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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Costume und die dunkeln Gesichter der Malteser und Malteserinnen, die schnurrbärtigen Kaufleute, die Priester und Soldatenmönche, die barfuß mit Stricken gebunden, umherwandeln, anstarren. Die scharfen Kehltöne der braunen Malteserinnen und die scharfen Blicke aus ihren mandelkernförmigen Augen, das Geklimper der Kirchenglocken, das Trommeln und Signalschießen von Nah und Fern, das Landen und In-See-Gehen von ganzen Regimentern, das Gedränge, der Lärm und die Confusion allenthalben, die schon die Hochschottländer nöthigte, sich zwischen den Bastionen unter ihren Zelten häuslich niederzulassen – das Alles zusammen giebt ein kaleidoskopisches, dramatisches, malerisches Leben, von dessen ewig frischem Farbenwechsel man sich kaum einen Begriff machen kann. Ganze Regimenter Rothröcke, die niemals etwas von verbesserten Schießgewehren gesehen, müssen sich täglich mit den neuen „minié rifles“ üben. Dazu kommen eine unendliche Menge Offiziere und einzelne Soldaten, welche so glücklich waren, sich Colt’sche „Revolvers“ zu verschaffen (es sind schon Tausende nach der Türkei abgegangen) und welche nun einzeln überall umherknattern, daß den Maltesern die Mäuler weit offen stehen. Dabei herrscht strenge Disciplin. Namentlich passen die höheren Offiziere scharf auf Kleider und den Bart auf, der jeden Morgen rein weggeschabt werden muß. Nur einzelne Abtheilungen der Cavallerie haben etwas Feld für Bartcultur. Hoffentlich werden später die Russen warten, bis sich die Armee immer ordentlich rassirt hat. In diesem gebildeten Jahrhundert wird auch der Russe einsehen, daß es besser ist, gut rasirte Menschen todt zu schießen, statt halbbarbarischer Individuen, die das Rasirmesser nicht als das erste aller Civilisationsinstrumente verehren.

Landungen und Landleben in Scutari und Gallipoli, das von englischen Correspondenten an Ort und Stelle auf die reichste Weise ausgemalt und täglich frisch nach London geschickt wird, schildern wir wohl gelegentlich in besondern Gruppen. Hier nur das gemeinsame Bild. Ein Soldatenschiff erscheint in der Ferne. Man schießt hin und her zur Freude. Boote laufen aus, um die Schiffe zu leeren. Die Landungsplätze füllen sich mit türkischen Unterthanen aller Farben und Formen und in jedem Costüm, unter denen das der Lumbacivagabunden und Barfüßler das hervorstechendste ist. Die Boote kommen an und mit gravitätischer Höflichkeit und Galanterie reichen die Türken jedem Rothrock die Hand, als wär’ er eine zarte Dame, um ihm beim Aussteigen behülflich zu sein und beladet sich diensteifrig mit seinem Gepäck und wird für eine Weile zur Salzsäule des Erstaunens, wenn ihm auf einmal[WS 1] eine der vielen Soldatenfrauen die Hand reicht, um sich ebenfalls aus dem Boote helfen zu lassen. Die kunterbuntesten Züge vom tiefsten Schwarz bis zum frischen Käseweiß in den Gesichtern setzen sich nun in Bewegung durch den schon gräßlich entweihten Cypressenhain, wo die Türken ihre Todten begruben, nach den riesigen Selimskasernen bei Scutari, einer der geräumigsten Paläste, der je für Soldaten gebaut ward, und sucht sich unter der Verwirrung aller Sprachen Gehör, Platz und Bequemlichkeit zu verschaffen. Viele mußten inzwischen in Lagern untergebracht werden. Im Ganzen sieht’s bei den Landungen in Gallipoli ähnlich aus. Von Erhaltung der „Integrität der Türkei“ ist so wenig die Rede, daß überall sofort das Gegentheil hervortritt. Namentlich fingen die Franzosen an, überall, da, wo sie in eine Stadt kamen, die Straßen mit französischen Namenschildern zu decoriren und die Häuser zu numeriren, mit Türken Wein zu trinken und mit Türkinnen zu schäkern. Sie trinken den Kaffee „ohne Satz“ und mit Zucker, sie machen Wege durch die größten Heiligthümer der Türken, die Cypressenhaine ihrer Todten, sie legen sich nicht auf Divans, sondern setzen sich auf Stühle, sie werfen Handküsse in die Harems und exerciren die Türken in französischer Sprache ein.

Die Türken staunen und schlagen die Hände über dem Kopfe zusammen und sagen nur, wenn sie hören, daß man ihnen helfen und sie von den Russen befreien wolle: Inshallah! (Gott geb’ es!) Inshallah ist ein merkwürdiges Wort. Der Türke ruft es aus im höchsten Entzücken und im höchsten Schmerz. Es ist die Interjection des türkischen Glaubens, der in allen Lagen und Stimmungen, die sein Gleichgewicht stören, ihm seine Ruhe nehmen, den großen Allah herbeiruft. Die französischen und englischen Freunde haben ihm seine Ruhe genommen, den Glauben an sie und sich. Und so hört man überall bis Varna und Silistria, bis wohin die vereinigten Hülfstruppen vorgedrungen sind, in Freude und Schmerz tausendfach ausrufen: Inshallah! Inshallah!




Populäre Chemie für das praktische Leben.
In Briefen von Johann Fausten dem Jüngeren.
Sechster Brief.
Sprengen durch den galvanischen Strom.

Aller Augen sind jetzt auf den Norden gerichtet, wo für lange Zeit die Geschicke Europa’s entschieden werden sollen. Auf den Wellen der Ostsee, die kaum den Namen eines Meeres verdient, sondern nur den eines großen Landsees, schaukelt sich eine stolze Flotte, wie sie vorher der Ocean nie gesehen und gegen die selbst die sprüchwörtlich gewordene „unüberwindliche Armada“ des finsteren Philipp II. ein winziges Kind ist. Die öffentlichen Blätter sind voll von den furchtbaren Vertheidigungsanstalten, die längs der ganzen russischen Küste angeordnet sind, und dennoch scheint die Sicherheit, mit der man dort dem Feinde mit ironischem Lächeln entgegensieht, nicht ganz sicher zu sein. Man traut der Anzahl der Feuerschlünde nicht, denn durch alle Blätter lief jüngst die Kunde von einem noch viel furchtbareren – weil es im Finsteren schleicht – Vertheidigungsmittel. Man hat im Plane, von unter dem Wasser her die feindliche Flotte in die Luft zu sprengen. Dem Publikum wird dies als eine neue Entdeckung des Akademikers Jacobi aufgetischt, eines Deutschen, der durch russisches Geld durch und durch Russe geworden, so daß er vor Kurzem sein Vaterland arg schmähete.

Wir haben hier wieder ein Beispiel, aus wie trüben Quellen die Belehrung des Publikums fließt. Hätten die Zeitungsschreiber nur eine Idee von der Wissenschaft, so würden sie gewußt haben, daß dies eine „längst abgedroschene Sache“ ist. Aber bei ihnen heißt es auch: „wem Gott ein Amt giebt, dem giebt’er auch Verstand“. Bei den jetzigen Zeitläuften und dem Umstande, daß diese äußerst interessante Anwendung des galvanischen Stromes so wenig in größeren Kreisen bekannt ist, scheint es gerechtfertigt, wenn wir hier näher darauf eingehen.

Daß Schießpulver durch den elektrischen Funken entzündet wird, wußte schon Franklin, der den Blitz vom Himmel zur Erde herniederzog. Noch jetzt gehört dieser Versuch oder das Sprengen einer mit Knallgas gefüllten Blase aus weiter Ferne mittelst einer Drahtleitung zu den interessantesten Experimenten in den Vorträgen über Physik und Chemie. Shaw in New-York benutzte 1831 zuerst den Funken einer Leidener Flasche, um Felsen zu sprengen. Die Elektrisirmaschine ist jedoch zu einem Gebrauch in der Technik nicht geeignet; einmal ist sie zu zerbrechlich, um den Händen gewöhnlicher Arbeiter überlassen zu werden und dann versagt sie zeitweise, wenn die Atmosphäre feucht und daher ein guter Leiter der Elektricität ist, ganz und gar den Dienst.

Die vielen Unglücksfälle, welche beim Steinsprengen vorkommen, machten dringend eine bessere und sicherere Methode wünschenswerth. Durch Shaw’s Versuche kam Hare, Professor der Chemie an der Universität zu Pensylvania, auf den Gedanken, sich des galvanischen Stromes zu bedienen. Er machte schon darauf aufmerksam, wie vorzüglich diese Entzündung der Minen beim Sprengen von Felsen unter dem Wasser anzuwenden wäre. Aber auch sein Apparat war nicht geeignet zum alltäglichen Gebrauch und daher fand der Vorschlag keine Anwendung, wenngleich die erzielten Erfolge überraschende waren.

Endlich wurde die Sache 1842 von Roberts in’s Reine gebracht. Er stellte vor einer Commission der Highland Society Versuche an, indem er Felsen unter dem Wasser und auf dem

Anmerkungen (Wikisource)

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_315.jpg&oldid=- (Version vom 9.8.2020)