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zusammenzufassen, aber er bedurfte lange Zeit, bis es ihm klar wurde. Er fühlte und beachtete den Nebel nicht, der nach und nach in feinen Regen übergegangen war, er hörte kaum das Brausen des Meeres, das sich immer stärker erhob, nicht das Aechzen und Stöhnen des Waldes, nicht das Knattern krachender Aeste. – Langsam kam er zu sich, langsam hob er das herabgefallene Gewehr auf, und eben so langsam schlug er den Weg nach dem Schlosse ein. –

Beim Nachhausekommen begab er sich sogleich in sein Zimmer, ohne vorher zu seinem Vater, dem alten Freiherrn hinüberzugehen, wie er sonst zu thun pflegte. Es war ihm nicht möglich, Jemand zu sehen. Die widerstrebendsten Gefühle wogten in seiner Brust. Seine ersten Gedanken waren Rache, eine verderbenvolle Vergeltung, aber das reizende Bild Katharina’s verdrängte bald diesen Vorsatz; es erschien ihm eben nie verlockender als jetzt, da er sie aufgeben sollte. Ihr hartnäckiger Widerstand, dazu in dieser Weise so unerwartet, verstärkte vollends seine Leidenschaft, die, er fühlte es wohl, er kaum mehr im Stande war, zu bewältigen. Aber freilich, der schwere Preis, seine Ehre, und ohne daran eine gewisse sichere Hoffnung knüpfen zu dürfen. Er sollte ihrem Vater Abbitte leisten, er, der Sohn eines reichen Freiherrn aus dem ältesten Geschlechte Pommerns, einem ehemaligen Unteroffizier, einem armen Fischer, der von Bauern stammte und nicht besser war, wie der gemeinste der Arbeiter auf Schloß Riedd. Der Gedanke empörte ihn, sein ganzer Stolz erhob sich dagegen, aber er hatte mit seiner Leidenschaft zu kämpfen, und die überwog Beides. – Der Charakter Katharina’s war ihm unerklärlich. Sie hatte ihm eine Seite desselben gezeigt, die er nie erwartet hatte; in einer so scharfen Weise, daß sich seiner Leidenschaft etwas wie Furcht beimischte; aber da er nicht im Stande war, sich derselben vernunftgemäß zu entledigen, so wurde es nur noch ein Reiz mehr, der ihn an Katharina fesselte. Es war dies die natürliche Folge seiner innerlich schwachen Gesinnung. Sein Stolz, sein Uebermuth wurzelten in seiner Erziehung, in Standesvorurtheilen, er war voll der nichtigsten Grundsätze; er wurde überall nach Art tyrannischer Naturen schwach da, wo er energischen Widerstand fand. Dem wahren Stolze, der geistigen Ueberlegenheit wußt’ er nichts entgegen zu setzen, als sein Wappen und seine Geburt. Kam es gar arg, reichte er mit seinem Dünkel nicht aus; fühlte er, daß er nicht weiter könne, so zog er sich zurück. Er hatte das in dem Streite mit Rudolf deutlich gezeigt. Seine Drohungen waren an dessen grundsatzvoller Festigkeit gescheitert, er unterlag einer moralischen Kraft, die er nicht schätzte, weil er sie nicht kannte, die aber durch ihren natürlichen hohen Werth überall siegen muß, auch wenn sie nicht verstanden wird. Er war davon gegangen, mit der Absicht, den Maler durch kleinliche Beschränkungen auf dem gutsherrlichen Gebiet sein Uebergewicht fühlen zu lassen; zu lauern, bis sich ihm eine günstigere Gelegenheit zu einer vollkommenen Genugthuung bieten würde; aber er unterließ das Erste, weil er befürchtete, Rudolf könne bei seinem Vater, dem alten Freiherrn, klagbar gegen ihn auftreten. War dieser auch voll Vorurtheile, wie sein Sohn, so war andererseits ein Gefühl von Gerechtigkeit in ihm, eine gewisse biedere Geradheit, die er unter keinen Umständen verläugnete, und die ihn auch zuweilen seinen Sohn nicht schonen ließ.

Rudolf, der Maler, war nun freilich weit entfernt davon, einer Unerheblichkeit wegen, die er längst vergessen haben würde, wäre der Junker nicht in anderer Weise zum Gegenstande seines Nachdenkens geworden, gegen ihn, wie überhaupt gegen irgend Jemand klagbar zu werden. – Durch den letzten Vorfall indeß waren seine Gedanken mit Katharina nicht minder wie die den Junkers, freilich in anderer Weise, beschäftigt.

Von Unruhe getrieben, von Eifersucht gepeinigt, war er nach dem Gespräche mit dem Kreuzwirth, den Tag darauf, in den Wald hinausgegangen. Er hatte sich vorgenommen, Katharina heute nicht zu besuchen, aber wie das bei Liebenden gewöhnlich ist, der Vorsatz wurde nicht zur Erfüllung. Als er eine Zeit lang auf dem Wiesenfleck gewartet hatte und Niemanden kommen sah, so war er ungeachtet des veränderten Wetters auf dem Wege zu Katharina’s Wohnung gewesen, als er sie selbst, in Nachdenken versunken, eilig dem Walde zukommen sah. Rasch trat er hinter einen Baum, ließ sie vorübergehen und folgte ihr dann mit hochklopfendem Herzen in einiger Entfernung. Er wurde Zeuge ihres Gespräches mit dem Erben von Riedd. Wer möchte seine Gefühle beschreiben! Sie überflutheten sich im wahrsten Sinne des Wortes. Bald wurde ihm siedendheiß, bald überlief es ihn wie Fieberfrost. Er führte die Katastrophe herbei.

Schweigend geleitete er Katharina nach Hause. Auch sie sprach nicht, nur eine seltene Befriedigung leuchtete aus ihren Augen, sie drückte sich dicht an den Arm Rudolfs, und schien zu erwarten, daß er ihr ein liebes Wort, eine Zärtlichkeit sagen würde, denn sie schmeichelte sich im Stillen mit dem Bewußtsein, daß sie es um ihn verdient. Ihre Voraussetzung wurde getäuscht. Keine Sylbe entfuhr dem Maler während des ganzen Weges, er war still und in sich gekehrt; und Katharina, als sie das bemerkte, schwieg nun ihrerseits aus Trotz, in den ihre Selbstbefriedigung überging. Sie war diesmal im Recht! sagte sie sich mit echt weiblicher Empfindsamkeit, und wie sie gegangen und gekommen waren, wollten sie auch wieder scheiden, wenn nicht eben jetzt Katharina ihr hartes Zerwürfniß mit ihrem Vater eingefallen wäre. Mit Zögern setzte sie Rudolf davon in Kenntniß. Statt aller Antwort trat er an’s Fenster, pochte, bis er gehört wurde, und von hier aus unterhandelte er mit dem Vater Katharina’s, bis die Versöhnung hergestellt war.

Dann ging er ohne einen Händedruck, ohne ein zärtliches Wort an Katharina. Jetzt wurde sie nun ihrerseits unruhig, und zum ersten Male drängte sich ihr die Frage auf: Ob sie auch an Rudolf recht gehandelt, ob sie auch gegen ihn verschwiegen sein durfte, wie sie es bin jetzt gegen Jedermann gewesen? Er war ihr als ein zu edler Mann bekannt, als daß sie nicht hätte prüfen müssen, ob er nicht ohne Grund in dieser kränkenden Weise von ihr gehe.

Und wohl hatte Rudolf dazu vollkommene Ursache. Der Junker hatte Katharina Falschheit und Tücke vorgeworfen, war das so ganz und gar aus der Luft gegriffen? Lag nicht etwas davon in ihrer Handlungsweise? Sie liebte ihn, Rudolf, sie wußte, daß sie ihm ganz angehören sollte, er hatte das ausschließliche Recht auf ihre volle Hingebung und auf ihr Vertrauen; sie aber kam mit dem Junker, einem Nebenbuhler, zusammen, auch dann, als ein Streit zwischen Beiden vorgefallen, der sie zu Feinden machte, der ihren Geliebten bedrohte. Sie schwieg gegen ihren Vater, sie hatte gehört und gesehen, in welcher beleidigenden Weise der Junker sich gegen denselben benahm, und dennoch ging sie den Augenblick darauf zu einer Zusammenkunft mit Rudolf’s und ihres Vaters Feinde. Wenn denn auch das Gespräch ein anderes war, als wohl der Junker erwartete, es lag immer ein Grad von auffälliger Sonderbarkeit in diesem Schritte. War man berechtigt, konnte man geneigt sein, diesen Schritt zum Guten zu deuten? Sie spielte ein erwiesenes Spiel, und warum und mit wem? Wenn auch die Wahrscheinlichkeit vorlag, daß sie dieses Spiel mit dem Junker trieb, so mußte es dennoch jedem Geradsinnigen und dabei wenn auch nur unmittelbar Betheiligten, um so mehr auffallen und mit Befürchtung erfüllen, als die Verschlagenheit und Falschheit, einmal angewandt und erkannt, zu der Voraussetzung berechtigen, daß sie vorkommenden Falls Niemanden verschonen. Es heißt die Liebe entwürdigen, wenn man wahrhaft zu lieben glaubt und doch die schmeichelnden Betheuerungen eines Dritten ruhig mit anhört; es zeugt von wenig Selbstgefühl, wenn man eine große Rücksicht einer kleinen zu opfern vermag. Die Liebe soll veredeln und erheben, nicht anreizen und verlocken zu Nebendingen, die eine Untreue gegen den Adel der Seele bilden. Wer sich selbst untreu ist, der ist es gegen Andere, und das Mißtrauen ist Tod aller Ruhe und alles Friedens.

Rudolf sagte sich das Alles und mit dem bittersten Gefühl, das er je im Leben empfunden, durchwachte er eine lange Nacht. Er konnte nicht mit sich in’s Reine kommen, er liebte Katharina unendlich, aber seine Vernunft, seine beleidigte Ehre ermahnten ihn eben so fortwährend, ihnen gemäß zu handeln, als die Liebe heftiger an seinem Herzen stürmte. – Was konnte er für die Zukunft zu erwarten haben, in der Ehe, wenn er jetzt schon Befürchtungen gegen die aufrichtige Gesinnung seiner Verlobten haben mußte? Handelt so ein liebenden Weib, das nur den Geliebten im Herzen hat? Gewiß nicht! Gewiß nicht! Er wiederholte sich das immer, so oft er in seinem gefaßten Entschlusse schwankend wurde. Eins war ihm unerklärlich, er verschwendete vergeblich all’ seine Gedanken und Meinungen, um dahinter zu kommen. Warum nur, aus welchem Grunde hielt Katharina diese Zusammenkünfte mit dem Junker, da er doch Zeuge des Gespräches war,

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