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Charakter, Stellung wollen auch und zunächst berücksichtigt sein. Passen die Verhältnisse Deiner Lehrmeisterin zu dem Rang, den Du in der Gesellschaft einnimmst? Der Ruf dieser Dame ist jedenfalls, mit Recht oder Unrecht, zweideutig. Man weiß, daß sie jungen Leuten der großen Welt Unterricht ertheilt, die gewiß nicht Wissensdrang zu den Cursen der schönen Meisterin treibt. Was berechtigt Dich zu glauben, daß Mamsell Adele nicht dasselbe Spiel wie mit Dir, auch mit Andern treibt, und nicht auch noch andere vorgezogene Schüler hat? Ueberhaupt eine Stundengeberin, die allein dasteht, ohne einen andern Schutz, als den eines liederlichen Bruders, eines herabgekommenen Börsenspielers, der seiner schönen Schwester russische Grafen zuführt, um sie ausbeuten zu können und mit dem es eines schönen Tages zu einer rührenden Erkennungsscene in der Morgue kommen mag. Das sind keine Elemente, aus denen sich ein Mann von Ehre seine Häuslichkeit bauen darf. Lieben kann man wie und wen man will. Die Gesellschaft hat keinen Grund und kein Recht, sich in diese Angelegenheit zu mischen. Die Ehe aber gehört ihr und sie muß sich ihren Gesetzen und Forderungen unterziehen. Wer die Gesellschaft bei dieser Gelegenheit nur halb befriedigt, muß die schuldig gebliebene Hälfte theuer bezahlen. Sie ist und bleibt eine furchtbare Macht, die ein Genie wie Byron hat, sein Auflehnen gegen sie durch den Verlust des Vaterlandes und tausend andere Qualen gebüßt. Was wollen wir gewöhnliche Menschen gegen sie anfangen?“

„Es ist wohl besser, man legt ihr gleich ohne Widerstand das ganze Lebensglück zu Füßen“, sagte Alfred, der mit düsterem Sinnen den Worten des Freundes gefolgt war.

„Daß Du doch gleich einen leisen Hang, der Dich überkommt, zu Deinem Herrn und Gebieter erhebst, welcher über Tod und Leben entscheidet. Nimm doch nicht eine Seifenblase für einen Berg. Bedenke, daß sie im nächsten Augenblick zerplatzt, daß aber doch geopfert bleibt, was Du in Deiner Verblendung geopfert.“

Es erfolgte keine Antwort mehr. Die Freunde trennten sich in kühler Spannung.

Alfred war ein Zögling des pariser Lebens, wo die Illusion wie ein verirrtes Kind einherläuft und keine Stelle findet, um sich zu bergen, und wo sie ohne Obdach und Nahrung gelassen, elendiglich zu Grunde geht. Von Natur heißblütig und schwärmerisch, hatte Alfred zu oft Gelegenheit, die trostlose Wirklichkeit zu erkennen, um nicht mißtrauisch gegen seinen Glauben, gegen jede Sprache an sein Gefühl zu werden. Die Erfahrung hatte Blei an die Flügel seiner Seele gehängt. Er wollte es so, er mußte es so wollen, um nicht betrogen und verlacht zu werden in der Welt, die ihn umgab. Dazu kam, daß ihn sein bedächtiger Freund schon oft von übel angebrachtem Vertrauen, von Verführungen durch falschen Schimmer zurückgehalten. Wie konnte daher diese neue Warnung ihre Wirkung auf den jungen feurigen Mann verfehlen! Sie schreckte ihn aus seiner Unbefangenheit empor, in die er vermöge seiner Natur zurückgefallen war. Sie erregten um so mehr seinen Argwohn, als er wieder einmal seiner Begeisterung blind vertraut, als er ohne Prüfung dem Drang des Herzens gefolgt war. Der russische Graf, Adele’s Bruder, ihr vielfacher Verkehr mit Leuten ohne Gewissen, ohne andere Gottheit als die Selbstsucht, stellten sich ihm nun als verunzierende Attribute des Bildes dar, das ihn so mächtig angezogen.

Und mit andern Gedanken, andern Blicken kam er nach der Unterredung mit dem Freund zu der schönen Lehrmeisterin. Früher ein argloses Kind, war er jetzt ein grübelnder Forscher, der an Alles, was das Mädchen sprach oder that, im Stillen die Frage richtete, woher es komme und wohin es gehe? Früher ein Glücklicher im Paradiese jener Liebe, stellte er sich wie als Wächter vor den Eingang in dasselbe, um sich selbst zurückzuweisen.

Adele hätte kein Weib sein müssen, um die Veränderung des Freundes, der ihr so werth geworden nicht zu bemerken, die zu plötzlich, ohne Uebergang gekommen war, um sich nicht deutlich genug zu geben. Sie frug, wenn sie den Mann oft tiefsinnig und düster sah, der sonst so froh und spielend gewesen, was ihn denn überkommen? Allein er hielt vor ihr den Zustand seiner Seele verborgen und schützte Gründe vor, die ihr kaum annehmbar erscheinen mochten. So wurden Beide einander räthselhaft, fühlten sich Beide beunruhigt und gequält. Aber sie suchten sich um so gieriger, fühlten sich um so heftiger aneinander gedrängt, als eine Vermittelung, eine Lösung des unklaren Zerwürfnisses Noth that.

Oft wartete Alfred stundenlang in dem kleinen Salon neben dem Lehrzimmer, während Adele Kinder und Erwachsene aus dem Quell ihres Wissens schöpfen ließ. Es war ihm eine Erleichterung in der Nähe des Mädchens zu sein, das in ihm eine Neigung erweckt, welcher er sich nicht erwehren konnte, wie leicht auch sein Freund die Sache nahm. Er sehnte sich nach Adelen, wenn er von ihr fern war, doch bei ihr trat eine Bitterkeit in sein Herz und auf seine Lippen, die dem armen Mädchen nicht selten Thränen kostete. Jeden Tag frug sie nach dem Grund seiner Verstimmung. „Wenn Ihnen etwas nicht recht ist an mir, so sprechen Sie. Ich will ja jeder Ihrer Weisungen folgen,“ setzte sie hinzu. Allein selbst diese Willfährigkeit, die so rührend klang, stieß auf Mißdeutungen bei dem mißtrauisch gewordenen jungen Mann.


III.

Also in Anspruch genommen und zugleich verstimmt mied Alfred die große bunte theilnahmlose Welt. Ja selbst Delphine und Arnold bekamen ihn nur auf Augenblicke zu sehen. Die Schwester des Freundes, gewohnt von ihm fast jeden Tag kleine Aufmerksamkeiten zarter Freundschaft zu erfahren, sah sich mit einem Mal vernachlässigt. Sie hatte die Gewohnheit, mit ihm mehr als mit ihrem Bruder, da er empfänglicher war, die kleinen weiblichen Angelegenheiten zu berathen, wie die Einrichtung einer Stube, Wahl eines Musikstückes, um es auf dem Flügel einzustudiren, Anordnung und Einrahmung ihrer Kupferstiche, deren sie eine schöne Sammlung zusammengebracht. Damit war es nun ebenfalls aus; denn wenn er kam, erkundigte er sich flüchtig nach ihrem Befinden, sprach sonst fast nichts, hörte kaum zu, wenn sie was erzählte und ging gleich wieder. Anfangs rieth und deutete sie im Stillen diese Veränderung Alfred’s. Später aber konnte sie sich nicht mehr enthalten ihren Bruder zu fragen, ob dem Freund ein Unglück zugestoßen, daß er so angegriffen und niedergeschlagen aussieht und sich so seltsam benimmt.

„Es ist nichts,“ antwortete Arnold. „Irgend ein Frauenzimmer hat ihm den Kopf verrückt. Mach Dir also keinen Kummer aus dieser Blässe auf seinen Wangen. Das Uebel ist nicht gefährlich.“

So wie sie diese Auskunft erhalten, ging Delphine aus dem Zimmer, ohne ein Wort zu sagen. Den Tag nach dieser Enthüllung zeigte Arnold der Schwester an, daß Alfred die Einladung zum Essen nicht angenommen habe, wie auch daß er an der Landparthie nach Meudon, die für nächsten Sonntag verabredet war, nicht theilnehmen werde.

„Er verläßt uns ja ganz,“ sagte Delphine mit erzwungenem Lächeln. Hätte sie Arnold aufmerksam betrachtet, so würde er ein leises Zittern ihrer Lippen bemerkt haben.

„Die Leidenschaft sitzt ihm vielleicht tiefer als ich gedacht,“ versetzte Arnold.

„Wer ist die Glückliche?“ frug Delphine immer lächelnd weiter.

„Eine Stundengeberin.“

„Ist sie schön?“ frug Delphine nicht ohne Anstrengung, die schon ein wenig ihrem Bruder auffiel.

„Sie gilt dafür.“

„Und auch für liebenswürdig?“

„Das mag sie wohl auch sein.“

„Du hast sie nie gesehen?“

„Niemals.“

„Er ist wohl immer bei ihr?“ warf Delphine so leicht hin, als sie es nur fertig bringen konnte.

„Es fehlt ihm wie es scheint, die Kraft sie zu meiden.“

„Wer weiß, ob er das will?“

„Das wäre allerdings nicht nöthig, wenn er nur an keine ernste Verbindung weiter denkt.“

„Das ist sehr nöthig,“ rief Delphine, überwältigt von einem Schmerz, der sie selber überraschte. Und es klang wie ein Angstschrei, der ihrem Herzen entfuhr. Arnold erschrack.

„Was ist Dir, Delphine, Du armes Kind?“ frug er zart besorgt.

Delphine bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen und weinte.

(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_372.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)