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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

1836 entstand ein Bretterschuppen an derselben Stelle, wo sich heute auf einem Raume von 120,000 Quadratfuß die großartigste Anstalt ausdehnt. In jenem Schuppen arbeiteten funfzig Menschen und das Getriebe wurde von einigen Pferden in Bewegung gesetzt. Im folgenden Jahre war bereits eine Eisengießerei gebauet und es konnte die erste Dampfmaschine aufgestellt werden, die in der Fabrik selbst gefertigt worden war. Jetzt war das mühselige und ungleiche Treiben beseitigt und jener wunderbare Koloß wirkte in ungestörter stiller Gleichmäßigkeit an Stelle der Menschen und keuchenden Rosse. Die Arbeit richtete sich jetzt vorzugsweise auf Anfertigung aller Eisenbahngegenstände; die Anstalt ward durch fortgesetzte Neubauten erweitert, die Arbeiterzahl in entsprechender Weise vermehrt, jährlich wurden mehr denn siebenzig Locomotiven nebst Tendern gebauet, so daß im Jahre 1846 die hundertste und nach Verlauf von zwei Jahren die zweihundertste Locomotive aus der Anstalt hervorging. Im Jahre 1846 schätzte man den Verbrauch an Rohstoff auf 120,000 Centner, den des Brennmaterials auf 40,000 Tonnen Kohlen, den Gesammtwerth der gefertigten Gegenstände auf 1/2 Million Thaler. Außer vielen Lokomotiven lieferte die Anstalt Brücken von verschiedenster Ausdehnung, eiserne Dächer für die Bahnhallen und Kirchenkuppeln, darunter die mächtigen der Nicolaikirche zu Potsdam und des königlichen Schlosses zu Berlin. Gegenwärtig sind über Tausend Arbeiter beschäftigt und kürzlich wurde die fünfhundertste Locomotive geliefert. Die rußigen Hände der Arbeiter wanden die Blumen des Frühlings, um das eiserne Roß zu bekränzen, ehe es seinen wilden Wettlauf mit dem Sturme anträte.

Betritt man den großen Hof der Anstalt, so erblickt man in der Mitte des Vordergrundes ein thurmartiges Gebäude, unter dessen Giebel eine große Uhr angebracht ist; am Grunde desselben, zu den Füßen einer Statue, strömt fortwährend ein breiter Wasserstrahl aus Behältern, welche die höchsten Fabrikgebäude um zwanzig Fuß überragen und mittelst unterirdischer Röhren, das Wasser nach den verschiedenen Theilen der Fabrik leiten. Auf dem Hofe herrscht das regste Leben. Lastwagen, mit kräftigen Pferden bespannt, werden mit fertigem Geräthe beladen, oder bringen das Rohmaterial oder Tonnen voll Coaks, Stein- oder Holzkohlen. Man hört den taktmäßigen Gang der Maschinen und das Getöse der Hämmer und Feilen, man riecht den schwefligen Rauch der Kohle, man schmeckt Eisen, sieht und riecht Eisen. Linker Hand, in einem zweistöckigen Hause, befindet sich das Comptoir, wo man Herrn Borsig selber zu bestimmten Tagesstunden antrifft; gegenüber arbeiten die Techniker, die intelligenten Kräfte des Instituts, über Plänen, Karten und Rissen. Von dort aus ziehen sich die Arbeitsräume, theils ein-, theils zweistöckig, in dichter Gruppirung um die Eisengießerei, welche die Mitte des Hintergrundes einnimmt. Hier werden die Metallstücke in den hohen Copalöfen geschmolzen, deren Gebläse von einer großen Dampfmaschine getrieben wird. Ruhig und ebenmäßig bewegt sie ihre Kolbenstange, um das harte Metall in jene glühende Flüssigkeit zu verwandeln, welche aus der Eisenkammer des Ofens in Tiegel abgelassen und aus diesen in die Sandformen gegossen wird. An einer andern Stelle hebt ein gewaltiger Krahn den erkalteten fertigen Guß aus der Erde. – Von hier aus tritt man beliebig in die großen luftigen Räume, welche alle unter sich zusammenhangen. An den Decken bewegen sich unzählige Rollen, von vier Dampfmaschinen getrieben, welche die verschiedenartigsten Hülfswerkzeuge auf den Werktischen in Bewegung setzen. Das schwirrt und summt ohne Ende, und dazwischen ächzen die Feilen, Schrotmeißel und Drillbohrer der Schlosser, dröhnen die Possekel aus achtzig Schmieden, und die Krughämmer der Kupferschmiede. Hier arbeiten die verschiedensten Gewerke. An einem Orte fertigt man die größten Stücke der Locomotiven, an einem andern die kleinsten; hier wird eine Eisenbahnbrücke geschmiedet, daß die dicken Funken weit umhersprühen, dort eine eiserne Kirchenkuppel; hier werden die Speichenmuster, dort die Fügeböcke der Räder gefertigt; hier werden Kessel mit Kupfer und Zink gefüllt, dort mit Kohlenpulver bedeckt, an einem andern Orte wieder aus dem Brennofen gehoben; hier schneidet ein Rad aus einer Scheibe Cementstahl Spähne wie aus weichem Schweizerkäse. Dort aber ertönt der furchtbarste Lärm, wo die großen Dampfkessel, wie der Bauch des trojanischen Pferdes, mit Menschen gespickt sind, um die Nägel einzufügen, welche von außen mit ungeheuern Hämmern festgekeilt werden. – Gegen diese tobenden Gesellen verhalten sich die Modelleurs wie die „Stillen im Lande.“ Im gemüthlich ruhigem Saale arbeiten sie in Sand mit Stäbchen und Messerchen und erinnern uns an unsere harmlose Jugendzeit, wo wir in sinniger Weise aus dem Teige der Mutter Erde die großartigsten Gefüge, Bauten und Wunderwerke der Welt nachformten.

Die Maschinenbauer bilden natürlich, obgleich sie verschiedenen Gewerken zugehören, eine eigene charakteristische Abtheilung des Arbeiterstandes. Ihr Zusammenleben hat sie auf gemeinnützige Bestrebungen, auf Errichtung von Spar-, Kranken- und Unterstützungskassen geleitet. Obgleich bei ihrer Beschäftigung das geisttödtende System der getheilten Arbeit herrscht, so gestattet doch die Einrichtung der Anstalt einen Ueberblick über die verschiedenen Zweige der Thätigkeit; aus den Bureaus der Techniker dringt zuweilen ein belebender Gedanken unter die mechanisch beschäftigten Proletarier; sie haben das Bewußtsein, den neuesten Erfindungen des Menschengeistes dienstbar zu sein, und auch unter ihnen kann sich der Fähige auszeichnen und seine Lage verbessern. Der Fabrikherr stellt sich ihnen nicht schroff gegenüber und veranstaltet bei besonderen Gelegenheiten gemeinsame Festlichkeiten, wie zuletzt bei der Vollendung der fünfhundertsten Locomotive. Ihre Arbeit macht sie markig, stark und kühn, wenngleich auch sie nicht von einzelnen Krankheiten, darunter Rheumatismen und Herzleiden, verschont bleiben. Dazu gehören sie zu den am besten bezahlten Arbeitern, denn sie erwerben wöchentlich vier bis zehn und mehr Thaler; so sind sie selten der Noth ausgesetzt und haben zum Theil erträglich eingerichtete Haushaltungen. Durch diesen Umstand vertreten sie unter der Arbeiterklasse eine Art von Wohlhabenheit, die stets mit Besonnenheit und Liebe zum Besitz, wenn auch zum kleinsten, gepaart ist. Daher hielten sie sich in der Zeit der Volksbewegungen von unüberlegten Handlungen und Ausschweifungen zurück, auch in dem Bewußtsein ihrer Ueberlegenheit an Masse und physischer Kraft. Dies thaten sie indessen, ohne sich vornehm von dem Stande der Arbeiter zu sondern; sie übernahmen sogar zuweilen die Rolle heldenmüthiger Vermittler, drängten sich waffenlos in gefährliche Conflicte, wobei Einzelne um ihr Leben kamen. In jener Zeit waren sie, wie alle unsere Männer aus dem Volke, zuweilen vorwitzig und anmaßend, aber auch geistig strebsamer und sittlich mehr gehoben, als ehemals. Ihre Zahl und körperliche Stärke machte sie gefürchtet und man suchte zur Zeit der Restauration sich mit ihnen zuerst zu befreunden. Während die Bürgerwehr nicht selten wie eine Parodie des Militärs erschien, imponirten diese gedrungenen Gestalten mit den bärtigen, gebräunten Gesichtern, wenn sie bewaffnet hinter der dreifarbigen Fahne einherschritten und man hätte an die Germanen denken können, wie sie Tacitus beschreibt, wäre das Bärenfell nicht der blauen Blouse und der Speer dem Kuhfuß gewichen.

Wenn die große Uhr über der Statue zwölf schlägt, dann sieht man die kecken, derben Männer in blauer, schwarzbestäubter Blouse zu Hunderten durch das Oranienburger und Hamburger Thor in die Stadt strömen. Sie eilen dann in die Keller-Speiseanstalten oder zu ihren nahe wohnenden Familien zum Mittagstisch. Ein großer Theil von ihnen aber, die noch nicht lange verheirathet sind oder deren Frauen von der Wirthschaft und Kinderwiege abkommen können, speist in der Anstalt, in einem großen freundlichen Saale, wo sich an einem Ende ein zweckdienliches Büffet, an dem andern eine kleine Tribüne für die Zahlungstage befindet. Und es gewährt einen wohlthuenden Eindruck, diese Leute an langen Tafeln in Gemeinschaft ihrer alten und jungen Frauen, die ihnen das Essen gebracht, ihre Mahlzeit halten zu sehen.

Wenn aber die Glocke über dem steinernen Mann mit hellem Schlage Eins erschallen läßt, dann eilen sie an ihre Arbeit und in den Hof laufen die Hunderte, welche auswärts gegessen haben, – und dann beginnt wieder das Schwirren und Klopfen und Kratzen und Hämmern bis zum Abend, wo die Werkstätten von tausend Gasflammen erleuchtet sind.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_290.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)