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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Nahrungsmittel.
Fleisch.

Fleisch macht Fleisch, giebt Kraft und Muth, und ist nach der Milch (s. Gartenlaube Nr. 12) das nahrhafteste Nahrungsmittel (s. Gartenlaube Jahrgang I. Nr. 39), weil es fast alle die Stoffe in sich enthält, aus denen unser Blut und unser Körper zusammengesetzt ist (s. Gartenlaube Jahrgang I. Nr. 32). Natürlich meinen wir damit das Fleisch der höheren Thiere, vorzugsweise pflanzenfressender Säugethiere. Denn die Menschen genießen ja auch das weniger nahrhafte Fleisch der Krebse, der Schnecken und Muscheln (Austern), sie verzehren ferner Käfer und Heuschrecken, Ameisen, Raupen und Puppen, Spinnen, Würmer, Seeigel, Quallen und selbst Infusionsthierchen. Die letzteren finden sich nämlich in den Erdarten (wie im Bergmehl), welche von manchen Völkern, besonders in Zeiten der Noth, genossen werden. Viele ungebildete Völker verschmähen es sogar nicht, das Ungeziefer ihres eigenen Leibes zu verspeisen; die Indianer am Missouri, die Neger und Hottentotten essen die Läuse, die sie auf Anderer Köpfen finden; die Bewohner der Fuchsinseln, die Indianer am La-Plata, die Bewohner Neuseelands u. a., besonders aber die Buschmänner und ihre Frauen treiben diese kleine Jagd mit großem Eifer, und letztere reichen gewöhnlich die fettesten ihrer Flöhe und Läuse ihren Männern und Kindern als besten Bissen. – Am Fleische, was wir verzehren, kommt hauptsächlich Zweierlei in Betracht, nämlich das Faserige (die Muskelfasern) und der Fleischsaft, welcher sich zwischen den Fasern befindet. Auch dient das im Fleische außerdem noch vorhandene zellige und sehnige Gewebe, das Fett, die Gefäße, Nerven und das Blut ebenfalls mit zur Blutbildung und Ernährung. Im Wesentlichen hat das Fleisch aller Thiere dieselbe Zusammensetzung, nur die Mengenverhältnisse der einzelnen Bestandtheile und die Eigenschaften der Fasern wechseln und darauf beruht die verschiedene Nahrhaftigkeit und Verdaulichkeit der verschiedenen Fleischarten. Die mannigfaltigen Unterschiede im Geschmacke lassen sich zur Zeit noch nicht erklären.

Die Fleisch oder Muskelfasern bestehen aus einer dem Faserstoffe ganz ähnlichen und Kalkphosphat enthaltenden Eiweißsubstanz (Muskelfaserstoff, Syntonin) und sind bei verschiedenen Thieren (vorzüglich nach dem Alter und der Art derselben) insofern verschieden, als sie dicker oder dünner, weicher oder fester, röther oder blässer, feuchter oder trockener, sowie durch mehr oder weniger lockeres oder festes Zellgewebe unter einander vereinigt sein können. Von dieser verschiedenen Beschaffenheit der Fasern hängt zum Theil die größere oder geringere Nahrhaftigkeit, die leichtere oder schwerere Verdaulichkeit des Fleisches ab. Leider werden nun aber die Fleischfasern nur theilweise verdaut, denn ein großer Theil derselben wird vom Magen- und Darmsafte nicht aufgelöst, sondern geht unverdaut mit dem Stuhle wieder ab und deshalb ist der Nahrungswerth, sowie die Verdaulichkeit des Fleisches geringer, als die chemische Zusammensetzung desselben erwarten läßt. Je weicher und lockerer die Fleischfasern entweder bei Thieren von Natur sind oder durch die Zubereitung des Fleisches gemacht werden, desto mehr lassen sich davon verdauen. Im Fleische junger Thiere sind die Fasern weit löslicher, als in dem alter Thiere, wo die Fasern fester und kalkreicher sind. Durch längeres Liegen des Fleisches im Essig, wobei die Kalksalze zum Theil ausgezogen werden, lassen sich die Fleischfasern löslicher machen. Auch läßt sich dies dadurch bewerkstelligen, daß man das Fleisch einige Tage an die freie Luft hängt, wodurch ein schwacher Zersetzungsproceß eingeleitet wird und wobei die freie Säure im Fleische sich mehrt. Saure Milch oder zugesetzte Milchsäure wirken auf ähnliche Weise. Ausgekochtes, seiner löslichen Bestandtheile beraubtes Fleisch ist, der Unlöslichkeit seiner Fasern wegen, ein schlechtes Nahrungsmittel, auch macht das Räuchern, Einpöckeln, Dörren (Bukaniren) die Fleischfasern fester und unverdaulicher. Von wesentlichem Einflusse auf das langsamere oder raschere Zerfallen des Fleisches im Magen ist auch die Breite der Fasern; die von älteren Thieren, welche zum Theil doppelt so breit sind, als die von jüngeren, brauchen gewöhnlich 1 bis 2 Stunden länger zu ihrer Verdauung. Das gekochte oder gebratene Fleisch wird im Allgemeinen schneller (um eine halbe bis ganze Stunde) verdaut, als das rohe, weil der Magensaft mit größerer Leichtigkeit in die Zwischenräume der Fasern dringt, diese von einander trennt und zum Theil (niemals aber vollständig) auflöst.

Die Fleischflüssigkeit, der Fleischsaft, welcher die Zwischenräume zwischen den Fasern ausfüllt, ist eine Flüssigkeit von sehr zusammengesetzter Natur, dem aber das Fleisch einen großen Theil seiner nährenden Eigenschaften verdankt, in dem ferner der eigenthümliche Geschmack und Geruch des Fleisches beruht. Der Hauptbestandtheil dieser Flüssigkeit ist Wasser und Eiweiß (und Käsestoff), außerdem enthält sie aber noch eine Menge von Stoffen aufgelöst, welche zur Zeit durch die Chemie noch nicht ganz genau erforscht sind und auch als Extraktivstoffe bezeichnet werden. Man entdeckte nämlich darin: zwei organische Säuren, die Milch- und die Inosinsäure (Fleischsäure); letztere scheint die Ursache des eigenthümlichen Geschmackes der Fleischbrühe zu sein; auch Buttersäure wurde im Ochsenfleische gefunden; ferner fand man zwei krystallisirbare organische Stoffe, das Kreatin (Fleischstoff) und das Kreatinin (Fleischbasis), sodann Inosit (Fleischzucker), phosphorsaures Alkali und Chlormetalle nebst phosphorsaurer Kalk- und Talkerde, sowie Eisen. Kurz die Fleischflüssigkeit, welche man auch als Fleischbrühe durch Kochen dem Fleische entzieht, steht seiner Zusammensetzung nach der Milch und dem Blute ziemlich nahe und ist deshalb nicht blos ziemlich nahrhaft, sondern auch weit verdaulicher als die Fleischfasern. Je saftiger demnach das Fleisch, desto tauglicher zur Ernährung ist dasselbe. Das Fleisch junger Thiere hat einen größern Gehalt an Fleischsaft, als das älterer Thiere, nur ist derselbe ärmer an solchen Stoffen, welche das Fleisch kräftig schmeckend machen. Für eine zweckmäßige Zubereitung des Fleisches ist das Eiweiß des Fleischsaftes von großer Wichtigkeit (s. unten).

Die verschiedenen Fleischarten zeigen Unterschiede theils hinsichtlich ihrer chemischen Bestandtheile, theils in Bezug auf die physikalischen Eigenschaften ihrer Fasern und deshalb ist das eine Fleisch nahrhafter oder verdaulicher als das andere. – Das Fleisch junger Thiere ist weniger blutreich, seine Fasern sind dünner, weicher und leichter löslich, aber weniger zahlreich; der Fleischsaft enthält mehr Wasser und Eiweiß, aber weniger Inosinsäure, deshalb ist dieses Fleisch leichter verdaulich, aber weniger nahrhaft und von minder kräftigem Geschmacke als das älterer Thiere. – Das Fleisch der Säugethiere, welches am meisten als Nahrung dient, hat im Allgemeinen eine sehr wenig schwankende Zusammensetzung; der Wassergehalt desselben ist fast stets 77 bis 78 pr. C., die Zahl der Fleischfasern im Mittel 16 pr. C., die des Eiweißes 2 pr. C. und ebensoviel die des Leims, welcher aus dem den Fasern beigegebenen zelligen und sehnigen Gewebe stammt; der Fettgehalt dagegen ist sehr schwankend. Das Fleisch der wilden pflanzenfressenden Thiere, das sogenannte Wildpret, soll reicher an Blut und an Extraktivstoffen (besonders Kreatin und Inosinsäure) sein, als das der Haussäugethiere und deshalb dunkler aussehen und einen würzigeren Geschmack haben. Daß die Art der Nahrung auf die Beschaffenheit des Fleisches und besonders des Fettes großen Einfluß hat, zeigt sich bei der verschiedenen Fütterung der Thiere ganz deutlich; auch weiß man, daß Thiere, welche in bergigen Gegenden gewürzhafte Kräuter fressen, ein schmackhafteres Fleisch liefern, als solche, die in sumpfigen Gegenden weiden. Merkwürdig und noch unerklärlich ist, daß Thiere, die künstlich (durch Castration) zur Fortpflanzung unfähig gemacht (durch Ausschneiden der Hoden oder Eistöcke), ein zarteres, feinfaseriges und schmackhafteres Fleisch bekommen. Durch Jagen, Hetzen, Peitschen der Thiere wird das Fleisch ebenfalls saftiger und zarter. – Das Fleisch der Vögel, besonders das älterer Thiere, ist trockner und ärmer an flüssigen Bestandtheilen, jedoch reicher an Eiweiß und Extraktivstoffen als das der Säugethiere. Am zartesten ist im Allgemeinen das Fleisch der gezähmten Hühnervögel, während das röthere und bluthaltigere Fleisch wilder Vögel fester und reicher an Extraktivstoffen ist. Das Fleisch der Schwimm- und Sumpfvögel zeigt sich in der Regel hart und von thranartigem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_244.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)