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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Populäre Chemie für das praktische Leben.
In Briefen von Johann Fausten dem Jüngeren.
Fünfter Brief.
Wie die Chemie heute Geld macht.

In unserem vorigen Briefe haben wir die Chemie seit dem Auftreten des Meisters der Grobheit, Paracelsus, aus dem Auge verloren. Die neue Bahn, die er der Wissenschaft anwies, führte freilich nur auf Umwegen zum Ziel, der Hauptvortheil aber war der, daß die Chemie jetzt endlich in wissenschaftliche Hände gerieth. Die 84 Centner Gold und 60 Centner Silber und die 17 Millionen, welche Kaiser Rudolph II. und Kurfürst August von Sachsen hinterließen, die 6 Millionen Rosenobel, die Raymundus Lullus Eduard III. von England zu einem Kreuzzuge herbeizauberte, die dreizehnhundert Kirchen, welche der Franzose Crinot um 1500 gebaut hatte – freilich wissen wir nicht, wo sie gestanden, auch haben wir keinen Gewährsmann, der sie gezählt hat – kurz die ganze Legion der Wunder des Steines der Weisen hatte jetzt ihre Anziehungskraft verloren. Aber von den Ideen, die zum Goldmachen geführt, konnte man sich noch nicht ganz befreien; sie lagen noch wie ein Alp auf der Wissenschaft und noch weit über zweihundert Jahre tappte man mit verbundenen Augen umher, bis endlich aus Lavoisier’s Munde der Ruf zu neuem Leben erscholl.

Und aus welchen Quellen hatte er sein Wissen geschöpft? Die atmosphärische Luft und das Wasser, die gemeinsten Dinge auf Erden, die täglichen Bedürfnisse der Menschheit seit Jahrtausenden, gaben die Grundpfeiler ab zu dem neuen Gebäude, das lange Dauer verspricht. Der Einfluß der Ersteren auf die Verbrennung, – zuerst von Lavoisier richtig erkannt, daß hier ein Bestandtheil der Luft zu dem verbrennenden Körper hinzutrete, macht noch heute die Grundlage der Chemie aus und das Wasser lehrte, daß die einzelnen Stoffe, die Elemente, stets in bestimmten, unwandelbaren Gewichtsverhältnissen zusammentreten. Diese beiden einfachen Sätze waren es, welche die Chemie, durch Jahrtausende hindurch ein schwaches Kind, in noch nicht hundert Jahren zu einem Riesen erstarken ließen, dessen Macht sich heute Niemand mehr entziehen kann. Sie waren die unscheinbaren Ausgangspunkte ungezählter Entdeckungen, die uns Einsicht gewähren in unser Leben selbst und durch die das gesammte Gewerbewesen eine vollständige Umgestaltung erhielt. Jeder Einzelne hat daraus materielle Vortheile gezogen und daher können wir mit Recht sagen, daß zu keiner Zeit der Chemiker den Namen: „Goldmacher“ mit größerem Rechte verdient hat, als eben jetzt, obgleich er mit Sicherheit weiß, daß es dem Sterblichen nicht vergönnt ist, auch nur den werthlosesten der in der Natur vorkommenden einfachen Stoffe zu erzeugen. Der Chemiker kann nur verbinden und trennen; und dies reicht vollkommen aus zur Begründung seiner Macht.

Es sollte mir leicht werden eine lange Reihe von Präparaten aufzuzählen, die lange Zeit als große Seltenheiten in den Sammlungen der Chemiker aufbewahrt wurden und die Niemand kannte, während sie jetzt auf dem Markte des Lebens eine große Geltung erlangt haben und in den Händen und dem Munde eines Jeden sind. Und jeder Tag liefert uns noch neue Beispiele der Art, denn noch lange nicht wird an die Chemie der Ruf ergehen: hier ist das Ende! Ihren Geburtstag können wir von gestern datiren und daher gehört ihr die Zukunft. Die interessantesten dieser Beispiele werden uns Stoff zu späteren Briefen geben. Für heute wollen wir zwei chemische Erzeugnisse besprechen, die die Grundlage der gesammten Industrie bilden. Nicht daß sie erst in neuerer Zeit geschaffen wären, also vorher gar nicht bekannt – aber ihre Darstellungsweise ist so vereinfacht worden, daß sie erst jetzt befähigt waren, dem Rufe zu folgen, der an sie erging. Es sind dies die Soda und die Schwefelsäure, die beide, wie wir bald sehen werden, in einem innigen Zusammenhange stehen.

Die neuere Chemie lag, so zu sagen, noch in den Windeln, da erging schon an sie die ernste Mahnung, sich als thatkräftigen Mann zu bewähren und zwar in ihrem Geburtslande selbst. Wir hören so oft den Ausspruch von Robespierre: „Die Republik bedarf der Chemiker (Gelehrten) nicht“ und doch verhielt es sich in der Wirklichkeit ganz anders. Die Republik wußte sehr wohl, welche Stütze sie in der Wissenschaft finden konnte und nahm sie auch gehörig in Anspruch. Die französische Revolution war ja eben ein Kampf des Geistes gegen die nur durch den Korporalstock in Bewegung gesetzte todte Masse. Lavoisier’s Kopf fiel zwar unter dem Beile der Guillotine, aber die Leiter, auf der er zum Blutgerüst hinaufstieg, das war der Neid der übrigen Chemiker, die er freigebig zum Frommen der Wissenschaft mit seinen Reichthümern unterstützt und wohlwollend an seinem Ruhme hatte theilnehmen ließen. Er wurde nur erst dem Henker überliefert, nachdem Fourcroy schriftlich erklärt hatte, daß er im Stande sei „den größten Chemiker“ vollständig zu ersetzen.

Gerade in der Zeit, wo die ganze Nation unter den Waffen stand gegen das übrige Europa, erlangten die Industrie und Künste eben mit Hülfe der Wissenschaft einen bemerkenswerthen Aufschwung. Die Noth war hier die Lehrmeisterin. Alle Kräfte mußten angespannt werden, um den überlegenen Massen Widerstand zu leisten. Aber die kriegerischen Thaten nahmen so sehr die Aufmerksamkeit Aller in Anspruch, daß uns von diesen friedlichen Eroberungen wenig gemeldet wird. Der Chemie wurde die Aufgabe bei der mangelnden Zufuhr von außen für die Industrie die nöthigen Rohstoffe herbeizuschaffen und die Technik anzuweisen, aus dem vorhandenen eigenen Erzeugniß das Fehlende zu ersetzen. Eine eigene Commission war vom Wohlfahrtsausschuß niedergesetzt, die „in Erwägung der Pflichten, welche der Republik gebieten, die Kraft der Freiheit mit ihrem ganzen Nachdrucke auf alle diejenigen Gegenstände hinzulenken, welche die Grundlagen der unentbehrlichsten Gewerbe sind: Pflichten, die ihr ferner gebieten, die Fesseln der Handelsabhängigkeit abzustreifen und aus ihrem eigenen Schooße Alles, was die Natur darin niedergelegt hat, an das Licht zu ziehen, um die Gaben des Bodens und der Gewerbthätigkeit in Anspruch zu nehmen,“ alle Bürger aufforderte „ihre Ansichten und Erfahrungen zum Besten des Staates mitzutheilen, mit Hintansetzung aller besonderen Vortheile und Privatspeculationen.“ Und nicht umsonst ging dieser Aufruf zur Thatkraft an die Wissenschaft, die sich eben erst von beengenden Fesseln frei gemacht hatte. Ueberall wurden neue, vorher kaum geahnte Hülfsquellen aufgedeckt.

So lernte man Schwefel aus den Schwefelkiesen (Schwefeleisen) gewinnen, Alaun aus den Alaunschiefern, Salpeter aus faulenden Thier- und Pflanzenstoffen, – Grabgewölbe, Wohnungen und Friedhöfe wurden umgewühlt, um den zur Pulverbereitung erforderlichen Salpeter, damals so nöthig wie das tägliche Brot, herbeizuschaffen. Zu allen diesen Hülfsquellen führte die Noth, aber sie haben diese überdauert und brachten der Industrie reichen Segen. Vor allen aber die künstliche Bereitung der Soda, die auch aus jenen Tagen stammt.

Früher gewann man die Soda – das kohlensaure Natron – ähnlich wie die Pottasche – das kohlensaure Kali, aus der Asche der Landpflanzen, aus der der Meer- oder Strandpflanzen; namentlich in Spanien, wo man die Pflanzen durch Ansäen an den Küsten baute. Die besten Sorten enthielten jedoch höchstens nur 30% an reiner Soda. Außerdem wird dieses Salz noch aus einigen Landseen in Aegypten, Mexiko und Ungarn gewonnen und wenn das Letztere allein auch 15,000 Ctr. liefert, so bildet dieser Ertrag doch nur einen verschwindenden Bruchtheil von dem jetzigen Bedarf der Industrie. Alle diese Quellen waren durch den Krieg damals für Frankreich verstopft; die Glashütten, Bleichereien, Färbereien, Seifensiedereien, die namentlich im südlichen Frankreich eine große Bedeutung erlangt hatten, und viele andere weitgreifende Gewerbe waren auf das Erzeugniß des eigenen Landes beschränkt, das jedoch lange nicht ausreichte, das Bedürfniß zu decken. Wie der Wohlfahrtsausschuß Heere aus der Erde stampfte, dekretirte er auch die künstliche Darstellung der Soda aus dem in der Natur in unbegrenzten Mengen vorkommenden Kochsalz – Chlornatrium. Sechs Vorschläge gingen ein, unter denen der von Leblanc als der beste erklärt wurde.

Das Kochsalz wird in der Hitze durch Schwefelsäure in schwefelsaures Natron – Glaubersalz verwandelt und dieses durch Glühen mit Kohle und kohlensaurem Kalk in kohlensaures Natron. Die nächste Folge war, daß die Schwefelsäurefabrikation bedeutende

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_291.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)