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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 29. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Arzt und Advokat.
(Fortsetzung.)

Der arme Joseph saß wie betäubt auf seinem Platze. Alles, was sich diesen Morgen ereignet, erschien ihm wie ein Traum; er hatte eine zu gute Meinung von der Welt, als daß er solche Dinge sofort für Wirklichkeit halten konnte. Der Advokat hatte an die Instanz seiner Ehre appellirt, und Joseph war ein Mann, dem die Ehre über Alles ging. Hier entfaltete sich sein Charakter, denn schon nach einer Minute war er nicht mehr niedergeschlagen, sondern er kämpfte nur noch mit der Ueberraschung, die ihm der schlaue Advokat absichtlich bereitet. Er sollte über seine Gattin, über seine angebetete Louise richten, und er fand in seiner Seele nicht nur die Unparteilichkeit, sondern auch die Unbeugsamkeit eines Richters.

„Was hältst Du von dem Handel?“ fragte Julius, den der Wein ein wenig erhitzt hatte.

„Ich bin ganz Deiner Ansicht“, antwortete er mit einer gräßlichen Kälte. „Hier hat nicht das Gericht, sondern die Ehre zu entscheiden.“

Er ergriff seinen Hut, grüßte und ging nach der Stadt zurück.

Das Verhältniß zwischen den beiden Freunden war zerrissen. Der Kaufmann zweifelte nicht mehr an dem, was er bisher gescheut zu glauben, und der Advokat war froh, auf so geschickte Weise den Frieden gebrochen und dem Feinde die erste Wunde beigebracht zu haben.

„Louise liebt mich“, dachte Julius, indem er seinen Garten durchstreifte; „aber sie wird durch den Doctor abgehalten, diese Neigung zu nähren. Jetzt kennt Joseph den Zustand ihres Herzens, er wird, so wie ich ihn kenne, auf Erklärung dringen, und Louise, die schwach genug war, sich der Tyrannei ihrer moralischen Pedanten zu fügen, wird gezwungen sein, ihr peinliches Schweigen zu brechen. Das war ein vortrefflicher Coup, eines scharfsinnigen Juristen würdig. Herr Doctor Friedland, ich gewinne meinen Prozeß, und der Kaufmann Raimund wird als letzte Instanz das Urtheil unterzeichnen.“

Julius aß in seinem Landhause vergnügt zu Mittag, und fuhr dann in einem eleganten Wagen zur Stadt, um in seinem Bureau ein Stündchen zu arbeiten.


VI.

Joseph Raimund kam zu Hause an. Wie immer, wenn er von der Börse zurückkehrte, betrat er auch heute das Zimmer seiner Gattin. Nichts verrieth, daß sie einen Ausgang gemacht hatte. Ihre Toilette war dieselbe, die sie zu machen pflegte, wenn sie zu Hause blieb.

„Was fehlt Dir?“ fragte sie in zärtlicher Besorgniß. „Du siehst sehr bleich aus, lieber Joseph, und Deine Augen sind trübe.“

Zugleich schlang sie ihren schönen Arm um seinen Hals und küßte seine bleiche Wange.

Joseph erbebte unter diesen Zärtlichkeiten, denn sie erschienen ihm so wahr und so innig, daß Louise eine Meisterin in der Verstellungskunst sein mußte, wenn sie erkünstelt waren, und er hielt sie in diesem Augenblicke für erkünstelt. Mit einem durchbohrenden Blicke sah er auf das reizende Weib nieder. Wie betroffen ließ Louise den Arm sinken.

„Mein Gott, was hast Du?“ flüsterte sie bestürzt.

Er schützte heftigen Kopfschmerz vor, und ging langsamen Schrittes in dem Zimmer auf und ab, wo Alles Glück und Liebe athmete, in jenem so ruhigen Zimmer, wo sich jetzt ein zerstörender Sturm vorbereitete.

Louise blieb regungslos an ihrem Platze stehen, sie hatte die kleinen zarten Hände gefaltet, und sah ihrem Gatten mit ängstlichen Blicken nach. So hatte sie ihn noch nie gesehen, es mußte also etwas Außerordentliches vorgefallen sein, und ihr Gewissen erinnerte sie an Julius.

„Das Wetter ist schön – bist Du heute noch nicht ausgewesen?“ fragte er scheinbar absichtslos, aber getrieben durch den letzten jener tausend Gedanken, die sich heimlich in die lichtere, obgleich von der Eifersucht heftig bewegte Ueberlegung eingeschlichen hatten.

„Nein!“ antwortete sie zögernd und zitternd.

Joseph hatte eine rasche, sichere Antwort erwartet, denn im Grunde seines Herzenn ließ sich immer noch eine Stimme hören, welche die so zärtlich geliebte Gattin für schuldlos erklärte. So konnte nur eine Sünderin antworten, die sich plötzlich auf der That ertappt sieht. Dieses „Nein“ durchschnitt ihm die Seele. Er blieb stehen, und starrte seine Gattin mit einem Blicke an, vor dem sie erbebte. Da stand sie wie eine schöne Marmorstatue; alles Blut war aus den Wangen gewichen, und das große Auge, das ihm sonst vertrauensvoll und liebend angeblickt, hatte sich zu Boden gesenkt.

„Louise!“ rief Joseph in einem herzzerreißenden Tone.

Da erinnerte er sich plötzlich der Worte des Advokaten, wonach sie ihn aus Mitleiden und aus Gehorsam gegen den Vater geheirathet hatte. Er gedachte seines Eintritts in das Haus des reichen Kaufherrn, und der Wohlthaten, die man ihm erzeigt hatte. Seine schmerzliche Entrüstung war gebannt, und der ihm angeborene Stolz regte sich mächtig in seiner Brust.

„Hast Du mir nichts zu sagen, Louise?“ fragte er ruhig, aber mit bebender Stimme. „Benütze meine augenblickliche Verfassung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 333. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_333.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)