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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

„Vater!“ – Sie eilte ihm nach, schnell war er aber in’s Haus getreten und hatte den Riegel vorgeschoben. – Sie ließ den erhobenen Arm sinken, blickte starr nach der Thüre, dann vor sich hin und, wie verzweiflungsvoll, stürzte sie vor der Bank des Hauses nieder. – Die Arme aufgelehnt, darauf das Haupt, so lag sie in die Knie gesunken lange, lange Zeit. Sie regte sich nicht, aber ihr Athem ging tief und schwer, zuweilen zitterte ihr Körper. Es schien, als wolle sie aufhören zu leben. –

Eine Zeit verging und noch immer verharrte sie in ihrer Stellung. Sie bemerkte nicht, daß sich der bis dahin klare Tag verwandelte. Die Sonne verhüllte sich hinter einer schwarzen Wolke, graue Nebelschleier wallten über das Meer und verbreiteten sich allwärts über Himmel und Erde. Die Luft wurde feucht und kalt, es rieselte wie feine Nadeln herab. Dumpf und hohl brauste die See, die Wellen erhoben sich und zogen schäumend an’s Land und wieder zurück, weiter dahin, nach Schwedens Küste. Der Sturmvogel ließ sein pfeifendes Geschrei ertönen, die Möven flatterten ängstlich hin und her. Durch die Föhren zog es wie ein ängstliches Getön, es schwellte sich an zu einem hohlen Brausen. Die Zweige schüttelten sich angstvoll, und eine Schaar Dohlen flog kreischend über den Wald und suchte den Thurm des Dorfes Kloster-Riedd. –

Die Schauer des Nebels erweckten Katharina aus ihrem Hinbrüten. Sie stand langsam auf, sah sich um, als wüßte sie nicht recht, wo sie sich befinde, und schüttelte sich, als empfinde sie Frost. Sie schien nicht mehr zu wissen, wie lange sie wohl hier gelegen, und leise sprach sie vor sich hin: „Ob er wohl noch warten mag? Ich muß ihn sprechen.“ –

Sie ging langsam erst, dann immer schneller durch den Wald. Bald war sie an dem Plätzchen, dem Wiesfleck, wo Buchen und Eichen standen, die einzigen in dieser Gegend. Sie warf scheue Blicke um sich; es’ war ihr, als wäre ihr Jemand begegnet, den sie zu fürchten habe. – Es mochte wohl die Stimme ihres Gewissens gewesen sein, denn immer rief es ihr heimlich und warnend zu: „Gehe nicht, bleib’ zurück bei dem Vater!“ – – Sie stand hier eine kurze Weile, da rauschte es wie ein Fußtritt in dem herabgefallenen Laube. Bald stand der Junker von Riedd vor ihr. –

Kaum daß er sie sah, so verklärte sich auch sein Gesicht, er kam schnell auf sie zu, erfaßte ihre Hand und sagte: „Du hast mich lange warten lassen. Katharina! Schon dreimal bin ich hier gewesen und wieder weggegangen. Was hast Du so lange gezögert? Es ist inzwischen schlechtes Wetter geworden; Du mußt jetzt doppelt freundlich sein, daß ich Beides vergesse, mein langes Warten und das verteufelte Wetter. Sei, ich bitte Dich, nicht wieder so kurz angebunden, wie Du es gewöhnlich bist. Ich bin ohnehin nicht ganz guter Laune, durchfroren bis an’s Herz. Sei heiß, Katharina, ruf einmal Deine Leidenschaft auf und erwärme mich!“

„Es ist jetzt nicht Zeit zu Scherzen, Herr Junker!“

„Scherzen? Beim Henker, das ist ein toller Ausdruck. Es ist mir so ernst mit meinem Verlangen, wie mir nur je etwas gewesen ist. Was braucht’s da lange Erklärungen und Vorbereitungen? Ich habe Dir nun alle Tage, die wir zusammen waren, erklärt, daß ich Dich liebe, daß ich Dich dem tölpischen Maler nicht lassen kann. Anfangs war es Spielerei, die ich mit Dir trieb, ich will’s Dir nicht verhehlen; aber nun ist es so furchtbarer Ernst mit meiner Liebe zu Dir geworden, daß ich nirgendmehr Ruhe finde, daß ich nur Dich sehe, all überall, bei Tag und Nacht, ich kann nicht mehr von Dir lassen. Du kannst von mir verlangen, was Du willst, Katharina, aber gewähren mußt Du. Rede ein Wort, was ich thun soll, es geschieht. Ich gehe fort mit Dir, weit weg von Allen, wenn es Dir im Sinne liegt. Du sollst mir befehlen, ich will Dir gehorchen! Du mußt das, Katharina, denn Du hast Theil und Schuld an meiner hirnverrückenden Liebe. Du kamst hierher, wenn ich darum bat, ja. Du kamst freiwillig. Du hast mir zwar nie gesagt, aber gezeigt, daß Du mich liebst.“ –

Sie erglühte. „Wie hab’ ich Euch das gezeigt, Junker? Daß ich kam? Daß ich mit Euch hier zusammentraf? Der Weg führt für Jeden, denn er gehört dem Kreuzwirth; ich kam wohl auch, weil unsereins, eine Bauerndirne, wohl gern mit einem vornehmen Herrn plaudern mag.“ –

Der Junker sah sie starr an, als zweifle er, ob er recht gehört. Sein aufgeregtes Blut rollte heißer durch seine Adern; ihr fortwährender Widerstand nahm ihm fast die Besinnung. Er wäre im Stande gewesen, vor ihr niederzusinken, um sie so zu beschwören, denn wirklich liebte er Katharina; seine Leidenschaft war zu einer gefährlichen Größe angewachsen. –

„Deshalb kamst Du nur, Katharina? Deshalb?“ fragte er bebend, während alle Röthe aus seinem Antlitz für einen Augenblick entwich. „Du sagtest, ich habe doch damals recht gehört, ich bin doch nicht taub, daß es möglich wäre, daß Du mich lieben könntest, einst, wenn ich es Dir bewiese, daß ich Dich liebe. That ich das nicht? Ich bin fast hirnverrückt, alle Pulse wollen mir reißen; ich sage, wiederhole es Dir: ich liebe Dich! Fordere, was ich thun kann, gewähre und es geschieht. – Sprich, sprich! Steh’ nicht da, so kalt, so steinern, wie Marmor, der sich nicht erweichen läßt. Hast Du denn kein Herz? Ich könnte Dich hassen, wenn ich Dich nicht so unglückselig liebte!“

„Ihr liebt mich?“ rief Katharina mit erhöhter Stimme und flammender Röthe im Gesicht. „Ihr wagt mir das zu sagen, auch jetzt noch, da Ihr meinem Vater eine Kränkung bereitet, die ihn verzweifeln läßt? Hab’ ich es denn nicht auch gehört, Herr Junker, daß Ihr ihn anklagen wollt, als Euren Mörder? Ist seine Beschimpfung nicht die meine? Dürft Ihr die Tochter eines entehrten Mannes lieben? Er hat nichts, als seine Ehre, mein Vater. Ich bin eine schlechte Dirne, aber ich müßte die schlechteste sein, wenn ich mich Euch anwerfen wollte, nachdem Ihr dies gethan. Mit Fingern würden die Leute auf mich weisen, mir in’s Gesicht spucken, und mir bliebe nichts, als in’s Meer zu laufen. Das ist eine schöne Liebe von Euch, Junker, aber bei mir müßt Ihr sie nicht anwenden.“ –

„Weib!“ – Der Junker wußte gar nicht, wie ihm geschah, es flirrte vor seinen Augen; so hatte das Mädchen nie mit ihm gesprochen. „Was für ein Teufel ist denn in Dich gefahren. Katharina? Bist Du es denn wirklich? Ich muß mich an den Kopf fassen, um nur zu glauben, daß ich nicht träume. Ruhig, demüthig fast, stand’st Du immer vor mir, und jetzt? – Eine Schlange entringelst Du Deine Tücke und Falschheit. Bring’ mich nicht zum Rasen, ich rathe Dir’s. Ich kann Dich zertreten.“

„Ihr droht mir? Ich fürcht’ mich nicht. Ich bin auch keine Schlange, bin nicht falsch und tückisch. Glauben mögt Ihr’s, ich weiß es wohl. Habt Ihr aber nicht selbst gesagt, daß ich nie zu Euch von meiner Liebe gesprochen? Wenn Ihr das Euch eingeredet, so ist das nicht meine Schuld. Und daß ich bis jetzt immer ruhig gewesen, demüthig? – Ich hab’ Euch als meinen Herrn betrachtet, darum gehorcht, wenn Ihr aber was anders wollt, so hört die Demuth von selbst auf! Ihr seid klüger wie ich, Ihr hättet das bedenken sollen.“

„Katharina!“ – Der Junker gab sich Mühe, so sanft wie möglich zu erscheinen, da er durch ihre plötzliche Ruhe immer verwirrter wurde, aber doch so viel einsah, daß er es mit einem Wesen zu thun hatte, das sich durch Drohungen nicht einschüchtern ließ. „Katharina, ich werde wahnsinnig, wenn Du mich nicht liebst. Was kann ich thun, um Dein Herz zu gewinnen?“

„Ob das geschehen kann,“ erwiederte sie nachdenkend, „weiß ich nicht zu sagen. Macht Euch keine große Hoffnung.“ – Sie wachte eine kurze Pause und fragte dann: „Ihr liebt mich also wirklich, Junker?“ –

„Wie mein Leben!“ betheuerte er, indem er die Hand auf die Brust legte.

„So geht zu meinem Vater und bittet ihm ab, was Ihr ihm Leides zugefügt.“ –

„Katharina!“ – Alles Blut stockte in seinen Adern.

„Wenn Ihr nicht wollt, ich quäl’ Euch nicht. Aber das sag’ ich Euch, wir haben heute zum letzten Male miteinander gesprochen.“ – Sie wandte sich nach der Gegend, von der sie gekommen.

Vor seinen Augen schwamm es wie ein Feuermeer, sie wurden feucht vor Glut, es drängte ihn zur Gewalt – er griff nach seinem Gewehr – trat auf sie zu – mit starker Hand umfaßte er sie – eine andere schleuderte ihn zurück – der Maler Rudolf Elmer stand vor ihm. –

Er und Katharina hatten sich bereits entfernt und noch immer verweilte der Junker regungslos auf dem Platze. Er wußte nicht, wie ihm geschehen war, wie festgewurzelt hatte ihn die Ueberraschung. – Er gab sich unsägliche Mühe, alles Geschehene

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_274.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)