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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 32. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Der Schutzgeist des Hauses.
Ein Bild aus der Wirklichkeit von Sigmund Kolisch.
I.

Durch die Güte eines Freundes in die Familie Duberville zu Paris eingeführt, lernte ich im Jahre 1853 ein Stillleben kennen, das mir durch sein besonderes Gepräge sowohl, als durch den Gegensatz mit den häufig vorkommenden zerrissenen Häuslichkeiten in der französischen Hauptstadt auffiel. –

Herr Alfred Duberville war zur Zeit meiner Bekanntschaft mit ihm ein Mann von ungefähr 35 Jahren, von hoher Gestalt, einnehmend eben so durch sein Aeußeres, wie durch seinen gebildeten, anmuthigen Geist, durch sein zartes Benehmen und sein rücksichtsvolles Auftreten. Madame Delphine Duberville mochte um fünf bis sechs Jahre jünger als ihre stärkere Ehehälfte sein, sie war kaum mittelmäßiger Größe, aber zierlich gebaut, von anziehender Gesichtsbildung, eine holde Erscheinung, sanft, ungekünstelt, kindlich unbefangen, weiblich – eine seltene Eigenschaft bei Französinnen. Sprache und Klang der Stimme so mild und wohlthuend, daß man sich freute, sie sprechen zu hören. –

Än den drei Kindern, zwei Knaben und einem Mädchen, mit welchen diese Ehe gesegnet war, fand ich reizende zuthunliche Geschöpfe, liebevoll gehegt, eine glückliche Mischung von Milde und Lebhaftigkeit.

Arnold Granier, Delphinen’s Bruder, von regelmäßigen, aber harten Zügen, von mittlerer Größe, aber von stämmigem Körperbau. In Blick, Wort und Geberde den Ausdruck der Entschiedenheit, ein Mann von Welt, Erfahrung und allerlei Kenntnissen, besonnen, ohne Kälte und zurückstoßende Selbstsucht.

Adele Blaireau muß nothwendig zur Familie gezählt werden, obgleich sie durch keine Bande des Blutes an dieselbe geknüpft ist. Sie hatte bereits die Dreißig überschritten, ohne jemals vermählt gewesen zu sein, und gehörte somit zu dem arg verschrienen Geschlechte der alten Jungfern. Die trockene gelbliche Hautfarbe, die sichtlichen Spuren des Hinwelkens, man möchte fast sagen, des Verdorrens, die sich im Gesichte, am Halse, an den Händen, an allen Linien des Körpers deutlich genug kundgaben, verriethen diesen unglückseligen Stand. Aber Adele schlug aus der Art. Weit entfernt von der grämlichen Bitterkeit, von der krittelnden Empfindlichkeit, die Mädchen ihres Alters eigen, war sie im Gegentheil freundlich, schonend, voll warmer Theilnahme, die Duldsamkeit selbst. Auch im Benehmen gegen sie zeigte sich ein auffallender Unterschied, im Vergleich zu den gewöhnlichen Fällen dieser Art. Anstatt jene spöttische Geringschätzung ertragen zu müssen, mit der aller Orte und Lande Geschöpfe ihrer Gattung behandelt zu werden pflegen, wurde sie in dem Hause von Allen verehrt und hoch gehalten wie eine Autorität. Alfred Duberville begegnete ihr stets mit der zartesten Rücksicht und Theilnahme. Er ließ es Adelen gegenüber auch nicht einen Augenblick an jener Zuvorkommenheit fehlen, die man füglich die Höflichkeit des Herzens nennen kann.

Arnold, der ernste Mann, erwies sich bei jeder Gelegenheit als ihr Ritter, stets mit ihr und um sie beschäftigt. Er leistete ihr jene kleinen Dienste, durch welche man eine Frau auszeichnet. In Gesellschaft war er stets an ihrer Seite und suchte sie zu unterhalten. Auf Bällen war er ihr Tänzer, auf Landparthieen ihr Führer, oft mit Hintansetzung junger, vornehmer Damen, welche auf diesen Vorzug Anspruch machten. Er war so beflissen mit seinen Diensten und Huldigungen, als hätte er dieses Herz erobern wollen, von dem er doch wissen mußte, daß es unneinnehmbar. Hat es doch die Zeit gelehrt.

Für Madame Duberville ist Adele mehr denn eine Freundin; sie ist eine Schwester, Vertraute, Rathgeberin. Madame Duberville unternimmt so zu sagen gar nichts, ohne sich früher mit Adele besprochen zü haben, und diese weiß aber auch über Alles so trefflich Bescheid, wie Dies und Jenes einzurichten, wie Manches im Hause am Zweckmäßigsten anzuordnen sei, wo man am Billigsten diesen, wo jenen Bedarf kaufen kann, wie man die Wäsche vor Schaden bewahrt, wie man die Blumen pflegen muß, damit sie nicht zu früh verwelken, wie man das Pelzwerk im Sommer versorgt, damit es nicht verderbe. Auf dies Alles verstand sie sich vermöge ihres praktischen Sinns. Gab es Zwist zwischen Mann und Frau, dessen sich wohl kaum ein Haushalt erwehrt, oder sonst Etwas, so war sie es, welche versöhnte und ausglich. War Delphine von Eifersucht gequält, was nicht selten vorkam, half Adele dem Uebel dadurch ab, daß sie Alfred veranlaßte, diese oder jene Gesellschaft, dieses oder jenes Haus zu meiden. Und das gelang ihr immer, denn Alfred hatte keinen Widerspruch für das Mädchen.

Als einmal der kleine Louis schwer erkrankte, war es Adele, welche bei ihm ganze Nächte hindurch wachte und sein wartete, denn Madame Duberville war außer sich gerathen und es fehlte ihr die Kraft und die Fassung, dem Kinde die nöthige Hülfe zu leisten. Auch die andern Hausgenossen waren nicht anstellig genug zu dem Geschäfte. Adele mußte sie Alle ermuthigen. Man nannte sie seit der Zeit den „Schutzgeist des Hauses.“

Die Kinder verließen, wenn sie kam, Spielzeug und volle Teller, und stürzten ihr jauchzend entgegen. Und ließ sie sich zwei Tage nicht sehen, fehlte sie allen im Hause. Die Kleinen wollten zu ihr geführt sein, man ging oder schickte zum Mindesten in ihre Wohnung, um sich nach ihrem Wohlbefinden zu erkundigen. Freilich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_369.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)