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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Pferde, rothwangige Rosselenker mit sehr weißer Wäsche und städtischer Kleidung, die schönsten, vornehmsten Damen zu Pferde und die ganze Elite außerdem in glänzenden Equipagen, große Säume von Fußgängern, ringsum grüne Wälder, mürrische Felsen und weither lachende Wasserspiegel, über dem Ganzen der klarste blaue Himmel und in dem Ganzen eine gleichsam chemisch gereinigte, wie Spiegelglas durchsichtige, warme, luftige Atmosphäre. Dabei keine Spur von blitzenden Säbeln und polizeilichen Octroyirungen, kein Militärschauspiel zum Vergnügen der Großen, sondern das gebildetste Fest der Ceres für die praktischen Bedürfnisse Aller.

Noch vor zwanzig Jahren wurden Gemüse von Boston und Butter, Fleisch u. s. w. von Irland nach Neuschottland gebracht, um die damals geringere Zahl von Bewohnern zu nähren; jetzt führt man bereits Ackerprodukte in Menge aus.

Der zweite Theil dieses Ceres-Festes bestand am folgenden Tage in einer großen Thierschau, welche von großen Menschenmassen aus allen Ständen und Theilen der Halbinsel eifrig besucht und studirt ward. Beweises genug, wie man dergleichen praktische Paraden zu würdigen weiß. Das Fest schloß mit einem großen Diner und Ball, woran ich natürlich nicht Theil nehmen konnte; doch hatte ich Genuß genug, nach den Muster- und Mastochsen die schönen Damen im Ballcostüm aussteigen zu sehen. Zwar fand ich manche gewöhnliche Gesichter, aber auch eine Menge der überraschendsten Schönheiten, zarte Gestalten mit den zugleich feinsten und gesündesten Köpfen vom regelmäßigsten Bau. Das große, klare, ruhig leuchtende, unbefangene Auge der alt- und neuenglischen Schönheiten muß man sehen, um es zu glauben.

Im Allgemeinen fiel mir eine ungemeine Leichtigkeit und Frische sehr wohlthuend und im Gegensatze zu dem steifen Engländer in der Haltung und dem Benehmen der Leute auf. Ich lernte Kaufmannsdiener kennen, die sich eigene Pferde hielten und alle Tage lustige Ausflüge machten; ich hörte von prächtigen Schlitten- und Schlittschuhpartien im Winter und sah nach und von allen Seiten sorglose Gesichter und elastische Schritte auch unter den Geschäftsleuten, die in London verschlossen und vernagelt, gedrückt oder hochnäsig durch Millionen von Menschen wie durch eine Wüste eilen. Man erklärte mir diesen wesentlichen Unterschied wahrscheinlich sehr richtig: „Man weiß hier nicht viel von Steuern, und alle Bedürfnisse und Freuden des Lebens sind billig, zu denen außerdem selten Jemand spirituöse Getränke zählt. Stadt und Land ist lustig über eine Tasse Thee; Bier und gebrannte Wasser gelten für gemein und entehrend und Wein erscheint auch bei den Wohlhabendsten sehr selten auf dem Tische.“

Von Schulen und Kirchen konnte ich wenig Notiz nehmen. Erstere sind, nachdem, was ich darüber hörte, noch sehr mangelhaft und für die Zahl der Kinder unzureichend. Architektur, Kunst und Wissenschaft boten mir auch keine besondern Merkwürdigkeiten. Doch verdienen das Parlamentsgebäude und die Wohnung des Gouverneurs (in einem reizenden Garten), viele große Waarenschuppen und besonders die ungeheuern Fisch-Depôts, unmittelbar am Hafen, genauer angesehen zu werden. Ungeheuere hölzerne Häusercolosse sind vier, fünf bis sechs Stockwerke hoch, von getrockneten Fischen vollgestopft, die hier ihre Verschiffung, größtentheils nach den westindischen Inseln, erwarten. Die Meerfischerei ist bekanntlich an den kanadischen Küsten das eigentliche Gewerbe und eine so wichtige Lebensfrage, daß man früher schon einmal fürchtete, England könne um die Fische im Meere mit Amerika in Krieg verwickelt werden. Die Fischereifrage ist noch nicht ganz erledigt, doch verdanken England und Amerika dem lustigen Weisen „Sam Slick“, der in dieser Angelegenheit nach England kam, einen Besuch, der uns ein gutes Stück neuen Humors brachte („Sam Slick in England“), wenigstens so viel, daß man beiderseits glaubt, die Sache friedlich lösen zu können.

Ich werde unterbrochen – morgen mehr!




Blätter und Blüthen.

Lord Raglan, erster Commandeur der englischen Landtruppen in der Türkei. Merkwürdiger Humor der Geschichte! Derselbe Mann, welcher den Wellington als Secretair durch hundert Schlachten begleitete, um die Bourbonen auf dem französischen Throne wiederherzustellen und die Dynastie Napoleon zu vernichten, natürlich mit Hülfe Rußlands, derselbe Mann zieht jetzt mit napoleonischen, kaiserlichen Franzosen Hand in Hand gegen Rußland!

Lord Raglan, früher Lord Fitzroy Somerset, ist jetzt, wie alle Admiräle und Generäle der englischen Militärmacht, ein alter, wenigstens sehr alternder Herr, ein Sechs-und-Sechsziger; man setzt aber das meiste Vertrauen auf ihn, da er dem großen Wellington stets am Nächsten stand und von dessen Entschlossenheit, Strategie und Taktik am Meisten gelernt und behalten haben soll. Seine bedeutenden geistigen Fähigkeiten und persönlicher Muth hatten unter Wellington hundertfache Gelegenheit, sich zu zeigen. Die Wellington-Heldenthaten, welche in Portugal begannen und bei Waterloo endigten, können fast nirgends ohne ehrenhafte Erwähnung des Lord Somerset erzählt werden. Er betheiligte sich persönlich an den Schlachten bei Roleia, Vimiera, Tolavera und Busaco, wo er schwer verwundet ward; bei der Eroberung Oporto’s, den Operationen gegen Marschall Soult, der Verfolgung Massena’s, der Schlacht bei Fuentes d’Onor, der Belagerung von Badajoz, der Schlacht bei Salamanca, der Einnahme Madrids, der Vertreibung der Franzosen aus Valladolid, der Belagerung von Burgos, dem Rückzuge nach Portugal, dem letzten Vordringen 1813, bei den Schlachten von Vittoria und den Pyrenäen, bei Orthes, Toulouse und unzähligen andern Kriegsereignissen bis zur Gefangennehmung Napoleon’s. Als dieser noch einmal von Elba her erschien, zog er zum letzten Male mit Wellington gegen ihn und half die Schlacht bei Waterloo persönlich schlagen. Hier ward er so schwer am rechten Arme verwundet, daß dieser ihm abgenommen werden mußte. Damit endigte seine militärische Laufbahn. Von Zeit zu Zeit nahm er seitdem verschiedene Staatsämter an, saß im Unterhause und unterstützte bei allen Abstimmungen die konservative Partei, ohne sonst jemals ein Wort zu reden. Der Tod des Herzogs von Wellington brachte ihm das Amt eines Ordonnanz-Master-Generals, den Titel Lord Raglan und einen Sitz im Oberhause.

Schon in seinem sechszehnten Jahre 1801 ward er Offizier unter den leichten Dragonern und von 1809 an war er ununterbrochen Secretair und Aides-de-camp Wellington’s. Dieses Vertrauen Wellington’s, welches er geistig und körperlich stets rechtfertigte, hat sich so sehr in der öffentlichen Meinung festgesetzt und ausgebreitet, daß nur er das gegenwärtige, bedeutungsvolle Amt übernehmen konnte, so wie bei dem besten oder schlechtesten Willen der Aberdeen’s kein Anderer die baltische Flotte hätte bekommen können, als Charles Napier, der einmal mit 500 Seesoldaten 50,000 Mann Mehemed Ali’s schlug, ihm den Frieden dictirte, dann Alles mit der Türkei in Ordnung brachte und ganz zuletzt an die Regierung nach Hause schrieb: „Alles abgemacht! Unterschreiben Sie gefälligst auch noch.“




Nicht zu übersehen!

Mit der heutigen Nummer schließt das 2te Quartal unserer Zeitschrift und bitten wir die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen sofort in den betreffenden Postämtern und Buchhandlungen aufzugeben, damit die regelmäßige Zusendung nicht unterbrochen wird.

Die Tendenz der Gartenlaube bleibt dieselbe. Nach wie vor wird das unterhaltend-belehrende Element derselben durch die trefflichen Beiträge der bekannten Mitarbeiter gewahrt bleiben, während den Zeitereignissen im Orient und in der Ostsee durch gute und authentische Abbildungen und erklärende Berichte Rechnung getragen wird. In einer der nächsten Nummern beginnen die Briefe aus Varna von J. von Wickede.

Leipzig, Ende Juni 1854.

Die Redaction und Verlagshandlung. 
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_308.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2023)