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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

ihren Ladungen so regelmäßig, daß sie gewiß, wenn dan Schiff gerade zur Frühstückszeit unterginge, mitten im Zutragen von Eiern und geröstetem Speck sterben würden.

Der eigentliche Regierungssitz ist in der Cajüte des Capitains, der im Grunde niemals schläft während der ganzen Reise. Mitten in der Nacht, während ein erster Offizier das Commando hat, liegt er vollständig angekleidet, auf seinem Ruhebett unter hellerleuchteten Karten, Kompassen, Baro- und Thermometern, Quadranten, großen Büchern und mir unbekannten Instrumenten. Alle Stunden kommt ein Offizier und meldet den Lauf des Schiffes, den Stand und die Kraft des Windes u. s. w., trägt Alles in ein Buch ein, vergleicht dabei die Kompasse und die durch ihn genau beschriebenen Richtungen des Schiffes. Zuletzt empfängt er die Befehle des Capitäns, die er daraus zusammenrechnet, schriftlich, um kein Mißverständniß zuzulassen. Die Beschreibung der Richtungen des Schiffes durch einen mit einem Compaß in Verbindung gebrachten Mechanismus blieb mir ein Geheimniß, aber ich sahe es, wie der Compaß mit Hülfe dieses Mechanismus jede Abweichung des Schiffes von seiner geraden Richtung in Zickzacks auf Papier schrieb und die officielle, gerade Richtung eben so in einer geraden Linie angab. Der Capitän sieht beim Aufwachen hier zugleich, ob seine Befehle pünktlich ausgeführt wurden und corrigirt durch frische Commando’s jede Abweichung. So stieg er manchmal wie ein allwissender Gott herauf, ging direct auf einen Beamten zu und sagte ihm kurz und bestimmt: „Sie haben um Uhr So und So den Fehler gemacht, aus Nachlässigkeit oder unwillkürlich.“ Im ersteren Falle folgte allemal ohne weitere Untersuchung eine Strafe.

Diese wenigen Thatsachen mögen hinreichen, um uns ein Bild von dem Uhrwerk einer modernen höheren Dampfschifffahrt zu machen. Es ist die genaueste, complicirteste angewandte Mathematik und Naturwissenschaft. Mit ihren Augen sehend fährt der Capitän blindlings über den Ocean und alle dessen Hinternisse hinweg, schnurgerade in den bestimmten Hafen bei den Antipoden hinein. Freilich müssen Instrumente, Beobachtungen und Berechnungen haarscharf genau sein. Die kleinste Vernachlässigung stürzt den ungeheuern Wasserpalast oft mitten in schnelles Verderben. So erzählte uns der Capitän, daß er eines Morgens mit voller Wuth des Dampfes in einer schmalen Bucht östlich von Neufoundland gegen steile Felsen zugeschleudert wurde. Durch sofortige Umkehr der Dampfkraft rettete er zwar das Schiff, aber nicht seine Wissenschaft. Zu seinem Erstaunen sah er, daß alle seine Befehle pünktlich ausgeführt worden und alle Instrumente, Berechnungen u. s. w. in haarscharfer Richtigkeit waren. Woher dieser Irrthum von 30 Seemeilen? Er mußte lange suchen, bis er aus allen Compassen, die er sich von allen Theilen des Schiffes bringen ließ und von denen nicht zwei übereinstimmten, herausfand, wo der Fehler stecken müsse, im Ofen eines Passagiersalons. Worin aber bestand er? Man hatte in Halifax ohne sein Wissen eine neue, kleine Eisenröhre in die beschädigte, metallene hineingezogen. Sie mußte sofort über Bord und der Schuldige in’s Gefängniß.

So viel und nicht mehr von der Technik und Wissenschaft unserer Fahrt. Das ästhetische Element derselben ist auch bald abgethan. Tag für Tag ohne Unterbrechung schien das Schiff stets im Mittelpunkte einer grenzenlosen, sich rund ringsum in den Himmel verlierenden Wasserscheide, trotz seiner unermüdlichen Arbeit, befestigt zu sein. Immerwährend pflügend, Tag und Nacht immer mit gleichem Eifer schaufelnd und durch und über das Gewoge schneidend, schien es niemals vorwärts zu kommen. Jeden Morgen dieselbe Scheibe von Osten her. jeden Abend von Westen her sich röthend und spielend in demselben unbegrenzten Tonreich von Farbentinten. Der Anblick eines Schiffes in weiter Ferne war ein Ereigniß, ein Wunder, so gewöhnt war der Blick an die unendliche, einfache Erhabenheit dieser Himmels- und Wasserscheibe, als deren Mittelpunkt wir vergebens mit der unendlichen Tiefe, Weite und Breite zu kämpfen schienen. Der Kontrast unserer scheinbaren Nichtigkeit in diesem flüssigen All und des großartigen Comforts, der Eleganz, Vornehmheit und Ordnung unseres Essens, Trinkens, Schlafens und Lebens überhaupt verlor seinen Reiz während der ganzen Reise nicht. So mitten in dem Oceane sich alle Tage mehrmals regelmäßig und vornehm in dem großartigsten, prächtigsten Speisesaale zu Tische zu setzen und in der gutschmeckerischsten Weise aus großen Vorräthen der schönsten Speisen und Getränke, für deren Darreichung stets ein Dutzend dienstbarer Geister bereit stehen, zu wählen, und sonst auf die comfortabelste Weise nichts zu thun, sich zu kleiden, zu schlafen, Besuche zu machen und anzunehmen u. s. w. – ich denke, das ist auch kein kleiner Triumph menschlichen Witzes.

Jeden Morgen 8 Uhr ertönt die große Glocke zum Anziehen. Grade genau 30 Minuten später schrillt sie zum zweiten Male und mahnt zur ersten schweren Arbeit des Tages, dem Frühstücke im großen Salon, der sich nun an seinen acht großen Tafeln und mit seinen rothsammetnen Sopha’s mit allerhand Damen und Herren füllt, die partien- und klikenweise sich an ihren bestimmten Plätzen fixiren. Die Tische seufzen bis 10 Uhr unter Lasten von Kaffee, Thee, irländisch Geschmortem, Eiern, Schinken, kalten Hinterkeulen, Hammelrippchen (den in England klassischen „mutton chops“), Fischen, Eiern, Toasten (d. h. gerösteten Weißbrotscheiben), noch mehr Eiern, heißen Wecken, gebratenem Speck und noch mehr Eiern. So wie es 10 Uhr schlägt, fallen zwölf feine Herren in blauen Jacken unter Commando eines Oberbefehlshabers wie Räuber über alle nicht vertilgten Vorräthe her und räumen die Tische ab, die nun bis 12 Uhr rein bleiben würden, wenn nicht einzelne anarchische Geister aus- und einlahtschten, um individuellen Appetit zu befriedigen. Um 12 Uhr große Glocke für „lunch,“ zweites Frühstück: Suppe, kaltes Rindfleisch, geröstete Kartoffeln u. s. w. Halb 4 Uhr Mahnung der Glocke sich zum großen „Diner“ vorzubereiten, um 4 Uhr Zeichen zum Anfange und Anfang. Alle 160 Passagiere nehmen Theil. So wie der Capitän eintritt, verschwinden die silbernen, schweren Deckel von den Suppen-Terrinen, aus denen die Teller gefüllt werden, welche dann, wie alle folgende Gerichte, die verschiedenen Linien von Kellnern hinunterlaufen. Alles wie geschmiert, leicht, pünktlich, geräuschlos. Suppe, Fleischarten, Fische, Vögel, Wild, frische und eingemachte Früchte u. s. w. Als Getränk hauptsächlich Wasser, worin Eis schwimmt, wenig Wein und Bier. Um 5 Uhr tritt eine Ebbe im Salon ein bis 7 Uhr, wo die Glocke die überall Zerstreuten wieder zum Thee, Kaffee und „Supper“ zusammenruft. Nach dieser letzten Arbeit des Tages bleibt blos noch Zeit übrig zum Domino-, Schach-, Karten- und Tricktrakspielen. Einige spielten immer, wenn sie nicht aßen, und haben, glaub’ ich, kaum einmal auf’s Meer hinausgeblickt, es besteht ja blos aus Seewasser, und sie haben die Reise oft schon ein Dutzendmal gemacht, da die verbundenen Geschäfte zwischen England und Amerika immer Massen von Dienern und Compagnons hin- und herschicken. Die Gesellschaft hatte mit Ausnahme eines ehemaligen Goldsuchers in Australien, eines grauhaarigen Wallfischfängers, eines Ireländers von Ohio und eines Californiers, die oft sehr hübsch in’s Erzählen kommen, wenig Interessantes. Ich wurde nur mit einem Wesen näher bekannt, der Freundin Aller, der Kuh, welche alle Morgen für die ganze Gesellschaft frische Milch gab. Sie hatte ihr kleines Hotel am großen Gange und guckte immer sehr klug und gemüthlich zu ihrem Fenster heraus, von Jedem, der vorbeiging gestreichelt und getröstet in ihrer Einsamkeit. Ich brachte ihr jedesmal einen Apfel oder dergleichen mit, wofür sie mir immer dankbar und sanft entgegen muhte, vielleicht zum Aerger der Dame, die ihr kaltes Roostbeef angeboten hatte und mit stiller Verachtung abgewiesen worden war.

Ich habe schon gesagt, daß die Reise glatt weg ging, so daß sich von Sturm und Lebensgefahr nichts berichten läßt. Diese Art Schiffe verachten jeden Sturm und gehen ohne besondere Schwankungen (wegen ihrer Last und Länge) durch Dick und Dünn. Freilich hatten wir, die wir etwas weit vom großen Salon wohnten, manchmal in dicker Finsterniß um Mitternacht durch unhöfliches Meerwasser auf dem Deck zu waten, wenn der Ireländer oder der Californier zu lange erzählt hatten. Die Amerikaner des Collins sind noch länger und bequemer und viel schneller. Zu erwähnen bleibt nur noch der Gottesdienst, der Sonntags um 1 Uhr feierlich im großen Salon abgehalten ward. Ganze Thürme von Gesangbüchern und Bibeln wurden vertheilt. Der Capitän las nach dem Gesange eine Predigt. Er ist weltliches und geistliches Oberhaupt auf dem Schiffe und kann zur Noth vollgültig trauen und taufen.

Und nun noch das Interessanteste. Am 10. Tage bekamen wir ein großes Dampfschiff in Sicht, das, während es etwa in einer Entfernung von zwei Meilen von uns vorbeipassirte, ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_255.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)