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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

ist er höflich, fein, geschmeidiger; ohne Anmaßung und Kriecherei. Er ist so recht eigentlich der Schmied seines Schicksals; denn er hat keine Schichten zu durchbrechen, die drücken und hemmen, um emporzukommen.

Tauscht er eines Festtags wegen, oder wegen einer dauernden Glückswendung die Blouse gegen den Ueberrock um, so gilt er so viel wie jeder Andere und sein Fünffrankenstück, das er in der Tasche trägt, hat denselben Werth, wie das des hochgestelltesten Mannes. Darum liegt auch für ihn wie für die ganze übrige Gesellschaft in diesem klingenden Vorzug das Geheimniß der Geltung. Das weiß und fühlt der pariser Arbeiter genau. Darum dieselbe krankhafte Sucht nach Erwerb bei ihm, wie bei den Andern; darum die grenzenlose Habsucht, die nur durch das Streben nach Vergnügen und Genuß geschwächt wird. Er ist rasch und geschickt bei der Arbeit; allein es ist ihm ein Bedürfniß zwei bis drei Tage der Woche in Müssiggang und Wohlleben mit lustiger Gesellschaft zu verbrausen, wodurch seine ökonomischen Verhältnisse bedeutend zerrüttet werden, da er in diesen Freudentagen nicht selten den Gewinn der ganzen Woche todtschlägt. Ueberhaupt hat der pariser Arbeiter, damit an der Gleichheit ja nichts fehle, die Laster und die Lebensart der mehr begünstigten Classen angenommen. Er hat seine besondern Viertel, seine besondere Kneipe, seine besondern Kaffee- und Gasthäuser, seine Liebschaften. Er hat seine traurigen Familiengeschichten, seine häuslichen Zerrüttungen, dieselbe Zügellosigkeit der Begierden und Leidenschaften, kurz, er treibt Alles, auch die Liederlichkeiten, mit seinen beschränkten Mitteln und im verjüngten Maßstabe, wie man es in der großen Welt treibt. Es geht in gewisser Beziehung im 7. und 12. Arrondissement eben so locker zu, wie am Hofe Ludwig XV., nur daß der Glanz fehlt und die Mittel anderen Charakters sind.

Der pariser Arbeiter hat die unvertilgbare Fröhlichkeit, die dem französischen Charakter eigen, er weiß sich anmuthig und fein zu benehmen, ja mit Geist und Witz das Wort zu gebrauchen; er ist sehr galant gegen das schöne Geschlecht, ohne daß er jedoch von der tiefgehenden Verehrung der Frau, die der Deutsche mehr fühlt als ausdrückt, einen Begriff hat. Wenn man ihm einen Frack anzieht, wird er sich mit mehr Leichtigkeit in einem Salon bewegen, als mancher Commerzienrath, der sich nicht wenig auf sein feines Benehmen zu Gute thut. Einen Vorzug hat der Arbeiter vor den übrigen Classen der Bevölkerung, daß ihm die Mühseligkeit der Arbeit mehr Muth und Thatkraft verleiht, als die Entnervung den Andern übrig läßt.

Der pariser Arbeiter steht seinem Patron nicht etwa wie der Diener dem Herrn gegenüber; sie behandeln sich gegenseitig mit nüchterner Höflichkeit und sie betrachten sich wie zwei Geschäftsleute, welche mit einander, laut getroffener Uebereinkunft, Arbeit und Geld austauschen. Selbst ein Diener ist hier bei weitem nicht so erniedrigt, wie anderswo. Das gänzliche Sichaufgeben seiner Persönlichkeit, wie ich es oft gesehen, kommt hier gar nicht vor, und ein französischer Diener betrachtet sich als ein Individuum, dem man seine menschliche Würde schonen muß. Ich weiß von dem Fall, daß ein Diener augenblicklich ein Haus verließ, weil ihm die Hausfrau auf ihrem schon benutzten Teller zu essen geben wollte. Diese Frau war eine Deutsche. Eine Französin hätte die Empfindlichkeit des Dieners von dieser Seite nicht zu verletzen gewagt. Diese einzige Frucht haben die politischen Umwälzungen getragen, daß der Franzose bei jeder Gelegenheit die menschliche Würde bei Andern respektirt und stets bei sich respektirt haben will. Dem gesunkensten Proletarier bleibt daher noch ein bischen Stolz, ein Funken bessern Geistes. Ganz verthiert sich nur selten ein Franzose.

Die ältern und verheiratheten Arbeiter, welche ein Leben voll der härtesten Prüfungen durchgemacht, sind schweigsam, abgeschlossen und in sich gekehrt, sie fliehen und verachten die Lustbarkeiten und Schwelgereien der Jüngern, sie liegen mit mehr Ernst der Arbeit ob, und treten nur bei besondern Gelegenheiten heraus aus ihrer dunkeln Zurückgezogenheit. Sie stehen in großem Ansehen bei ihren jüngern Kameraden und man betrachtet sie als die Träger der alten Traditionen. Die Regierung bietet Alles auf, diese finstern Männer zufrieden zu stellen, welche den Kern gewisser Vorstädte bilden.




Blätter und Blüthen.

Zur Leidensgeschichte eines Journalisten. Es ist schon Vielerlei über die Schwierigkeiten aller Art berichtet worden, mit welchen die von den größern politischen Zeitungen eigens nach dem Kriegsschauplatze im Orient geschickten Korrespondenten zu kämpfen haben, wenn sie ihre Aufgabe gehörig erfüllen wollen. Einer dieser Korrespondenten hatte sich am Bord des „Goldenen Vließes“ in Malta eingeschifft, und in der Times wird nun in folgender Weise mitgetheilt, wie es diesem Unglücklichen am Palmensonntage auf der Rhede von Gallipoli erging.

Das Goldene Vließ hatte am Sonnabende vorher sämmtliche mitgebrachte Truppen ausgeschifft. Unser Correspondent, der zu den Passagieren gehörte, war in die Stadt gegangen und hatte eine Wohnung gemiethet. welche bis dahin einer alten Griechin, fünf Kindern und einer Unzahl sehr kriegerisch gesinnten Hühnern und Gänsen zum Quartier gedient. In Betracht, daß es ihm nicht gelang, diese ganze Gesellschaft schnell genug zum Ausziehen zu bewegen, um ihm für den nämlichen Abend noch seine neue Wohnung einzuräumen, und auch von dem Wunsche getrieben, noch eine gute Nacht zuzubringen, entschloß er sich ein letztes Mal am Bord des Schiffes zu schlafen. Ein kluger Mann war’s jedenfalls, der zuerst gesagt hat, daß man nie am Bord eines Schiffes schlafen soll, wenn man am Lande schlafen kann. Dieser Grundsatz bewahrheitet sich in diesen Gewässern noch mehr als anderswo.

Kurz nach Mitternacht, während der Correspondent in süßem Schlafe träumte, erhob sich ein ziemlich heftiger Nordwind, das Goldene Vließ lichtete die Anker, wurde einige Meilen weit durch die Strömung fortgetrieben und gerieth, weit von den Dardanellen weg, nahe an die Küste Asiens. Der Kapitain hatte am Abend vorher vom General Befehl erhalten, in aller Frühe nach Malta zurückzusegeln, und als echter Marineoffizier war er nur auf die Mittel bedacht, die Reise so viel wie möglich abzukürzen. So kam es denn auch, daß als unser Correspondent, der das Versprechen erhalten hatte, in einer Barke an’s Land gesetzt zu werden, gegen sieben Uhr Morgens auf dem Verdeck erschien, außer der Überraschung sich nicht mehr am gleichen Platze zu befinden, auch noch zu seinem großen Leidwesen vernehmen mußte, daß die Befehle des Commandanten dahin gingen, ihn am Bord des nächsten Schiffes abzusetzen, indem es bei dem eingetretenen Winde und der Beschaffenheit des Meeres zu viel Zeit erfordern würde, um ein Boot vom Goldenen Vließ aus nach Gallipoli abzuschicken.

Diese Nachricht war nichts weniger als angenehm. Der Morgen war frisch, ein heftiger Nordwind verwandelte die ganze Dardanellenstraße in eine weißschäumende Masse und der von allen Seiten bedeckte Himmel ließ keine Hoffnung auf einen Sonnenstrahl übrig. Die weißen Minarets von Gallipoli traten, von dem dunkeln Gewölk gehoben, in der Ferne hervor, an beiden Ufern der Meerenge brachen sich hohe Wogen, und in nächster Sicht des Dampfers bemerkte man nur einige kleine Briggs und Schooner, welche mühsam gegen Wind und Meer ankämpften. Auf der schützenden Rhede von Gallipoli gelegen, gewahrte man außerdem die Schiffe der französischen Eskadre, doch mochte die Entfernung dahin über zwei Meilen betragen.

Als nächsten Fahrzeug fand sich eine ziemlich schwerfällig aussehende Brigg vor, welche ungefähr zweihundert Klaftern weg vom Goldenen Vließ vor Anker lag. Nicht ohne Schwierigkeit, denn Wind und Meer waren höchst ungünstig, gelang es, ein Boot am Fuß einer von dem Dampfer herabgelassenen Leiter zu bringen. Vier stämmige Bursche kamen indeß zu Stande und der Correspondent nahm neben ihnen mit seinem Gepäck Platz. In einigen Minuten befanden sie sich an der Seite der Brigg, die wie ausgestorben schien. Sechs Fuß ungefähr über dem Wasser und unter dem Geländer, welchen das Verdeck jedes Schiffes umgiebt, hing eine alte kaum noch brauchbare Barke. Die Mannschaft des Bootes ruderte auf diese Stelle zu, und sobald sie sich unter der alten Barke befand, warf sie das Gepäck des Korrespondenten hinein. Dieser selbst folgte einen Augenblick später nach und das Boot schickte sich wieder an, nach dem Goldenen Vließe zurückzukehren.

Da die Barke, in welche unser Correspondent, so zu sagen, geschmissen worden war, eine ziemliche Menge Wasser enthielt, so war seine erste Sorge, das Gepäck auf die Ruderbänke zu legen; hierauf versuchte er selbst auf das Verdeck der Brigg zu klettern. In dem Augenblicke, wo er das Ende eines Seiles ergriff, um besser empor zu klimmen, löste sich dieses, obschon es befestigt schien, von dem Verdeck los und fiel zu seinen Füßen nieder. Gleichzeitig richtete sich eine, durchaus kein Zutrauen einflößende Gestalt am Bord empor und ein häßlicher Mund ließ die Worte vernehmen: „Wir, Griechen! nichts Engländer! Fort, fort! Wir in Quarantaine!“ Der Correspondent theilte sogleich diesen Umstand dem Offiziere des Bootes mit, das ihn hergebracht hatte und welches noch in der Nähe gegen Wind und Wogen ankämpfte. Dieser erwiederte, daß er den Kapitain von der Sachlage unterrichten würde, mit welchem Troste er den unglücklichen Zeitungsschreiber zurückließ.

Der Zurückgelassene folgte unruhigen Blicks allen Bewegungen des ungastlichen Bootes, als er bemerkte, daß er die Zielscheibe der halb höhnischen, halb drohenden Blicke eines halben Dutzends Bursche war, welche ohne alle Phantasie für Piraten erster Klasse gehalten werden konnten.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_282.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)