ersehen wir aus den poetischen Klagen einiger Adepten, die sich für die wahren hielten und ihren Zorn darüber, daß die heilige Kunst in den Koth getreten würde, in Versen Luft machten. So schrieb einer:

Wer im gemeinen Dienst dem Staat nichts nützen kann,
Wer jung als Passagier sein Hab und Gut verthan,
Will nun im Müßigang, aus Gläsern, Rauch und Kohlen,
(Schaut doch dies Wunderwerk) des Schadens sich erholen.

Und ein anderer:

Es will fast Jedermann ein Alchemiste heißen,
Ein grober Idiot, der Junge mit dem Greisen;
Bartscheerer, altes Weib, ein kurzweiliger Rath,
Der kahlgeschorne Mönch, der Priester und Soldat.

Lange jedoch war die große Kunst nicht im Stande das volle Tageslicht zu vertragen und bald genug mußte sie sich ihre Anhänger wieder unter den Gebildeten suchen. Jetzt staunen wir freilich, wenn wir die erhabensten Geister unseres Volkes unter den Vereinzelten finden, die diesem Wahn folgten: Friedrich II. und Goethe. Dem Letzteren verzeihen wir seine jugendliche Verirrung sehr gerne; sie schuf den Faust, die herrlichste Frucht, welche uns die durch viele Jahrhunderte betriebene geheimnißvolle Kunst geliefert hat. Es war keine bizarre Laune, wie ein französischer Geschichtschreiber der Chemie glaubt, welche unserem Goethe den Gedanken zu seinem Meisterwerk eingab; der Faust, der filzige Wucherer von Mainz, wie der Franzose ihn nennt, ging nothwendig hervor aus dem mystisch-alchemistischen Treiben Goethe’s.

Der Glaube an die hermetische Kunst ist bis in die neueste Zeit hinein nicht untergegangen. Einzelne hielten stets noch hartnäckig daran fest. 1725 kam ein interessanter Fall zur Entscheidung vor die Juristenfacultät der Universität Leipzig, die bereits 150 Jahre früher in einem Urtheil gegen den Leibalchemisten des Kurfürsten, den Stein der Weisen als eine ausgemachte Sache anerkannt hatte. Die Gräfin Anna Sophie von Erbach hatte auf ihrem Schlosse Frankenstein einem als Wilddieb verfolgten Flüchtling Schutz und Hülfe gewährt. Aus Dank dafür verwandelte dieser das sämmtliche Silbergeschirr in Gold, von dem nun der Gemahl die Hälfte in Anspruch nahm, weil der Zuwachs des Werthes auf seinem Gebiete und in der Ehe erworben worden war. Das Gericht wies aber seine Ansprüche zurück, indem das Eigenthum der Gräfin vor der Verwandlung auch nach derselben ihr verbleiben müsse.

1796 stiftete der bekannte Verfasser der Jobsiade Dr. Kortüm in Bochum, die hermetische Gesellschaft, deren Wirken wir bis 1819 verfolgen können; ein Werk, das sich dem komischen Gedicht ebenbürtig zur Seite stellt, dessen Held auch 1802 in dem Journal der Gesellschaft eine salbungsvolle und trostreiche Rede an die „Wanderer im Thale Josaphat“ richtet. Besonders eifrig und unter hohem Schutze wurde 1808–1811 in Karlsruhe experimentirt. Ein Baron Sternhayn fühlte sich durch das Diplom der unsichtbaren Gesellschaft mehr geehrt, als durch das Pergament seines Adelsbriefes. Wahrlich eine richtigere Würdigung ist dem Adel der heutigen Zeit nicht so leicht von einem seiner eigenen Glieder wiederfahren.

Uns liegt eine Geschichte der Alchemie vor, verfaßt von einem Professor Schmieder in Kassel, die 1832 in der Buchhandlung des Waisenhauses zu Halle erschienen ist. Der gelehrte Professor ist vollkommen davon überzeugt, daß die Verwandlung der Metalle möglich sei und daß der Stein der Weisen zu verschiedenen Zeiten wirklich existirt habe. Aus seinen Erörterungen aber ersehen wir, daß der wissenschaftliche Standpunkt, auf dem er steht, selbst für 1832 ein fabelhafter ist und recht eigentlich weit hinter die Zopf- und Perrückenzeit gehört. Auch die Versuche Gold zu machen, ziehen sich bis in die Gegenwart hinab. So wurde 1837 dem Gewerbeverein in Weimar eine Tinktur, die Alles in Gold verwandele, übergeben, damit sich ein Jeder von der freilich sehr schwachen Kraft derselben überzeugen könne. Heut zu Tage aber kann man dem Chemiker nichts mehr aufbinden; es war leicht in der Tinktur selbst Gold nachzuweisen, das sich natürlich, sobald Irgend ein Metall in die Flüssigkeit gebracht wurde, in Folge des dadurch entstehenden galvanischen Stromes niederschlägt und so das Metall überzieht oder in den Augen der Unwissenden und Leichtgläubigen in Gold verwandelt. Fünfzig Jahre früher wäre dies Experiment angestaunt und für ein Wunder erklärt worden, unsere nüchterne Zeit stempelte es als Betrug.

In Paris ist die Sache sogar bis in die neueste Zeit wissenschaftlich betrieben worden, wie wir dies aus dem 1841 erschienenen Lehrbuch der Chemie von Baudrimont ersehen. Nach ihm hat sich ein gewisser Javary vielfach mit Versuchen beschäftigt, deren Resultate mit der Zeit ein Gelingen in Aussicht stellten. Seiner Ansicht nach ist der Sauerstoff das mächtige, die Verwandlung bewirkende Princip. Zu diesem Glauben waren bereits auch die ältern Alchemisten gekommen. Sie sahen die Luft, das flüchtigste aller Wesen, als die materia prima an und scheuten sich nicht mit Kröten, Schlangen und Eidechsen, namentlich den goldgefleckten zu operiren. Hier glaubten sie mit Zuversicht den Stein der Weisen zu finden, denn ihrer Ansicht nach mußten diese Thiere, da sie lange ohne Nahrung ausdauern können und sich folglich, wie jene glaubten, von der Luft nähren, das flüchtige Princip dieser in sich verdichten.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_234.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)