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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Nach einem Monate trat Meta zu ihm in das Zimmer.

„Herr Doctor, hier ist ein Brief, den mir Herr Morel diesen Mittag, als er unser Haus verließ, für Madame Raimund eingehändigt hat. Sie haben mir aufgetragen, daß ich alle Briefe, die von ihm kommen, Ihnen übergeben soll.“

Der Arzt nahm den Brief, und gab der Kammerfrau dafür einen Dukaten.

„Sie erfüllen eine heilige Pflicht gegen Ihre Herrin“, fügte er hinzu, „und ich hoffe, Sie werden mit mir dahin wirken, daß der Friede in Herrn Raimund’s Hause durch den Leichtsinn eines verblendeten jungen Menschen nicht gestört werde. Zu seiner Zeit werde ich Madame Raimund sagen, welche wichtigen Dienste Sie ihr geleistet haben.“

„Zählen Sie auf mich, Herr Doctor, denn ich liebe die junge Frau, als ob sie meine Tochter wäre. Ach, hätten Sie doch früher um den verderblichen Handel gewußt, es wäre vielleicht Manches anders.“

„Noch ist nichts verloren, liebe Frau, wenn Sie mir redlich beistehen.“

Meta erzählte nun ihre Unterredung in Betreff der Briefe mit Louise, dann entfernte sie sich.

„Also hat er es dennoch gewagt, die verbrecherische Hand wieder auszustrecken!“ flüsterte der Arzt vor sich hin, indem er in seinem Zimmer auf- und abging. „Er sieht das wiedergekehrte Glück seines Freundes, aber es ist ihm nicht heilig. Nachdem er den armen Raimund wieder in den Schlummer der Sorglosigkeit eingewiegt, beginnt er von Neuem seine Netze auszuspannen. Wahrlich, das ist kein Leichtsinn mehr, das ist die Taktik der Bosheit und des verworfensten Cynismus. Und dieser Mann, der Ehre, Glück und Ruhe seiner Nebenmenschen mit Füßen tritt, der sich kein Gewissen daraus macht, den Jugendfreund zu vernichten – dieser Mann ist ein Rechtsanwalt! Was haben die Bedrängten, die sich ihm blindlings anvertrauen, von ihm zu erwarten?“

In einer zornigen Aufwallung zerriß er das Siegel und öffnete den Brief.

„Louise“, schrieb Julius, „die Freundschaft zu Joseph erfordert Opfer, die ich nicht länger zu bringen vermag. Was ist Freundschaft, wenn die allgewaltige Liebe das Herz bewegt? Sie verschwindet wie ein kleiner Stern vor der hehren Sonne. Die Zeit Ihrer Krankheit habe ich in einer fürchterlichen Gemüthsstimmung verlebt, und jetzt, da Sie genesen sind, erfreuen Sie mich durch keinen freundlichen Blick, durch kein Zeichen Ihrer Gunst. Ich weiß, daß Joseph, der trockene Geschäftsmann, Ihr feuriges Herz nicht auszufüllen vermag – Sie begehen eine Ungerechtigkeit gegen Ihr junges Leben, wenn Sie unter der Tyrannei einer Spekulationsheirath noch länger leiden, und Sie leiden, ich weiß es. Mehr kann ich dem Papiere nicht anvertrauen, obgleich mich ein unbeschreibliches Gefühl dazu drängt – ich muß Sie sprechen, wenn ich meinen Verstand nicht verlieren soll. Machen Sie morgen Mittag ein Uhr einen Spaziergang nach Ihrem Landhause; Joseph ist dann auf der Börse, und daß er sicher und länger als gewöhnlich dort aufgehalten werde, habe ich bereits heute die Einleitungen getroffen. Ich habe Ihnen höchst wichtige Mittheilungen zu machen, darum kommen Sie. Schließlich noch die Versicherung, daß es von unserm gemeinschaftlichen Verhalten abhängen wird, ob die nächste Zukunft schon unser Geheimniß enthüllt oder nicht. J.“

Der Arzt verschloß den Brief.

„Wie raffinirt!“ rief er aus. „Juristische Spitzfindigkeiten, Bitten und versteckte Drohungen. Mein Herr Advokat, Sie haben mich zu einem Prozesse herausgefordert, und ich werde ihn fortführen. Wir wollen sehen, ob ihn der Arzt oder Jurist gewinnt.

V.

Der Doctor Friedland hatte noch keinen festen Entschluß darüber gefaßt, wie er seinen Gegner angreifen wollte. Um ihm aber jede Gelegenheit abzuschneiden, sich Louisen heimlich zu nähern, verbot er der jungen Frau, aus Gesundheitsrücksichten, das Haus bei dem unbeständigen Aprilwetter zu verlassen. Louise fügte sich, wie zu erwarten stand, mit großer Bereitwilligkeit. Joseph’s Vertrauen zu seiner Gattin war völlig zurückgekehrt, und oft machte er sich im Stillen Vorwürfe, daß er auch nur einen Augenblick an ihrer Treue hatte zweifeln können. Er bemühte sich, doppelt zärtlich und sorglich zu sein, um das an ihr begangene Unrecht wieder auszugleichen. Um ihr auch nicht die leiseste Kränkung zu bereiten, verschwieg er ihr sorgfältig die Begebenheiten jener unglückseligen Nacht und seinen in derselben angeregten Verdacht. In Julius Benehmen war keine Veränderung vorgegangen, und so oft er erschien, empfing ihn Joseph mit derselben Herzlichkeit, die er früher gegen ihn beobachtet hatte. Selbst an dem Tage, der der verfehlten Unterredung folgte, war er derselbe, und als Louise in das Zimmer trat, verrieth auch nicht die geringste Veränderung in seinem Tone, daß irgend etwas vorgefallen sei.

Die ersten Tage des Mai waren noch sehr kühl, und Louise, obgleich sie vollkommen genesen war, verließ noch immer ihre Wohnung nicht. Schlug Joseph einen Spaziergang vor, so lehnte sie ihn mit der Entschuldigung ab, daß der Doctor ihr das Ausgehen noch nicht gestattet habe.

„Du bist eine gewissenhafte Patientin“, sagte Raimund lächelnd.

„Aus Rücksicht für Dich!“ antwortete sie, indem sie ihm zärtlich den blühenden Mund zum Kusse bot. „Und was fehlt mir in unserm großen, geräumigen Hause?“

„Die frische Luft, mein Kind!“

„Frage den Arzt, Joseph; sobald er befiehlt, gehorche ich.“

Joseph fragte schriftlich bei dem Doctor an. „Ich werde schon ordiniren!“ war die lakonische Antwort. „Später eine Badereise, und Alles ist in Ordnung.“

Der Kaufmann machte allein seine Spaziergänge. An einem der ersten warmen Maitage verließ er früher als gewöhnlich die Börse, um die Gartenarbeiten bei seinem Landhause, das eine Viertelstunde vor der Stadt lag, in Augenschein zu nehmen. Glücklich und heiter schritt er auf dem Seitenpfade dahin, der neben der belebten Chaussee sich fortwand. Er hatte Louisen den Besuch des Landhauses verschwiegen, weil er ihr durch die Anlegung eines Springbrunnens vor der Laube, ihrem Lieblingsplätzchen, eine Ueberraschung bereiten wollte. Heute wollte der Baumeister sein Werk prüfen, und der Wasserstrahl sollte sich zum ersten Male erheben, Joseph beschleunigte seine Schritte, um gegen vier Uhr, zur Zeit des Mittagsessens, wo er gewöhnlich von der Börse zurückzukehren pflegte, in seiner Wohnung wieder einzutreffen. Bald schlug er den Seitenpfad ein, der durch lebendige Hecken nach der Villa führte. Da sah er eine Droschke vor einer der Gartenthüren halten. Vielleicht zwanzig Schritte noch mochte er davon entfernt sein, als eine verschleierte Dame aus der Thür trat, dem Kutscher eilig einige Worte zurief, und eben so eilig einstieg.

Bestürzt blieb Joseph stehen. Die Thür führte zu dem Garten von Julius Morel’s Landhause, und in der Dame glaubte er seine Louise zu erkennen. Da rasselte der halb offene Wagen an ihm vorüber. Joseph’s starre Blicke richteten sich auf die Dame – das war ihr brauner Sammethut mit den weißen Federn – das war ihr dunkelblauer großer Shawl, den er selbst vor einem Jahre von Wien mitgebracht hatte – das war endlich ihre ganze Gestalt und Haltung. Indem der Wagen an ihm vorüberfuhr, bog sich die Dame wie bestürzt in die Ecke zurück. Hätte er noch Zweifel an der Identität ihrer Person gehegt, dieser letzte Umstand mußte sie beseitigen.

Die Eifersucht mit allen ihren Schrecken erwachte in dem armen Manne. Aber bald gesellte sich noch ein fürchterlicheres Gefühl hinzu, das der gekränkten Ehre, des schmählich gemißbrauchten Vertrauens. Wie eine Bildsäule stand der arme Joseph da, und starrte dem Wagen nach, der längst entschwunden war. Der Boden wankte unter seinen Füßen, und alle Gegenstände erschienen seinen Blicken wie von einem grauen Schleier bedeckt. Der feste Wille Raimund’s besiegte bald die erste Aufregung, so gewaltig sie auch war.

„Solllest du dich dennoch getäuscht haben?“ fragte er sich. „Kann nicht eine andere Frau, die zufällig mit Louise Aehnlichkeit hat und dieselben Kleider trägt, in dem Landhause einen Besuch abgestattet haben? Du hast ihr Gesicht nicht gesehen, du urtheilst nur nach den äußern Formen. Aber jene Nacht der Krankheit – ihr hartnäckiges Weigern, das Haus zu verlassen – diese Zeit, wo sie mich auf der Börse wähnt – die Eile und Schüchternheit, mit der sie aus der Hinterthür des Gartens trat, und der Schrecken endlich, der sich ihrer bei meinem Anblicke bemächtigte – ich muß klar sehen, und sollte es mein Leben kosten!“

Joseph eilte der Thür des Gartens zu. In einen Abgrund bitterer Gedanken versenkt, blieb er stehen, und betrachtete mechanisch den reizenden Garten, auf dessen Beeten ein Flor von Tulpen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_322.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)