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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

„Doctor, was sollen wir nun thun?“ fragte er flehentlich.

„Was wir thun sollen? Uns ein Wenig ausruhen, und dann wieder aufbrechen. Ich warne Euch aber zum zweiten Mal; wenn Ihr Euch zu sehr der Furcht hingebt, seid Ihr ein todter Mann.“

„Ich war so voll Furcht wie er, zeigte sie aber auch jetzt nicht. Er fiel einige Male in Schlaf, ich weckte ihn aber von Zeit zu Zeit immer wieder auf. So verbrachten wir die Nacht, wenn das stete Zwielicht, das uns umgab, so zu nennen ist, und zuletzt verschwand der Nebel. Ich besaß keine Uhr und weiß daher nicht, wie spät es war. Es war aber gegen Morgen, als der Schottländer, während ich auch ein wenig nickte, mich mit dem Ruf weckte: ein Bär, ein Bär!

„Wu, wwwu, wu–u“, rief etwas, das einem Bären gleich sein konnte, zuweilen rasch hinter einander wie eine Locomotive und dann wieder leiser.

Ich spitzte die Ohren und griff nach meiner Pike. Nachdem ich ein Paar Mal hingehört, fand ich zu meiner Befriedigung, daß der Ton aus der See kam, und bald darauf sah ich eine glänzende Masse, die wie ein großer Mahigoniblock aussah, auf mich zuschwimmen. Das Wasser war dabei ganz ruhig, denn des Thieres Flossen waren ruhig, und es bewegte sich nur mit dem Schwanz langsam vorwärts.

„Wu, wu“, stöhnte der Wallfisch und ich und der Schottländer wir waren ganz starr vor Erstaunen auf das Wunder. Hätte ich eine Harpune gehabt, ich hätte ihn so leicht wie einen schlafenden Hund durchbohren können, aber was hätte uns Beiden halbtodten Leuten der Wallfisch nützen sollen!

„Ich hatte noch nie einen Wallfisch gesehen, und kannte ihn nur aus Beschreibungen. Ich wußte, daß Leviathan zuweilen an die Oberfläche kommt, um Luft zu schöpfen und dann wieder untertaucht. Mir kam es aber so vor, als geschehe sein Athmen sehr unregelmäßig, und ziehe er das Oxygen länger an sich, als es ein gesunder Fisch thun würde. Konnte dies daher nicht ein sterbender Wallfisch sein, der hierher gekommen war, um sein Leben in Gegenwart zweier menschlichen Wesen auszuhauchen, die wahrscheinlich bald demselben Schicksal folgen würden? Dieser Gedanke gab mir neue Frische und über diese interessante Frage vergaß ich für eine Zeit lang Hunger und Kälte. Nicht so der Schottländer. Seine Neugier war bald zufrieden gestellt und trotz aller meiner Ermahnungen verfiel er in eine Art Starrsinn, der in solcher Lage das Vorspiel zu dem Tode bildet.

„Er war aber noch nicht todt, und der Wallfisch war es auch nicht, und so lange er am Leben war, konnte ich mich der Hoffnung nicht entschlagen, daß etwas zu unserer Befreiung geschehen könnte; was, wußte ich freilich noch nicht. Weiteres Umhersuchen war nutzlos, denn meine Kraft hatte mich verlassen und ich war erschöpft durch Hunger und Kälte. Ich setzte mich daher nieder und beobachtete den Wallfisch. Er athmete immer schwächer und unregelmäßiger. Er war ersichtlich krank. Aber woran? War er vielleicht harpunirt worden und die äußere Blutung hatte aufgehört und die innere hatte begonnen, oder hatte ein Schaalthier ihn verwundet oder wollte er der Natur überhaupt nur seinen Zoll abtragen, denn weshalb sollten die Wallfische nicht so gut sterben, wie alle andern Thiere? Diese Frage beschäftigte mich länger als eine Stunde. Die Lösung sollte mir aber nicht lange verborgen bleiben. Nachdem er sich wie ein schwerfälliger holländischer Ostindienfahrer umhergewälzt, legte sich das Ungeheuer auf den Rücken, streckte den Kopf in die Höhe und versank dann mit einem Male in den Abgrund der See. Er war noch nicht ganz todt und sank auch nicht ganz unter, und ich beobachtete daher mit steigendem Interesse die Zuckungen seiner feinen Muskeln, indem ich unwillkürlich daran denken mußte, wie schwer allen Kreaturen der Abschied vom Leben wird. Ich wußte, daß nach dem Tode sich gewisse Gase entwickeln und daß der Cadaver auf der Oberfläche erscheinen mußte und lauerte daher voll Begier auf diese Erscheinung. Inzwischen nahm aber eine neue Gefahr meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Das Eis um mich herum begann zu krachen und ich sah plötzlich, daß ich auf einem festen Block stand, den die See zu isoliren und zu zermalmen suchte. Es entstand ein Lärmen wie von Kanonenschüssen. Ich rüttelte den Schottländer, er blieb aber unempfindlich. Da überkam mich ein Gefühl, als ob auch mir der kalte Tod die Hand auf die Schulter legte.

„Da – o Freude – erblickte ich mit einem Male ein Boot in der Ferne. Ich rief, so laut ich konnte, die Matrosen achteten aber nicht darauf, sondern das Boot glitt ruhig weiter. Jetzt überkam mich wilde Verzweiflung. Ich stampfte den Boden, raufte mein Haar und rief auf’s Neue. Sie ruderten noch immer weiter. O, diese Menschen haben kein Herz – es sind Ungeheuer in Menschengestalt – da kam mir plötzlich eine Idee, ich hatte ja ein Mittel, ihre Selbstsucht, ihr Interesse zu erregen. Zu meinen Füßen lag der Wallfisch, der mehrere Hundert Pfund Sterling werth war, und nach dem sie sicher steuern würden, wenn sie es wüßten. Ich raffte also meine letzte Kraft zusammen und schrie aus vollem Halse:

„Ein Wall, ein Wall, ein Wall!

„Dieser Ruf schien wie Musik in ihre Ohren zu dringen, denn sie legten sogleich nach mir um. Mittlerweile hatte die See meinen Eisberg gelockert und ich stand darauf wie auf einer schwimmenden Insel, umrauscht von den Wogen.

„Wo ist der Wallfisch? fragte der Harpunier des Bootes.

„Hier, hier!“ erwiederte ich, indem ich nach der Stelle zeigte, wo der Wallfisch verschwunden war.

„Was macht Ihr hier?“

„Ich bin der Chirurgus des Jupiter und suche nach dessen Booten. Ich und der Schottländer hier wir haben unsern Weg verloren und ich fürchte, er ist im Sterben.“

„Wir dachten, Ihr wäret Esquimaux und wollten Euch deshalb nicht antworten.“

„Jetzt tauchte der Wallfisch gerade zu meinen Füßen auf, und da ich mich jetzt außer Gefahr fühlte, fiel mir auch dessen Handelswerth wieder ein. Ich sprang auf seinen Rücken, um ihn zu reclamiren.

„Ihr seid Engländer, sagte ich, und werdet das Recht achten. Ich nehme Besitz von diesem Fisch als einer der Offiziere des „Jupiter“, unter Commando des Capitains Junk, und ersuche Euch, mir den Preis sichern zu helfen.“

„Doctor, Ihr seid halb erfroren, kommt und nehmt etwas Spirituöses zu Euch, kommt an Bord und wärmt Euch.“

„Ich dankte dem Harpunier für sein freundliches Anerbieten und trat in sein Boot. In demselben Augenblick stieß er aber seine Harpune in den Fisch. Dies war sehr kunstgerecht ausgeführt worden, ich konnte aber nicht begreifen, weshalb er den Finger an die Nase legte und[WS 1] das ganze Schiffsvolk lachte. Ich fragte daher darnach und erhielt folgende Auskunft:

„Doctor“, sagte er, „Ihr seid ein wahrer Grünschnabel. Der Wallfisch gehörte dem Jupiter, so lange Ihr darauf standet, als Ihr aber von dessen Rücken wegspranget, ohne den Besitz zu bezeichnen, gehörte er dem ersten Besten, der ihn markiren konnte. Seht her, das ist die Harpune der Nancy und das Seil der Nancy, sowie das Boot der Nancy, und deshalb ziehen wir den Fisch als den der Nancy mit und, und ich will den sehen, der ihn uns nehmen will. Hättet Ihr nur Euer Messer hineingesteckt und Euer Halstuch daran gebunden, so hätte der Fisch Euch gehört. Merkt Euch das, Doctor, wenn Ihr wieder einmal einen todten Wallfisch findet.“

„Und das ist Gesetz?“

„Abgemacht im Haus der Lords“, was ich nachher allerdings bestätigt fand.

„Wie Ihr denken könnt, machte ich ein traurigen Gesicht. Als ich indessen den Wallfisch verschmerzt hatte, dachte ich an den Schottländer. Er befand sich in einem traurigen Zustande. Nachdem man ihm indessen einige Hülfe geleistet, kam er wieder zu sich, und der Chirurgus der Nancy erklärte nachher, es sei nicht so schlecht um ihn bestellt, er habe nur vier Zehen und drei Finger zu verlieren. Mich nahm man an Bord der Nancy gut auf, aber die Unerfahrenheit, die ich in Bezug auf den Wallfisch gezeigt, blieb das stete Stichblatt der Matrosen, und ich sehnte mich deshalb nach dem Jupiter. Aber kein Jupiter ließ sich sehen und nachdem die Zeit für den Fischfang vorüber war, segelten wir nach dem luftigen England zurück. Nachdem ich dort angekommen, eilte ich gleich zu meinem Onkel und erzählte ihm meine Abenteuer und Gefahren, denn von dem Jupiter wußte man noch nichts. Erst nach einigen Wochen hörte ich, daß mein alter Capitain in Sicht sei und eilte nach dem Kai, ihn aufzusuchen.

„Hoho“, rief Junk, „beim heiligen Georg, das ist der Doctor! Gebt mir Eure Pfote, junger Magnesia. Ich hätte drauf geschworen, daß Ihr längst zum Teufel wäret.“ – „Weiter sagte er aber nichts und wir gingen auseinander.“




Blätter und Blüthen.

Türkische Sprüchwörter. Das türkische Leben und die türkischen Gedichte alter, neuerer und neuester Zeit sind stark mit moralischen Sentenzen gespickt, die sehr häufig als Sprüchwörter im Leben dienen. Daraus zu schließen haben die Türken eine sehr edele Moral. Wir ziehen aus einem großen Werke über die neueste türkische Gnomologie (Spruchweisheit) einige solcher „Gnomen“ aus.

„Wer die Gewohnheit als sechsten Sinn hat, dem helfen die fünf andern nichts.“

„Verstehst Du die Thür der Leidenschaft nicht zu schließen, öffne sie gar nicht.“

„Die Katze wandelt auch unter einer ganzen Heerde von Mäusen noch sicher.“

„Mit der Wahrheit kommen wir nur langsam vorwärts, mit der Lüge gar nicht.“

„Wenn der Vornehme auf dem Kopfe steht, werden Elende auch seine Füße mit Ehrerbietung anreden.“

Gefahr kennt nur der, dem der Muth fehlt, ihr entgegenzutreten.

„Dürre Knochen findet der Hund überall, wie der Schurke Entschuldigungen.“

„Brüste Dich nicht mit Deiner Enthaltsamkeit, Verschnittener des Harems.“

„Wenn Du, Edler, durch Zufall Deines Freundes holdes Weib unverschleiert siehst, dann reiße Dir beide Augen aus, wenn Du Deines Freundes Schwelle wieder betreten willst.“ (Ein radicales Mittel gegen „Hausfreunde.“)

„Das Gesetz ist für die Armen, für die Reichen das Recht.“

„Wer die Rosse bellen hört, ist auch im Recht, wenn er behauptet, daß die Hunde wiehern.“

„Verachte Keinen, den Du nicht kennst. Auch das Blatt des Cactus sieht schlecht aus, aber schwellend in Purpur ist die Blüthe, die aus dem stacheligen Blatte hervorwächst.“

„Auch das edele Zuckerrohr verliert seine Süßigkeit im Schilfsumpfe des rothen Meeres.“

„Der Dummkopf, der den ernsten Weisen spielen will, erinnert an den Mohn, der so ernst sein Haupt im Winde wiegt, obgleich wir wissen, wie klein die Körner sind, die darin wohnen.“

Und eine dichterische Lobpreisung des Dichters: „Der Dichter ist der Sultan aller Sultane. Seine Unterthanen sind Tausende von Versen, seine Waffen die Gedanken, die er aus seinem Haupte schleudert; sein Schatz ist die Anbetung der Völker, sein Erbe, das er der ganzen Welt vermacht, der Ruhm, der an seinem Grabe zwischen Cypressen eine Moschee errichtet und den Seinigen durch Jahrhunderte hindurch so lange Kränze flicht, so lange noch ein Sproß seines Stammes das holde Licht der Sonne begrüßt.“


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: nnd
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 320. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_320.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)