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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

angegriffen, daß seine Freunde um seinetwillen es beinahe gut hießen, als er von den Verhältnissen gezwungen ward, dieses ruhelose Leben aufzugeben. Leider aber zu spät! Der Keim des Todes war bereits gelegt und er erlag ihm am 23. Juli vorigen Jahres.

Er hinterläßt eine hochbetagte Mutter und eine treue Gattin, mit der er seit zehn Jahren in der glücklichsten Ehe lebte. Er hatte sie in Darmstadt als eine gefeierte dramatische Künstlerin kennen gelernt und sie aus Liebe zu ihm der Bühne entsagt. In schönster Seelenharmonie trugen sie alle Stürme des Geschickes gemeinschaftlich, wie sie denn auch gemeinschaftlich für die Sache der Humanität wirkten und dabei nicht allein in der eigenen Liebe, sondern auch in der Verehrung von Tausenden reichen Ersatz fanden für alle Verfolgungen und Feindschaften, welche eben dieses Wirken ihnen zuzog.

In Duller’s kleiner, fast schwächlicher Gestalt suchte auf den ersten Blick vielleicht Niemand die feste Männlichkeit, die er durch sein ganzes Leben so schön bewährte. Sein Haar war blond und sein Antlitz bleich – aber wenn er sprach, belebte es sich wunderbar, seine geistige Bedeutenheit strahlte von seiner hohen Stirn und seine blauen Augen glühten wie blinkende Sterne. Dieser Ausdruck sowohl wie das volltönende Organ, was das Feuer seiner Rede unterstützte, übte einen mächtigen Zauber auf seine Zuhörer, die er nicht nur momentan in die höchste Begeisterung hineinriß, sondern noch lange darin erhielt: man vergaß nicht wieder, was man von ihm gehört, so tief wußte er die Herzen zu fassen. Aber seine größte Macht waren auch nicht diese äußern Gaben, sondern eben sein Herz. Als Mensch war Duller von Freund und Feind gleich hochgeachtet – als Schriftsteller ist es ihm nicht gelungen die allgemeine Popularität und den Einfluß auf das Publikum zu erringen wie er verdient hätte. Ist dies doch dem deutschen Schriftsteller so schwer, hängt es doch meist viel mehr von äußern Umständen ab, als von der eigenen innerlichen Begabung und Kraft. Die literarischen Zustände in Deutschland sind leider der Art, daß es schon viel ist, wenn einer nicht an ihnen in seiner geistigen wie seiner äußerlichen Existenz zu Grunde geht. Wer sich weder erniedrigen kann zum gemeinen Lohnarbeiter der Herren der Presse, noch dem wechselnden Geschmack der Mode sich unterwerfen, noch um die Gunst der Großen buhlen – und wer dennoch darauf angewiesen ist allein von seiner Feder sich und die Seinen zu ernähren: dessen Genius muß Titanenkraft besitzen, wenn er auf seinem Flug zur Sonne niemals zurücksinken und von der erstaunten Welt gesehen und geprießen werden soll.

Ein solcher Titane war Duller nicht, aber er gehörte zu jenen selbstständigen Schriftstellern, die lieber ihre Existenz ihrem Streben und ihrer Gesinnung aufopfern, als diese jener, und zu den begeisterten Poeten, welche aus innerm Drange heraus schaffen und dabei nicht fragen nach dem größern pecuniären Gewinn oder nach dem Beifall der Menge oder gar nach der Gunst der Höfe und dem Modeurtheil der Salons. Und weil sich Duller so unabhängig erhielt und doch mit der Eile arbeiten mußte, die alle Schriftsteller zum unausgesetzten Schaffen mahnt, die allein damit ihren Lebensunterhalt gewinnen: so hat er wohl Bedeutendes geleistet, aber nicht das Bedeutende, was er würde geschaffen haben, wenn er sich zuweilen die nöthige Muße hätte gönnen dürfen.

Unter den Schriftstellern zählt er dennoch mit zu den besten Namen der Gegenwart, aber dem Volke sind seine Werke fremder geblieben als sie verdienen. Hoffentlich ruft sein Tod eine Gesammtausgabe seiner Werke hervor und verschafft dem[WS 1] Todten die Anerkennung, die dem Lebenden nicht genug geworden. Anfangs in den Kreisen der Literatur mit günstigen Aussichten aufgenommen, ist er später in ihnen, wenn nicht verdächtigt, doch ignorirt worden, da er gerade in einer Zeit seine Begeisterung für Menschenwohl und Freiheit am Offensten darlegte, wo es bereits gefährlich geworden war, nicht nur selbst eine solche zu haben, sondern auch die Träger derselben noch an seiner Seite zu dulden. So war Duller zuletzt nur noch mit seinen Gesinnungsgenossen in Verbindung und für die eigentlichen Literaten, die ihn früher mit Stolz ihren Collegen nannten, hatte er aufgehört zu existiren. Aber so zahlreich auch seine Gegner waren, nie haben sie gewagt, seinen Namen zu verunglimpfen, gemeine und egoistische Motive seinen Wirken unterzuschieben. Sie haben sich begnügen müssen ihn einen Schwärmer zu nennen. Das war er auch im Gegensatz der blasirten und philosophischen Kälte so vieler Führer, sowohl in der Literatur als auch in der Politik auf beiden Seiten. Duller nannte sich selbst mit Stolz einen entschiedenen Liberalen – aber er war noch mehr, er war ein ganzer Mensch. Er dichtete nicht nur von einem „Fürsten der Liebe,“ er weihte sich ihm auch und wirkte für sein Reich, für das Reich der Liebe mit einem begeisterten Herzen, das selbst von Liebe überströmte. So war er für die Einzelnen, so war er für das Allgemeine. So ist er auch gestorben als ein Apostel der Liebe im Glauben, daß ihr Reich noch kommen werde!

L. O. 




Blätter aus dem physikalischen A-B-C-Buche.
I. Das Gesetz der Trägheit.

Kein Körper ist im Stande, aus sich selbst heraus die Bewegung, welche ihm einmal mitgetheilt worden ist, zu verändern oder aufzuheben, ebensowenig wie er vermag, durch sich selbst aus dem Zustande der Ruhe in den der Bewegung überzugehen. Die Materie ist also hierin ganz willenlos und jede Abänderung in der Bewegung eines Körpers müssen wir Ursachen zuschreiben, welche außerhalb desselben liegen. Dieses Gesetz (unter welchem der Physiker also das Unvermögen aller Materie, den Zustand der Bewegung oder der Ruhe selbstständig abändern zu können, versteht) scheint auf den ersten Blick der gemeinen und alltäglichen Erfahrung geradezu entgegen zu sein, denn nach ihm müßte z. B. ein aufgehangenes und in Schwingungen versetztes Pendel ohne ferneren Antrieb bis in alle Ewigkeit fortfahren zu schwingen, und eine auf einer horizontalen Ebene hingerollte Kugel müßte, wofern nur die Ebene sich unendlich ausdehnte, auch bis in’s Unendliche fortrollen; eine Aenderung in der Geschwindigkeit, also ein endliches zu Ruhekommen dürfte niemals eintreten. Das scheint offenbar aller Erfahrung zu widersprechen.

Inzwischen giebt es einige nicht weniger alltägliche und gemeine Erfahrungen, welche, wenn man sie nur richtig zu erklären versteht, mit mathematischer Sicherheit zu dem Gesetz der Trägheit führen. Betrachten wir zunächst einmal die Bewegung auf einer horizontalen Ebene.

Jeder weiß, daß ein auf einer solchen Ebene fortrollender Körper um so länger seine ihm mitgetheilte Bewegung behält, je glatter und ebener die Fläche ist, daß also z. B. ein mit Schnelligkeit dahin fahrender Dampfwagen, nachdem der Dampf abgesperrt worden ist, viel länger noch fortfährt, sich zu bewegen, als ein gleich großer und mit gleicher Schnelligkeit auf einer gepflasterten Straße fahrender Wagen, nachdem die Pferde aufgehört haben, zu ziehen. Das heißt doch nichts anderes als das: je geringer die Hindernisse bei einer Bewegung sind, um so länger dauert sie. Und der daraus zu ziehende Schluß würde kein anderer sein, als daß ein in Bewegung versetzter Körper seine Bewegung bis in alle Ewigkeit unverändert behalten würde, wenn wir im Stande waren, alle Hindernisse zu beseitigen. Eine nicht weniger bekannte Thatsache ist es, daß derjenige, welcher aus einem schnell fahrenden Wagen heraus springt, sobald er den Erdboden mit den Füßen berührt, nach der Seite hingeschleudert wird, nach welcher der Wagen sich bewegt und zwar mit um so größerer Gewalt, je schneller die Bewegung des Wagens war. Diese Erscheinung ist nur dadurch zu erklären, daß der Springende, nachdem seine Füße den Wagen verlassen haben, die Geschwindigkeit desselben noch beibehält. Wer auf dem Verdeck eines schnell fahrenden Schiffes in die Höhe springt, könnte, wenn das Gesetz der Trägheit nicht bestände, Gefahr laufen, daß das Schiff, während er in der Luft schwebte, unter seinen Füßen wegführe und er dann in’s Wasser fiele. Das wird aber nicht geschehen, ebensowenig, als ein auf einem fahrenden Schiff in die Höhe geworfener Stein in’s Wasser fällt; er wird vielmehr wieder auf derselben Stelle niederfallen, wofern er nur vollkommen senkrecht in die Höhe geworfen worden ist. Ebenso müßte ohne das Gesetz der Trägheit alles, was man

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