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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

an das alte Sparta. Merkwürdig, daß bei den beiden tapfersten Völkern zugleich der feige Diebstahl unter die Cardinaltugenden gerechnet wird. – Die kriegerischen Stämme werden indeß auch in ihren verschlossenen Bergen von der Kultur aufgesucht werden, die sie von allen Seiten, selbst in russischer Uniform, umgiebt. Und wenn dies der Fall sein wird, so haben wir vollendete Menschen, da bekanntlich die Cirkassier die schönsten Leute des Erdenparadieses sind. Die beiden Häuptlinge, welche vor einiger Zeit in Petersburg waren, brachten die ganze Hauptstadt auf die Beine. Sie besuchten den Kaiser, der sie aus seiner Küche speisen ließ; doch baten sie sich das Fleisch lieber roh aus. Es waren schöne Köpfe, in welchen die Bildung Wunder thun kann. Sie traten in ihrer kriegerischen stählernen Kleidung auf. In Civil erscheinen sie noch grotesker und malerischer. Eine Robe von weißer, indischer Seide, eine kürzere darüber, ringsum von einem Gurt gehalten, der von Goldschmuck schimmert, bis zum Ellbogen geschlitzte Aermel, aus denen der sehnige Arm hervorschimmert, ein schöner Kopf auf markigem Halse, auf dem Kopf eine gestreifte Zipfelmütze, an den Füßen gelbe Pantoffeln, an den Spitzen gespalten, so daß sie wie eine gespaltene Mohrrübe auseinanderklaffen und sich chinesisch in die Höhe krümmen – das letztere sieht zu lächerlich aus für diese schönen kräftigen Menschen, obgleich sie auch nicht in den Leibrock und die Manschetten passen. Bildung und Geschmack wird indessen schon eine Tracht für sie ausfindig machen, die eben so weit entfernt ist von der jetzigen Robe, als von unserm Leibrocke, hoffentlich von letzterem noch weiter. –




Amerikanische Briefe.
I. Die Reise.

Drüben, mitten in dem mit Mastenwäldern überladenen Munde, mit welchem England alle Tage 5000 Centner Baumwolle aus Amerika (und was außerdem noch Alles?) verschlingt, in der Mersey Liverpools gukte der ungeheure Dampfer „Amerika“ über ein dichtes Gewimmel von Schiffen und Booten aus dem Nebel herüber, während ich in unserm „Tender“, dem kleinen Dampfer, der uns hinüber bringen sollte, zwischen Kisten und Kasten und Menschengedränge, mich vergebens bemühte, mich aufrecht und ruhig zu halten, wie ein Mann. In mir und außer mir riß es und stieß es gewaltig. Da liegt das letzte Stück Erde der alten Welt! Wie viel Tausende und Hunderttausende haben ihr während der letzten zehn Jahre ihr letztes Lebewohl zugerufen! Welche Thränen, welche Flüche, welche Segenswünsche und Hoffnungen wanderten damit aus und ein! – Da, die Räder schaufeln – die Taschentücher, welche hüben und drüben Thränen abwischten, winken hin und her, und die schmerzbewegten Gesichter suchen zu lächeln, damit der letzte Eindruck sich heiter eingrabe in die Herzen der Geschiedenen! Beide Abschiedsscenen, die der alten und neuen Welt, verschwinden rasch im Nebel. Es ist keine Zeit zu Sentimentalitäten. Eben rauscht ein gewaltiger Schiffsschnabel über unsern kleinen Dampfer hin, giebt dem Schlott eine Ohrfeige, daß er sich krumm biegt und läßt uns nur mit genauer Noth entwischen. Und nun sind wir auch schon dicht neben dem großen Wasser-Kastell, der Amerika. Menschen und Packete drängen sich hinüber und hinauf. Alles ist Confusion für mindestens eine halbe Stunde, die mit der nächsten Ladung des „Tenders“ auf’s Neue beginnt und nach der dritten Ankunft auf’s Höchste steigt. Mit ihr kam die englische Post: mindestens zwei Frachtwagen voll dicke, große Leder-Packete: nichts als Briefe, Zeitungen und Sendungen innerhalb des Postgewichts. – Unverständliche Seemannswörter flogen auf dem Schiffe umher, von Unten und Oben, dem Hinter- und Vordertheile, alle nach der Mitte oben auf die Ruderbrücke, wo der Kapitän und der Pilot standen. Nachdem er Nachrichten von allen Theilen eingezogen, begann sein Commando. Die Glocke schrillte, die ungeheuern Ruder schlugen hochschäumenden, weißen Gischt, und die majestätische Wasserstadt kam bald in einen Schuß, der kühn dem Nebel und den ringsum drohenden Gefahren zu trotzen schien, obwohl die vom Piloten ausgehenden, nach dem Lenker am Hintertheile commandirten Ordres durch ihre rasche und leidenschaftliche Aufeinanderfolge bewiesen, daß man mit der größten Vorsicht in den Nebel und das Meer hineinschnitt. Die Gefahren für die Liverpooler Amerikaschiffe liegen fast alle im Bereich des Landes. Wir kamen aber glücklich aus dem ireländischen Kanal heraus und nach Amerika.

Und nun sind wir schon drüben! Es ging zwar Alles ganz glatt weg, aber die Reise in einem Cunard’schen königlichen Postdampfschiffe hatte so viel Neues, Elegantes, Instruktives, Wissenschaftliches für mich, daß ich mir und hoffentlich auch dem Leser nicht den Genuß versagen kann, das Wesentliche in Bildern wiederzugeben.

Das Cunard’sche Postdampfschiffsystem (von Herrn Cunard in Halifax) ist britisches Eigenthum und unter Caution der Regierung, um die ihm anvertraute Postverbindung zu sichern. Eine Linie läuft direkt von und nach New-York, eine andere über Halifax zwischen Boston und Liverpool. Das andere System, das Collin’sche, ist amerikanisches Eigenthum und von der amerikanischen Regierung für Postzwecke engagirt. Es läuft direkt zwischen New-York und Liverpool. Eine Menge andere regelmäßige Verbindungen müssen hier übergangen werden.

Nun einen Blick auf das ungeheure Uhrwerk, unser Schiff! Die Amerika ist von 1832 Tonnen Gehalt, 249 Fuß lang und legt im Durchschnitt bei einem Kohlengebrauch von 60 Tonnen täglich mit ihren zwei Maschinen 250 bis 290 englische Meilen zurück (10–12 Meilen in der Stunde). Sie hatte 1000 Tonnen Kohlen an Bord, wovon mindestens 900 gebraucht wurden, mehr in diesen zwölf Tagen der Reise, als 400 Familien in einem Jahre verbrennen.

Die Gallerien, Zimmer, Straßen, Abtheilungen auf dem Deck oben kann ich, ohne viel Raum in Anspruch zu nehmen, nicht schildern. Aber ich nannte die Amerika ein Uhrwerk. Das verdient näher angesehen zu werden. So regelmäßig, wie die Glocken schlagen, so bestimmt lösen sich die Wachen, Offiziere und Matrosen ab, so pünktlich läuft das Senkblei hinunter, so genau wird mit Hülfe der Trigonometrie, der Sonne und Sterne, des Compasses und anderer wissenschaftlichen Instrumente der Ort des Schiffes im Weltmeere, seine Geschwindigkeit, die Kraft der Wellen und des Windes und der Strömungen berechnet, gemessen, gebucht und aus Allem zusammen alle Tage mehrmals ein Hauptresultat gezogen. Auch ohne specielles Verständniß giebt der bloße Anblick dieses sichern, ruhigen Regierens der Wissenschaft, Erfahrung und Disciplin mitten im wilden Toben der Wogen, die manche Nacht ungestüm über das Deck hinfuhren, ein Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens. Das Ganze ist der Genuß einen großartigen Triumphes menschlichen Genies über die gewaltigste, wilde Natur, die sich im atlantischen Ocean oft breit genug macht. Die ganze Regierung sieht in Kleidung, Pünktlichkeit und Strenge genau wie auf einem Kriegsschiffe aus. Dem Kapitän stehen in seinen Regierungspflichten drei Offiziere zur Seite, von denen immer zwei auf dem Posten sind, der eine im „Gange“ zwischen den Ruderkasten, der andere im Compaßhause, um die Befehle des Kapitäns oben dem Steuermanne zuzurufen. Nach dem Maschinen-Departement unten, welches von einem Hauptmaschinenmeister und seinen Gehülfen technisch beaufsichtigt wird, gehen die Ordres an einem Drathe herunter, der durch die Art und die Zahl der Glockenschläge, die er hervorruft, blitzschnell das ganze Schiff stille stehen, langsamer oder schneller oder rückwärts gehen läßt. Für die Arbeiten der Matrosen steht immer ein Hochbootsmann auf der Lauer, um die oft kaum merklichen Winke und Handbewegungen des Kapitäns sofort in schreiende Imperative zu verwandeln, die dann blitzschnell in verschiedenen Echo’s sich wiederholen und Segel entfalten, drehen oder verschwinden lassen. Die strengste militärische Pünktlichkeit geht bis in die ungeheuere Küche hinunter und das immerwährende Tafeldecken, Auf- und Wegtragen von fabelhaften Massen von Eß- und Trinkwaaren. Das Tischtuch verschwindet und erscheint wieder, wie ein „preußisches Gewehr auf! Gewehr ab!“ Und die Kellner kommen mit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_254.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)