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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

betrachtet hätte, so würde er bemerkt haben, wie sie bei seinem Eintreten die Farbe wechselte; er ergriff aber nach einer ruhigen und gewöhnlichen Begrüßung gegen sie, mit Herzlichkeit die dargebotene Rechte des alten Soldaten und schüttelte sie, wie es recht warme Freunde thun.

Auf das Gesicht des Alten kam beim Anblick des Malers förmlich Sonnenschein, er rückte zurecht und machte ihm neben sich Platz. Rudolf nahm denselben auch ohne Weiteres ein. – Katharina’s Herz pochte ungewohnt, alles Blut schien dahin zu drängen; sie wagte es kaum, den Verlobten anzusehen und beschäftigte sich mehr denn vorher mit dem Feuer. –

„Ich komme,“ begann Rudolf mit anfangs etwas bebender Stimme, die aber bald die volle Festigkeit gewann, „um nun von dieser Gegend und auch von Euch, Vater Claus, Abschied zu nehmen.“

„Abschied?“ – Die Sonne von dem Gesicht des Veteranen verschwand und machte einer finstern Wolke Platz. Katharina’s Herz stockte einen Augenblick, um sogleich wieder heftiger zu schlagen.

„Ja, lieber Vater. Es duldet mich nicht länger hier. Ich kann Euch wohl sagen, mir ist gewaltig schwer um das Herz, aber es hilft nichts, gehen muß ich, um nimmer wiederzukommen. Seht mich nicht so verwundert an, Vater Claus, ich trag’ nicht die größte Schuld davon. Ich hätte mir gestern und heute die Augen ausweinen mögen, als ich den Entschluß gefaßt, ich habe die Sache nach allen Seiten gedreht und gewendet, ob sie sich ändern lasse, aber es geht nicht. Es würde nimmer gut thun, auch wenn ich bliebe, darum besser, ich gehe.“

„Ja, und das Aufgebot und die Kathrina dort, meine Tochter?“ fragte der Alte stockend.

„Darum eben muß ich fort. Ich hab’ Euch um Euer Kind gebeten, und wahrhaftig, Vater, ich hatte die Absicht, sie gut zu halten, wie nur der Mann mit seiner Ehefrau thun kann. Ich habe das auch Katharina gesagt, sie weiß auch, daß ich sie unsäglich geliebt, daß ich sie noch so liebe, und nimmer aufhören werde, sie so zu lieben. Aber daß wir uns heirathen, das ist nun dahin. Ausgesöhnt seid Ihr, Vater Claus, mit Eurer Tochter, ich habe das zu Wege gebracht, obwohl Ihr nicht recht dran wolltet und das ist wenigstens etwas; wenn ich auch wohl glauben mag, daß Ihr, guter Vater, mich nicht sobald vergessen und manchmal an den Maler, der nun recht einsam steht, denken werdet“ – Er reichte dem Veteranen die Hand.

Dieser erfaßte sie, drückte sie herzhaft und sagte: „Nimmer vergeß’ ich Euch, Herr Rudolf, und Eurer denken werd’ ich ohne Groll. Ihr habt recht gehandelt. Ich hab’ beinah’ so etwas erwartet und hab’s auch dort meinem Mädel gesagt. Sie hat nun den Lohn für ihr doppelzüngiges Wesen, das jedem geraden Mann nicht gefallen mag. Grad’ so, wir Ihr, hätt’ ich gehandelt. Recht leid, recht leid thut es mir, denn – ich sag’s Euch rund heraus – einen bessern Schwiegersohn hätt’ ich mein Lebtag nicht gekriegt, und nun mag Kathrine zusehen, ob sie überhaupt einen in’s Haus schafft. Ich glaub’s nicht. Wenn ihr das nun nicht an’s Herz geht, der Skandal, den es geben muß, nach einem Aufgebot bereits, der Spott im Dorfe und das Gelächter des schändlichen Junkers, dann weiß ich es wahrhaftig nicht, ob sie überhaupt eins hat. Diese Schande in meinen alten Tagen, über mein Mädel, das ich so sehr geliebt! Nun, ich werd’s wohl nicht lange mehr überleben, und recht fleißig will ich zu Gott beten, daß er einen recht kurzen Prozeß mit mir macht. Was taugt’s, daß man sich verkümmert herumtreibt; besser so als so!“ –

„Vater!“ rief Katharina vom Herde herüber mit leisem Vorwurf und einer Stimme, die es nicht ganz verbarg, daß sie unter Thränen sprach. –

„Ihr zürnt mir also nicht, Vater Claus?“

„Nein, und wahrhaftig nicht! Aber sagen muß ich’s noch einmal, leid thut mir’s, recht leid.“ –

Rudolf erhob sich jetzt und trat näher an den Herd. „Katharina!“ sprach er leise.

Sie wandte sich nicht um und fragte kaum hörbar: „Nun, Rudolf?“ –

„Ich habe Dich unsäglich lieb. Wenn Du mich nur einen Theil so wieder liebst, so wirst Du fühlen, Katharina, wie weh mir sein muß, daß wir uns in dieser Weise gegenüberstehen. Ich habe eine Nacht durchkämpft voll Schmerzen. Worte reichen nicht hin, sie auszusprechen. Ein Glück ist mir zerschlagen, das nicht für jetzt, für immer nachwirkt, so viele Tage ich auch noch haben möge. Ich möchte in Gutem von Dir scheiden, Katharina, als Freund vom Freunde; ich bin es Dir. Sag’ mir ein leises Wörtchen, daß Du mir nicht nachtragen willst, was unvermeidlich ist. Ich kenne Dich, ich weiß, Du hast ein großes Herz, wenn es Dir auch nicht erlaubt, in Allem wahr zu sein. Ich will nicht reden von dem, was werden sollte; ich wollte Dein Glück, Dein Bestes, so weit ich’s Dir bieten konnte. Du hast es von Dir gewiesen, wir müssen scheiden.“

„Wenn Du gehen kannst, ohne daß Dir das Herz bricht, so mag’s sein; ich halte Dich nicht, Rudolf.“

„Mir bricht das Herz und dennoch geh’ ich.“ – Es war ihm, als sollte er sie um den Grund befragen, der sie veranlaßt hatte, ein doppeldeutiges Wesen an den Tag zu legen, da es aber doch keinen gegeben hätte, der stark genug gewesen wäre, seinen harten Vorsatz zu ändern, sie überdies auch jetzt nicht von selbst davon reden wollte, so unterließ er es. Von dem Junker hatte er aus Absicht gänzlich geschwiegen, es war ihm peinlich, das Geschehene noch einmal erörtern zu sollen. – Er drückte nochmals dem alten Veteranen, der sich verstohlen die Augen wischte, die Hand, warf noch einmal einen langen Blick auf Katharina, dann ging er langsam von dannen. –

„Der arme junge Mensch!“ sagte der alte Soldat und schlich in die Kammer. Katharina entgegnete nichts, aber ihr Herz sprang und mit krampfhaften, plötzlich stromweis ausbrechenden Thränen sank sie zusammen. –

Rudolf bemerkte kaum, daß ihm weiterhin der Ortsschulze in Begleitung eines Gensd’armen begegnete. Er schenkte ihnen keine Aufmerksamkeit und eilte nach Hause. Alles war bereits gepackt und geordnet; eine Viertelstunde darauf verließ er den Ort. –

Eine Stunde nachher durchlief die ganze Gegend das Gerücht, daß man den alten Claus Schilder verhaftet, daß er es gewesen, der das Gewehr des Junkers von Riedd in den Klosterruinen verborgen und daß noch andere Anzeichen vorlägen, daß er denselben verwundet habe. – In der That war der alte Soldat vor der Hand auf das Schloß des Freiherrn gebracht worden; von da sollte er nach Kolberg vor die ordentlichen Gerichte geführt werden. Er ergab sich in sein Schicksal ohne Murren, gefaßt, betheuerte aber fortwährend seine Unschuld und verhehlte es nicht, als er vor dem Vater des Junkers stand, der ihn hatte kommen lassen, daß sein Sohn nur aus Rache handele. Auf die weitern Fragen des Freiherrn erzählte er der Wahrheit gemäß all’ die Vorgänge, die sich seit Kurzem mit seiner Tochter Katharina zugetragen. War nun auch der Freiherr geneigt, ihm Glauben zu schenken, da er sehr wohl die bösen Neigungen seines Sohnes kannte, und demselben damals bei der Angelegenheit mit Rosi, des Kreuzwirths Tochter, nur nach langen Bitten verziehen hatte, so veranlaßte ihn doch ein Umstand wiederum mit diesem Glauben zu zögern. Casimir, sein Sohn, hatte ihm von dem blutbefleckten Rocke erzählt, den an jenem verhängnißvollen Tage der alte Claus getragen haben sollte; als er nun diesen darüber befragte, so gestand der alte Soldat diesen Umstand unumwunden zu, jedoch auf eine weitere Erklärung wollte er sich nicht einlassen. Alle Ermahnungen des Freiherrn blieben fruchtlos.

„Nun denn“, rief er zuletzt zornig aus, „Ihr sprecht immer von Eurer Unschuld, und was Euch anklagt, wollt Ihr nicht erklären. Allerdings mag die ganze Geschichte aus unlauterer Absicht angezettelt sein, warum soll ich meinen Sohn besser machen als er ist? Sein ganzes Schweigen ist verdächtig; aber an Euch ist es, Eure Unschuld darzulegen. Könnt Ihr das, so redet und ohne Zaudern, damit die Sache in Gutem beigelegt werden kann. Ganz unbetheiligt seid Ihr dabei nicht, so viel ist mir mindestens klar geworden. Das aufgefundene Gewehr beweist wenig oder nichts, man kann ihm nicht ablesen, wer damals geschossen hat, aber dieser Umstand zu dem zweiten, der Euch hauptsächlich verdächtigt und den Ihr nicht auseinandersetzen wollt, geben eine gerechtfertigte Anklage; was zu berücksichtigen ich Euch doch rathen möchte. Ich sag’ Euch wiederholt, daß auch mir die Geschichte fatal ist, mein Junge macht mir das Leben herzlich sauer, aber es ist mein Einziger, der Stammhalter meiner Familie, deshalb hab’ ich ihm Vieles durch die Finger gesehen, kommt es mir jedoch zu bunt, so weiß ich nicht, was geschieht. Ich will Gerechtigkeit für Jeden, mögt Ihr mich auch für streng, hart und Gott weiß was Alles

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