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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Daß er vor Kälte zitterte, bis auf die Haut durchnäßt war und unaufhörlich in der zwischen Himmel und Erde schwebenden Barke von den Wogen überspült wurde, schien ihnen geradezu Vergnügen zu gewähren.

Das Boot, auf welches unser Engländer fortwährend den Blick ängstlich gerichtet hielt, erreichte endlich nach vieler Anstrengung das Goldene Vlies. Für ihn war dies ein Augenblick höchster Qual, und man kann sich denken, wie ihm zu Muthe wurde, als er einige Minuten später das Boot an seiner gewöhnlichen Stelle hängen sah. Noch mochte er sich nicht zu dem Glauben entschließen, daß nur einigermaßen gefühlvolle Menschen einen der Ihrigen in einer so kritischen Lage lassen könnten, und von Augenblick zu Augenblick erwartete er immer noch, eine gut bemannte Barke, zu seiner Abholung abstoßen zu sehen.

Die an ihren Ankern schaukelnde Brigg entzog momentweise das Goldene Vließ seinen Blicken, und jedes Mal wenn er das landsmännische Schiff so aus den Augen verlor, stellte ihm seine Einbildungskraft einen Theil der Matrosen mit den nöthigen Vorbereitungen, ihm zu Hülfe zu kommen, beschäftigt vor. Leider aber entdeckte sein Auge immer nur wieder die an ihren Seilen befestigte Barke, nebst allen Anzeichen, daß das Schiff weiter zu segeln im Begriff stand.

Als die Griechen die gleiche Wahrnehmung machten und bemerkten, wie der Correspondent vergeblich telegraphirte, wurden sie noch unverschämter. Mit höhnischem Lächeln deuteten sie auf das Meer, und schienen zu berathen, ob sie ihre Barke nicht losbinden und den Ankömmling darin den Wogen überlassen sollten; gleich darauf schienen sie sich jedoch eines Andern zu besinnen, zogen sorgfältig alle Seile zurück, die über das Schiff herabhingen und verschwanden.

Die Lage konnte nicht wohl mißlicher sein; die Kälte war empfindlich, jeden Augenblick gingen die Wellen über die Barke weg. Unser Held raffte seinen Muth zu einer letzten Anstrengung zusammen und an den die Barke haltenden Seilen gelang es ihm, bis an das Geländer des Verdecks emporzuklettern. Ein Matrose mit einer Pelzmütze und Schaffelljacke hielt ihn aber hier angelangt auf und erklärte ihm sehr kurz, daß er nicht an Bord kommen dürfe. Zur Noth hätten den Burschen offenbar sechs oder sieben andere unterstützt, welche auf dem Verdeck umherlagen, und sich bei Annäherung des Bootes einen Augenblick erhoben hatten. Es konnte mithin dem Correspondenten nicht in den Sinn kommen, Gewalt anzuwenden, und außerdem befanden sich seine Pistolen, wie dies gewöhnlich der Fall ist, wenn man ihrer bedarf, in einem seiner Reisesäcke eingepackt. Anderseits konnte er ebenso wenig am Geländer des Verdecks in der Schwebe hängen bleiben.

Demosthenes selbst, wenn er das italienische Patois verstanden hätte, in welchem die Verhandlung geführt wurde, würde nicht ohne Bewunderung und vielleicht nicht ohne Neid die pomphafte und prophetische Anrede gehört haben, welche der unglückliche Britte an seine Landsleute richtete. Diese aber blieben aller Beredtsamkeit unzugänglich, bis Einer von ihnen, der schlauer und berechnender als die Uebrigen war, plötzlich den Redner mit der Frage unterbrach: „Wie viel wollen Sie zahlen?“

Ein für die Erlaubniß das Verdeck zu betreten sofort angebotenen Goldstück brachte mehr Wirkung hervor als die herrlichsten Argumente; nach einigen Minuten, die unserm Correspondenten wie Jahrhunderte vorkamen, wurde das Anerbieten angenommen. Der Engländer zahlte das Geld aus und durfte hierauf das Verdeck besteigen; neue Gefahren erwarteten ihn jedoch hier. Die Griechen umringten ihn alsbald und mit wilden Grimmassen, die bei ihnen vielleicht für liebenswürdiges Lächeln galten, begannen sie seine Taschen zu befühlen und wußten bald aufs Genaueste, was sie enthielten; zugleich luden sie ihn ein, durch eine im Verdeck angebrachte Oeffnung hinunterzusteigen und sich in ihrem Salon auszuruhen. Ueber die Absichten, in denen diese gastfreundlichen Anerbietungen gemacht wurden, konnte kein Zweifel möglich sein, sie wurden daher entschieden zurückgewiesen und der unglückliche Correspondent entschloß sich zu einer letzten Appellation an das Goldene Vließ. Von Hunger und Müdigkeit dem Umfallen nahe, dazu halb erfroren, kletterte er so gut es ging auf das Bugspriet und ließ sein Schnupftuch in der Luft wehen.

Das Signal konnte von der Mannschaft des Dampfers ganz deutlich wahrgenommen werden, und wurde es zweifelsohne auch; allein man kehrte sich nicht daran. So lange ihr Gast oder vielmehr ihr Schlachtopfer das weiße Batisttuch schwenkte, welches den Seinigen seine Noth verkünden sollte, weilten die Griechen unbeweglich am Fuße des Hauptmastes, die Augen dem Dampfer zugewandt und in voller Erwartung, was dieser thun würde. Endlich schien sich das Wasser zu bewegen und das Hintertheil des Schiffes zu drehen; die Schraube begann ihre ersten Bewegungen, die nach und nach immer rascher wurden, und die Brigg weit hinter sich zurücklassend, fuhr der Dampfer die Dardanellenstraße hinab dem offenen Meere zu.

Die Griechen wechselten einige leise Worte untereinander, und während der Eine von ihnen hinauf mit bedeutungsvollem Lächeln nach dem sich immer mehr entfernenden Fahrzeug wies, sagte er: „Hollah, John, es ist keine Rede mehr davon; komm nur wieder herunter, wir sind ehrliche Leute! gut! sehr gut!“ Was aber diese Ehrlichkeitsversicherungen werth waren, erhellte schon aus dem Umstande, daß die Bursche bereits eine ihrem Gaste gehörige Kiste zu erbrechen begannen. Da es nur eine schwache Kiste war, so wurden die Griechen leicht damit fertig; die Plünderung begann also, und wenn einmal der Anfang gemacht war, so ließ sich kein Ende voraussehen. Der Correspondent verließ daher sofort seinen Posten auf dem Bugspriet und kam an’s Verdeck zurück, wo er seine Bitte erneuerte, um eine ihn an’s Land führende Barke zu erhalten. Die Griechen antworteten kopfschüttelnd mit Murren und Grunzen, was nichts Gutes andeutete. Sie umringten ihren unglücklichen Gast, und der Kreis, in welchem sich dieser eingeschlossen sah, wurde immer enger. Einer der verdächtigst aussehenden erfrechte sich endlich sogar, Hand an das schwarzlederne Etui zu legen, in welchem der Korrespondent sein Fernrohr umgehängt trug, und das Jenen Waffen zu enthalten schien. Der auf’s Aeußerste empörte Engländer stieß den Unverschämten mit der Faust zurück, und da das Schiff in demselben Augenblick stark schwankte, so strauchelte der Bandit an das Geländer hin. Nach seinem Dolche greifen und auf den Engländer unter fürchterlichen Flüchen losstürzen, war für den Strolch Sache eines Augenblicks; einer seiner Kameraden hielt ihn zwar noch zurück, allein da die Mehrzahl der Matrosen durch diesen Vorgang sichtlich noch übler gestimmt worden, so mußte der arme Journalist auf Alles gefaßt sein.

Plötzlich fiel ihm ein, wie ein Schiff von dieser Bedeutung doch durch einen, einer höhern Klasse angehörigen Mann, den er noch nicht gesehen hatte, befehligt werden müsse. Von diesem Gedanken ergriffen, bahnte er sich einen Weg durch die ihn umstehenden Kerle und eilte, ohne sie deshalb ganz aus dem Auge zu verlieren, nach dem Hintertheil des Schiffes. Die Andern sprangen ihm nach, da er jedoch vor ihnen an der nach der Kajüte führenden Treppe anlangte, so stieg er schnell hinunter und befand sich zu seiner Freude in Gegenwart des Kapitains, der auf einer Art Divan sich behaglich pflegte. Unser Correspondent begann sogleich die Ursache seines unerwarteten Erscheinens zu erklären, was er so gut wie möglich in italienischer Sprache that, wurde aber von dem Kapitain mit den Worten unterbrochen: „Sprechen Sie englisch, ich werde Sie besser verstehen.“ Der Kapitain sprach wirklich ein völlig reines Englisch, dem man kaum einen fremden Accent anhörte.

Als er die Ursache vernommen, weshalb der Britte sich so ohne alle Umstände in seiner Kajüte eingeführt, gerieth er in heftigen Zorn. Er müsse, sagte er, das offene Meer vor einer halben Stunde gewinnen, er sei von Konstantinopel ohne alle Papiere fortgejagt worden und könne, Dank den Franzosen und Engländern, durch das erste beste Kriegsschiff, das ihm begegnen möchte, als Pirat weggenommen werden; die Engländer hätten ihn und seine Leute ruinirt; sie hätten den Türken geholfen, seine Landsleute zu unterdrücken und zu ermorden, und gleichwohl wollten sie Christen sein; er gäbe keine Barke her um an’s Land zu fahren; übrigens könne er, selbst wenn er wollte, keine Barke hergeben; der Engländer habe mithin das Fahrzeug zu verlassen und seinen Weg, wie er könne, fortzusetzen; zum Schluße fügte er noch hinzu, wenn er Engländer wäre, so würde er lieber tausend Todesqualen ausstehen, oder sich von den Wogen verschlingen lassen, als ein griechisches Fahrzeug betreten oder Hülfe und Schutz von einem griechischen Seemann verlangen.

Die Aussicht, in’s offene Meer mitgenommen, dann vielleicht unterwegs erschlagen und in irgend einen Abgrund geworfen zu werden, drängte sich jetzt dem Geiste des Engländers sehr unangenehm auf. Der Wind brauchte nur günstig zu werden, so waren die Anker in einigen Minuten gelichtet und die Brigg flog mit vollen Segeln blitzschnell die Strömung der Dardanellenstraße entlang. Wer konnte alsdann ein Verbrechen hindern? Wer würde je sagen können, was aus dem unglücklichen Engländer geworden war, den der Kapitain des Dampfers am Bord eines in der Meerenge der Dardarnellen ankernden Schiffes um halb acht Uhr Morgens bei stürmischem Wetter hatte absetzen lassen? Gottes Auge allein wäre Zeuge den Verbrechens gewesen, das sich auf dem Verdeck dieser unbekannten Brigg zutragen konnte, und kein Arm, kein menschliches Gewissen wäre zugegen gewesen, um es zu verhindern oder die Bestrafung der Schuldigen anzubahnen.

Der Kapitaln hatte erklärt, daß er nicht mehr von dem Engländer sprechen hören wollte und ließ demgemäß alle an ihn gerichteten Fragen unbeantwortet. Nur einmal, als ihn der gepeinigte Journalist gefragt, ob er in England gewesen wäre, hatte er heftig versetzt: „Zu oft! Zu oft!“ Es blieb mithin offenbar nichts Anderes übrig, als den Gang der Begebenheiten abzuwarten. Die Leute von der Mannschaft hielten untereinander Rath, nach dessen Beendigung einer der Matrosen den Kapitain aufsuchte und mit demselben in eine lebhafte Erörterung gerieth. Ihre Blicke wendeten sich einem trotz des Nebels schon sichtbar werdenden Dampfschiffe zu, welches vom Marmor-Meere her in der Richtung von Gallipoli kam. Gleichzeitig schien sich ihre Aufmerksamkeit zu wiederholten Malen auf die näher befindlichen Fahrzeuge zu richten, die auf der Rhede lagen. Die Mannschaft schien begierig das Ergebniß dieser Unterredung zu erwarten.

Der Engländer hatte bemerkt, daß einige Flaschen Sherry aus seiner Lebensmittelkiste verschwunden waren und er zweifelte nicht daran, daß sie von den Matrosen getrunken worden; für den Augenblick jedoch nahmen ihn diese Kleinigkeiten weit weniger in Anspruch als das erwähnte Zwiegespräch, bei welchem jedes Wort mit lebhaften Geberden, funkelnden Augen und Fußstampfen, wie es unter in Zank gerathenen Personen vorkommt, begleitet war. Der Kapitain glaubte dabei einmal wahrzunehmen, daß unser Correspondent wie um besser zu hören, den Kopf vorgestreckt habe, und rief deshalb zornig: „Was machen Sie da? Stehen Sie gerade! Sie haben hier nichts zu hören!“ Die Geduld des Letzteren riß aber hierüber, und die Besorgniß benutzend, welche die näher liegenden Fahrzeuge seinen Peinigern einflößten, versetzte er: „Gut, gut, mein bester Herr; allein belieben Sie sich etwas weniger grob auszudrücken und vergessen Sie nicht, daß hier englische Schiffe vor Anker liegen (was zwar nicht der Fall war) und englische Soldaten am Ufer lagern. Bedenken Sie wohl, daß wenn mir von Ihrer Seite die geringste Unbill widerfährt, dieser Tag für Sie zur unangenehmen Erinnerung werden möchte.“

Mittlerweile hatte sich der vom Bosporus herkommende Dampfer genähert, und seinem Lauf nach zu schließen, mußte er bald an der Stelle anlangen, wo sich die geschilderte Scene zutrug. Dieser Umstand schien auf die Entschlüsse der Griechen nachdrücklich einzuwirken und außerdem machte sie offenbar auch die in den Worten unsers Journalisten enthaltene Drohung und die Ruhe, mit welcher er einen Stuhl nahm und sich auf’s Verdeck setzte, bedenklich. Der Kapitain und der Abgeordnete der Mannschaft traten jetzt wieder zu der Hauptgruppe, und die Arme, Augen und Füße begannen von Neuem ihr Pantomimenspiel. Endlich näherte sich der Kapitain dem Corrrspondenten und sagte, daß obschon er heftig darüber aufgebracht sei, daß ein Engländer ihm den Schimpf angethan habe, sich ohne seine Erlaubniß am Bord seines Schiffes einzufinden, er doch seine

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