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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

und das unparteiische Urtheil großer Männer und Contrapunctisten, die hier freilich etwas selten sein dürften – beruhigen mich, sonst sind meine Blüthen bereits vor zwei Jahren in den ersten Blättern, und im zweiten Bande der berühmten Leipziger musikalischen Zeitung schon als ziemlich schöne und reife Früchte anerkannt worden; übrigens steht meine Originalarbeit Jedem zur stündlichen Einsicht offen, und unendlichen Dank dem, so mir meine Fehler zeigt und eines Bessern belehrt.

C. M. v. W., Compositeur. 
Nr. 2.
Abgenöthigte Rechtfertigung.

Da der Compositeur Herr C. M. v. W. gleich, als die von ihm componirte und hier aufgeführte Oper den eingebildeten großen Beifall nicht erhielt, im Publico mich und das hiesige Orchester einer Vernachlässigung seiner Composition, obwohl mit großem Unrecht, beschuldigte, derselbe auch neuerlich in Nr. 3 d. Bl. über niedrige und vom bittersten Neid und Mißgunst gespielte Kabale Klage führt und ich diese ungerechten Beschuldigungen, lediglich auf mich und das hiesige Orchester deuten muß: so finde ich als Directeur desselben für mich und im Namen des letztern hiermit öffentlich zu erklären für nöthig: daß von Seiten unserer alles Mögliche gethan worden ist, um die gedachte Composition gehörig und gut zu executiren. Unmöglich war es aber, die aus Mangel an hinlänglicher Instrumental-Kenntniß eingelaufenen Fehler, welche jedoch für einen angeblich dreizehnjährigen Jüngling verzeihlich sein mögen, ganz unbemerkbar, so wie alte Gedanken neu zu machen. Und obwohl jede Musik contrapunctisch ist, bin ich doch zu wenig Theoretiker, um über den Contrapunkt im engern Sinne ein competentes Urtheil zu fällen, ich überlasse es vielmehr dem Herrn Cantor F. allhier, welcher die gedachte Oper selbst gehört, zu beurtheilen, inwiefern der junge Componist auf contrapunctliche Kenntniß Ansprüche zu machen befugt ist oder nicht. Uebrigens möchte, allen eingegangenen Nachrichten zufolge, dem Schauspieldirektor in Chemnitz die Wiederholung dieser Oper auf keine Weise anzurathen sein.

C. G. S., Stadtmusikus. 
Nr. 3.
Abgeforderte Erklärung zu Nr. 4. d. Bl.

Man mußte über die große Dreistigkeit erstaunen, mit welcher der Herr Comp. v. W. seine Oper, „Das Waldmädchen“, ausposaunte, um nur ein günstiges Urtheil zu erzwingen. Die Sache ist dem Publico bekannt, und ich würde dazu geschwiegen haben, wenn ich nicht namentlich aufgefordert worden wäre, und es dem freybergischen Publico schuldig zu sein glaubte, meine Meinung ohne Schminke zu sagen. Die Erwartung war freilich sehr groß, ehe die Aufführung begann; denn der pomphafte Zettel verkündete: daß ein dreizehnjähriges Genie, ein Zögling von Haydn (also doch wohl ein kleiner Mozart!) eine Oper componirt und sie unser Durchl. Churfürstin dedicirt habe. – Aber wie wurde Aller Erwartung getäuscht! Ich will nur von dem reden, was ich noch gewiß weiß. Das Ganze war meistentheils so angelegt, daß keine gute Wirkung erfolgen konnte, theils war der Text, theils waren die Instrumente, so auch die Harmonie und der Rhythmus nicht gut behandelt: man hörte Fehler aller Art; bald fing dieses Instrument, bald jenes holprige Passagen an, so auch die Singestimmen. Das hiesige brave Orchester, welches sonst die schwersten Opern so schön executirte, war nicht im Stande, dasjenige zu leisten, was nicht möglich war, weil der Compositeur die Behandlung der Instrumente zu sehr vernachlässigt oder zu wenig verstanden hatte. Ich erinnere mich noch jener Arie, die Madame S. sang (es sollte eine Bravourarie sein!), o welche Passagen in unschmackhaften Triolen viele Tacte hindurch, bald hoch, bald tief! Die gute Frau wurde so gemartert, daß sie nicht wußte, wie sie die Arie herausbringen sollte! – Und das Quartett oder Quintett, o, das zerfloß in Harmonien, die weder ein Kirnberger noch Vogler auflösen wird; besonders jene Stelle, wo die Singstimmen einige Takte gar keine Begleitung hatten. Und wie war der Text behandelt? Nur eins zu gedenken: auf der ersten Silbe von Liebe eine Cadenz und Triller! Alles zusammengenommen, kann man wohl sagen, daß der ganzen Aesthetik Hohn gesprochen sei. Sollte dies der Hr. Comp. v. W. beleidigend finden, so erbitte ich mir von ihm die Partitur, damit ich meine Meinung aus seinem Manuscripte beweisen und die übrigen Fehler, die mir wieder entfallen sind, auch mit auftischen kann. – War also das Publikum undankbar zu nennen, wenn es diese Arbeit nicht so aufnahm, wie Sie es wünschten? – War das Kabale oder unrein gestimmt? (U. s. w. Das Uebrige handelt etwas weitläufig von der Lehre des Contrapuncts.)
Freyberg, den 24. Januar 1801.  J. G. F., Cantor.


Nr. 4.
Beantwortung zu Nr. 4 und 5. d. Bl. etc.

1. Mein Herr Stadtmusikus! Sie sind sehr irriger Meinung, wenn Sie glauben, daß ich mir von meiner Arbeit so großen Beifall versprach. – Allein jeder Arbeiter ist doch seines Lohnes werth, welcher durch Ihre Ausführung schändlich untergraben worden; warum ging denn die Hauptprobe brav und gut? – und die Vorstellung so elende? – Nicht die braven Leute im Orchester waren Schuld daran, sondern ihr schläfriger Anführer, welcher die erste Hauptpflicht, das reine Einstimmen vernachlässigte, kein einziges forte! oder piano, kein cres- oder decrescendo im geringsten beobachtete, kein tempo nach Vorschrift marquirte und dadurch dem Gemälde Schatten und Licht raubte, folglich Alles verdarb und also unmöglich gefallen konnte! Mithin hat Ihr Neid und Mißgunst seinen gesuchten Zweck erreicht. Zu dem ist es nicht genug zu tadeln – man muß es besser verstehen und machen können. Die Composition meiner Oper ist kein englischer Tanz! – Daß Sie in der Musikkenntniß und deren Contrapunct kein Theoretiker nach Ihrem eigenen Geständniß sind, glaube ich sehr gerne, daher Ihr angemaßter Tadel sich selbst widersprechend und am Allerbesten, wenn der Schuster bei seinem Leisten bleibt. – O wie ist derjenige Componist zu beklagen, der seine Arbeit unter einer solchen Aufführung so zerfleischen hören muß! Und nun zur Beantwortung Ihres aufgeforderten Herzenfreundes in Nr. 5 etc.

2. Auch ich mußte über die große Dreistigkeit erstaunen, mit welcher Sie, Hr. Cantor, meine Oper „Das Waldmädchen“ herunterzusetzen sich bemühten, um nur den Beifall und Lohn Ihres mißgünstigen, aber treu ergebensten Freundes einzuernten. Denn sonst wüßte ich keinen Beweggrund, da ich Sie, mein Herr Cantor, niemals nur mit einer Miene beleidigt hätte. Wie konnten Sie sich zur Beurtheilung einer Sache auffordern lassen, die Ihnen gar nichts angeht? Wenn ich mich also en détail mit Ihnen einlassen wollte, müßte das Echo sehr grob widerhallen, welches aber meiner Natur zuwider und den Grundsätzen der mir gegebenen Erziehung entgegen ist. Daß ich den 18. December 1787, Abends halb eilf Uhr geboren bin, beweist mein Taufschein, folglich bin ich nicht angeblich, sondern wirklich erst dreizehn Jahre alt. Daß ich übrigens vorzügliche Geistesgaben besitze, verdanke ich meinem Schöpfer, und daß ich in meiner noch kurzen Lebenszeit mehr gesehen und gehört, als Mancher in fünfzig Jahren, ist auch erweislich wahr. Daß ich ferner von den größten Kapellmeistern der ersten Höfe als ein solcher anerkannt bin, der den Contrapunkt richtig und gründlich studirt hat, folglich sowohl Text als Harmonie und Rhythmum nebst Instrumenten und Singstimmen richtig zu behandeln weiß, dient zu meiner Beruhigung, also hört nur der offenbare Neid und Mißgunst Fehler! Mein Gott! Ich will ja kein Cantor oder Stadtmusikus werden, und weiß gar wohl, daß zu diesen beiden Stellen aus verschiedenen Ursachen die gehörige Kenntniß und Geschicklichkeit mir fehle. Auch lasse mich sehr gern zurechtweisen und danke Demjenigen, der mich mit Bescheidenheit, aber nicht mit Grobheit und Stolz schulmeistern will. Uebrigens sind Sie, mein Herr Cantor, gar nicht mein competenter Richter und ich will eben so wenig von Ihnen etwas lernen, als es mir einfällt, Sie etwas lehren zu wollen. Uebrigens habe auch gar nichts gegen die braven Individua des hiesigen Orchesters, will auch glauben, daß Herr Stadtmusikus S. besser anführen kann, wenn er nur will. Nur bei dieser Oper hat er das Gegentheil leider gezeigt und mir dadurch den Beyfall eines sonst so gütigen und edeldenkenden Publikums geraubt, welches gewiß den Keim einer aufgehenden Pflanze zu ersticken nicht geneigt wäre u. s. w. u. s. w.

C. M. v. W. 

Dieser unfruchtbare Streit zieht sich unter gegenseitigen Invectiven, Entschuldigungen und Anschuldigungen noch durch ein Paar Nummern, ohne etwas Neues zu bringen und es scheint denn doch darauf angelegt gewesen zu sein, Weber eine Schlappe zu bereiten, da sich die bisherigen Musikmatadore der Stadt wahrscheinlich beleidigt gefühlt haben, daß ein dreizehnjähriger Jüngling mit so viel Ostentation aufgetreten ist und sich über sie hat erheben wollen.

Möglich, ja wahrscheinlich sogar ist es, daß der selige v. Weber in spätern Jahren und auf der Höhe des Ruhms, mit Bedauern sich dieses von beiden Theilen ohne die gehörige Mäßigung geführten Streites erinnnert hat; wahrscheinlich aber auch, daß seine Widersacher bei den spätern glänzenden Erfolgen seiner Werke sich ihrer frühern mißgünstigen Angriffe geschämt haben!

J.  


Alfred de Musset, unter den lebenden Dichtern Frankreichs einer der Gefeiertsten, ist nicht frei von Eigenthümlichkeiten. So hat er es in der Taschenspielerei sehr weit gebracht, und Viele, die beim ersten Begegnen mit ihm nur erwarteten, den großen Dichter in genialen Gedankenblitzen bewundern zu dürfen, wurden durch irgend einen Coup à la Bosco überrascht. Auch im Balanciren hat es Alfred de Musset zu einer staunenswürdigen Fertigkeit gebracht. Er trägt ein Ei auf einem Uhrglas aufrecht stehend im Zimmer herum, ein Kunststück, das ihn, ehe er es zu Stande brachte, viele Schock Eier zerbrechen ließ. Ein Freund, der ihn eines Morgens auf seinem Zimmer besuchte, fand ihn mitten unter Ofengabeln, Spazierstöcken, Tabackspfeifen, Besenstielen, Regenschirmen, die Füße in die Höhe gereckten Stühlen und Sesseln, und einer Menge anderer Gegenstände, die er mit vieler Geschicklichkeit in’s balancirende Gleichgewicht gebracht hatte. „Um’s Himmelswillen,“ rief er dem Eintretenden ängstlich entgegen, „keinen Schritt weiter, es fällt mir sonst Alles um.“ Der Freund verabschiedete sich und Alfred de Musset fuhr in seiner Beschäftigung fort, die ihn, wenn er nicht dichtet, fast ausschließlich in Anspruch nimmt.




Literarisches. Wilh. Jordan, der bekannte Marinerath in Frankfurt, hat schon vor mehren Jahren die Herausgabe eines größern faustartigen Gedichtes begonnen, das er „Demiurgos“, ein Mysterium, betitelt und von dem jetzt (bei Brockhaus) der dritte Theil erschienen ist. Er widmet dies nunmehr complett erschienene Poem dem Herzog Ernst von Gotha und singt in dieser Widmung folgendermaßen:

Ich träumte schön, ich träumte stolz
Von meines Vaterlandes Ruhm

und weiter:

Die schwarzrothgoldne Fahne wehte
Hoch über mir so hoffnungsreich:
Mein Fühlen wurde zum Gebete:
Erneue, Herr, das deutsche Reich!

Das singt derselbe Jordan, dem Anfang des Jahres 48 die Radicalsten zu Frankfurt zu reaktionär und der Ende 48 und in der nächsten Zeit plötzlich aus sehr bekannten Gründen umgewandelt, die besten Bestrebungen des Volkes mit Füßen trat und mit Hohn überschüttete, bis er endlich – der Einzige von allen Frankfurter Abgeordneten – eine feste Anstellung von über 1000 Gulden erhielt. Jetzt ist der Herr auf Wartegeld gesetzt und nun coquettirt er plötzlich wieder mit dem Liberalismus und dem deutschen Volke, die er vor Kurzem erst verhöhnt und in’s Gesicht geschlagen. Ein sauberer Poet! –. Leipzig wird nächstens seinen berühmtesten Schriftsteller verlieren. Gerstäcker, der bekannte Reisende, unser verehrter Mitarbeiter, siedelt nach Coburg über, wo er auf der Rosenau wohnen und weiter schaffen wird. Ueber seinen soeben erschienenen vierbändigen Roman: „Tahiti“ berichten wir nächstens.

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